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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0593

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Die Cä cTOro in Venedig in Wien.
PhotogTaphie von Fritz Luckhardt, k. u. k. Hofphotograph.

'Ykchiu in (Hii>n.

Das Ureigene des Wiener Volkslebens' mit seinem
durch liebenswürdige Gemüthlichkeit verklärten Tempe-
rament, mit seinen drolligen Ausdrucksformen und eigen-
artigen Typen hat sich allzeit am reichsten und reinsten
im Prater gespiegelt, in dem alten, lieben, trotz seiner
meilenweiten Ausdehnung trauten Waldparke, der den
Wienern freundschaftlich die grünen Arme entgegen-
streckt, als riefe er sie in die Liebkosung seiner kühlen
Schatten. Im alten Prater thaut der eingefrorene „Weaner
Harnur“ wieder auf, badet das Gemüth sich rein in der
würzigen Luft, in der als zauberkräftiges Arcanum, das
Jauchzen und Singen und Jubiliren jenes ungetrübten
Frohsinns zu leben, zu pulsiren scheint, der nicht für
die Kaiserstadt an der Donau charakteristisch war. Und
doch hat der Waldpark unleugbar etwas von seiner Popu-
larität eingebiisst, seit ihm die Majestäten, denen öffent-
liche Belustigung immer fremder wird, ferne bleiben und
seit mit wuchtigem Schritt die Bataillone des grossen
Arbeiterheeres am I.Mai in seine duftigen Laubhallen
einziehen, die sonst an diesem Tage zum grossen Wiener
Volkssalon festlich geweiht zu werden pflegten. Die
berühmten Praterfahrten sind heute kaum mehr der
Schatten des einstigen glanzvollen Schauspiels, die „Gaw-
liere“ — wie der Wiener den Adel nennt — und auch
die prunkliebenden Goldmenschen fehlen dem Bilde, und
damit ist für die Massen, welche die Neugier lockt, der
Reiz zur Betheiligung geschwunden.

In diesem Sommer ist das anders. Der Prater ist
neuerdings wieder in Mode gekommen, und auch die
Aristokraten und Millionäre scheinen sich ihn wieder an-
gewöhnen zu wollen. Diese Auferstehung hat ein italie-
nischer Einschlag bewirkt, die Versetzung des wunder-
samen steinernen Märchens an der Adria in den Laub-
rahmen dieses Grossstadtwaldes, wodurch ein Land-
schaftsbild von unvergleichlicher Schönheit erzielt Wurde.
„Venedig in Wien“, hineingestellt in jenen, zwischen der
Nobel-Allee und dem Wurstelprater liegenden Theil des
grossenWiener Volksparkes, den man „EnglischerGarten“
nennt, könnte „Venedig im Grünen“ heissen, denn man
hat auf den ersten Blick den Eindruck, als ob sich hier
für die Lagunenstadt das Wunder des wandernden
Waldes wiederholt und ihrer ehrwürdig-herrlichen Kunst

die steigernde Schönheit einer ebenso
ehrwürdigen Natur gesellt hätte. Vor
seinem grossen Vorbilde am Meere hat
dieses kleine Venedig im Prater den
Vorzug der Bäume. Und welche Bäurne!
Grossartige Riesen, in deren dichten
Kronen die Geheimnisse von Jahrhunder-
ten rauschen, breiten ihre grünen Dächer
über die Zacken und Giebel der vene-
tianischen Renaissancepalazzi und über
die Wellen der Lagunen, die wohl an
Breite 1 und Ausdehnung dem Original
nachstehen, dafür aber minder schmutzig
sind und nicht so übel riechen, denn
klarstes Plochquellwasser füllt sie. Aber
ebenso schnell wie in Venedig schiessen
auf diesen durchsichtigen Wellen die
schwarzen Gondeln hin, echte venetia-
nische Gondeln, gelenkt von echten ve-
netianischen Gondolieri mit jener classi-
schen Gewandheit, welche die Meister-
schaft der Wiener Kutscher auf das nasse
Element überträgt. Und entzückt hängt
das Auge der Gondelfahrer an den archi-
tectonischen Bildern, welche Oscar
Marmorek hier in kurzen Wochen
förmlich aus der Erde gestampft, her-
vorgezaubert hat.

Der Gedanke des Projects hat keinen
Anspruch auf absolute Neuheit. An
Mustern hat es nicht gefehlt, an Mustern,
die man zu — vermeiden hatte. Vor
fünf Jahren entstand das erste Unter-
nehmen dieser Art in den Olympia-
Hallen zu London. In einem geschlosse-
nen Raume also. Und wirklich bestand
dieses „Venedig in London“ nur aus
einer Wasserbühne, auf der sich zwi-
schen rohgeklexten Palast-Couiissen und
einem den Marcusplatz darstellenden
Prospecte Scenen aus dem altvenetia-
nischen Leben abspielten, lebende Bilder
in prächtiger Ausstattung, eine Panto-
mine, ausserhalb ihres Rahmens zu be-
trachten. Das zweite übertragene Bild
der bella Venezia erstand auf deutschem
Boden, draussen in Charlottenburg.
„Veneflig in Berlin“ nähert sich schon mehr dem
Eigenthümlichen der Dogenstadt. Die Spree erleichterte
die Anlage einer Wasserstrasse für Gondelfahrten; der
Besucher wird also bereits in die Stadt eingeführt und
seljsst zu einem Theile ihres Lebens gemacht. Aber man
wandelt und spaziert zwischen leinwandenen, vom Winde
bewegten Palästen, und auch diese fallen aus dem
venetianischen Charakter; ein Stückchen Alt-Rom, der
Triumphbogen Constantins, bildet schon den Eingang,
ein Colosseunt ist da, ein Concordia-Tempel und viele
Motive aus anderen wälschen Städten, so dass weniger
von einem
Venedig, als
von einem
„Italien in
Berlin“ zu
sprechen
ist. Die Ini-
tiatoren des
Wiener Un-
ternehmens,
neben dem
genannten
Architekten,
der schon
mit „Alt-
Wien“ und
dem „inter-
nationalen
Dorfe“, den
clous der
letzten Wie-
ner Ausstel-
lungen, sei-
ne geniale
Gestaltungs-
kraft dar-
legte, der
bekannte
Schrift-
steller J.

Schnitzer,

Verfasser
des „Zigeu-
nerbaron“

und Czäbor Steiner, der ehemalige findige Thcater-
leiter, schritten von anderen Gesichtspunkten an die
Schaffung ihres Werkes. Sie sagten sich, dass jeder
Versuch, die Schönheit und Originalität der wälschen
Stadt im Meere nachzuformen, scheitern und die
Carricatur des Originals ergeben nhisse, wenn er
sich an das Aeusserliche hält. Der Canale grande, der
Rialto, die Seufzerbrücke, der Marcusplatz mit Dom und
Dogenpalast bedürfen zu ihrer gewaltigen Wirkung des
ganzen grossen Stadtbildes und seines Getriebes als
Staffage; sie sind also für eine Miniatur-Nachahmung
unverwendbar, für welche das Treffen der Stimmung,
der eigenen Gesichtsfarbe Venedigs, das Entscheidende
ist. Nicht als sklavische Copie, nur als Variation über
das Motiv „Venedig“ kann sie zu künstlerischem Werthe
und fesselndem Reize gelangen.

Mit einem bewundernswerthen Feingefühl hat Oscar
Marmorek diese Aufgabe gelöst. Der Canal windet
sich unter Brücken und Brückentreppen weg durch
Strassen und Gässchen und umrahmt Plätze, welche im
Ganzen und in ihren Einzelheiten trotz des becngten
Raumes die interessante Physiognomie der Lagunenstadt
in allen ihren Reizen wiedergeben. Wer Venedig kennt
und liebt — und wer liebt es nicht, der es kennt?! —,
vor dem steigt hier die Fee der Adria wie eine Traum-
gestalt empor, um so erquickender, als sie nicht ent-
schwindet; wer noch nicht in Venedig weilte, der lernt
es wirklich und wahrhaftig hier kennen und gewiss auch
lieben. Nur ein Theil von besonders schönen Bauten
ist mit verbliiffender Treue copirt, darunter auf einem
der grossen Campi der Palazzo Seriman, der einer, im
17. Jahrhundert eingewanderten persischen Familie zu
eigen war, und auf der Viale principila, einer prächtigen
Avenue, welche den Canale grande ersetzt, der Palazzo
Cä d’oro, eines der entzückendsten Gebäude Venedigs.
Im 14. Jahrhundert von den Architekten Giovanni und
Bartolomeo Bon int Auftrage der Familie Contarini er-
baut, athmet der Palast alle Anmuth der späteren Gothik
und bildet mit seiner reichgegliederten Marmor-Fapade
und der üppigen Vergoldung, die ihm den Namen gab,
das Prototyp eines altvenetianischen Palastes, des Heims
eines echten, reichen, stolzen Nobile. Sowohl diese Nach-
ahmungen, wie auch die andern, frei erfundenen, doch
treu im venetianischen Charakter gehaltenen Gebäude sind
wirkliche Pläüser mit festen Mauern und gezierten Stuck-
wänden, mit Dachstuhl und Balconen und beniitzbaren
Innenräumen, Alles aus solidem Material, mit seiner
Schönheit in den Dienst der Nützlichkeit gestellt und
als Ausstellungs- und Verkaufslokale verwendet. Möbel,
die den Eindruck der Wohnlichkeit hervorrufen, stehen
auf den Veranden und in den Loggien, aus den Fenstern
wallen Vorhänge munter in den Wind hinaus, der mit
der auf den Giebeldächern ausgehängten Wäsche spielt.
Frei und kühn ragen Säulen und Pilaster auf als wirkliche
Stützpunkte der Geländer und Balustraden, traulich und
luftiggucken die Erker vor; Medaillons, Reliefs, marmorne
Madonnen und verblichene Wandgemälde, wohin das Auge
fällt. Von den Brücken eröffnen sich besonders malerische

Palazzo Seriman in Venedig in Wien.
Photographie vcn Fritz Luckliardt, k. u. k. Hofphotograph.

IX. 25 B.
 
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