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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 110
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Holz, Arno: Phantasus
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0048

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Wir fanden es.

Die wilden, kletternden Efeuranken um die unförmigen, bröckelnden Sandsteinbalustraden blinkten noch,
aus der zerborstnen, umgestürzten Basalturne,
unter wucherndem Löwenzahn, büschligen, purpurnen Berberitzen und blassen, spät blühenden Veilchen,
wand sich noch die Porphyrflamme,
das freche, geflügelte, splitternackte Bübchen,
auf dessen zielend zurückgezognem Ellenbogenspitzchen in einem grünlichen Sonnentupf damals zierlich ein Marienkäferchen gesessen,
legte,
noch immer listig blinzelnd,
das rechte, halsbrecherisch erhobne Beinchen mit unwahrscheinlicher Gelenkigkeit noch immer grotesk um das linke, leicht vorgeknickte Kniekehlchen gezwirbelt,
das verschmitzte, lustige, breitgequetschte Pausbackengesichtchen schon halb verwittert,
noch immer den stumpfen, moosbefiederten, jetzt mit einem unschuldig zitternden Tautröpfchen behangenen Pfeil auf.
Wir küßten uns!
Aus dem brennenden Rund auf einem lichtlila Blütenteppich,
umspielt von zarten, ziehenden Fäden,
glitzerte
— die Rasenbank.

In den violetten Winternachmittag,
durch einen in allen Edelsteinfarben funkelnden Eispalmenwald,
zwischen dessen hängende Lianenbrücken wir uns runde Kucklöcher gehaucht hatten,
lugten wir
aus unserm warmen Stübchen.
Die wirre, wunderlich verzweigte Ulmenkrone
mit ihrem phantastischen Rauhreifgeäst,
das sich fast dicht bis unter unser breites, vorspringendes, schon rötlich bestrahltes Mansardenfensterchen drängte,
blitzte, glitzte und glinzerte,
die sich drüben auf den andern Platzseiten geduckt die Häuser Enflangstapfenden
sahen wie puckliche, aufgeplusterte, bis an die Nasenspitzen eingemummelte Samojeden aus,
ein unversehens über unsern Köpfen herabpolterndes, regenbogenbunt zersprühendes Miniaturlawinchen
versetzte uns in heilstes Entzücken!
Wir waren wie zwei Kinder I
Jeder bitterbös fegende Windstoß, der sich in kreiselnden, stäubenden Wirbeln quer über die freie, offne, glattvereiste Fläche drehte,
erhöhte unser Wohlgefühl,
jedes sich tapfer um eine Ecke klingelnde Schlittenglöckchen
erfreute sich unsrer beifälligsten Anerkennung,
den feisten Schneemann,
dem eine, wie es schien, antipatriotische, mit Pelzmützen, Schmierstiefeln, Fausthandschuhen, Ohrenklappen und gestrickten Wolljacken bewaffnete Jugend
den schiefen, festgefrornen, zerbeulten Kriegervereinscylinder schon halb abbombardirt hatte,
übermütig,
betitulirten wir „Onkel Theodor!«
Das flinke, geschäftig schnippische Rokokoührchen, das hinter uns tickerte,
holte unter seiner Glasglocke aus
und schlug Vesperzeit.
Auf dem geblümten Tischtuch,
zwischen den beiden feuervergoldeten,
mit lobenswert lieblicher landschaftlicher Emailmalerei behaglich beschilderten, behäbig ausladenden, blänkernden Henkeltassen,
prangte,
umlegt noch von allerhand Marzipan und Konfekt,
der mit siebenerlei verschieden geformten, kunstvoll von dir selbst gebackenen Mürbeteigtörtchen voller eingemachter Früchte sorglich versehene Kuchenteller,
die dicke, bauchige Kaffeemaschine
auf ihrem altväterischen, blankgeputzten, das leise, bläuliche Flämmchenspiel spiegelnden Messingtablett
dampfte, zischte, puffte, pustete und brodelte,
und aus dem braunen, von schlanken Ebenholzsäulchen flankirten, halbrundlichen Kommodenschränkchen,
in einem tiefen, geheimnisvoll zugedeckten, geschliffnen Glasschälchen,
überraschtest du mich
mit einer liebevoll großen, wohltuend schneeig gewölbten, mächtigen Doppelportion Schlagsahne.
Noch nie, seit die Welt besteht, hatte einem vom Weibe Gebornen
Irdisches
so seelenvoll geschmeckt!
An einem ovalen, schön orangegelb gefüllten Zuckergußkringelstern von unserm Weihnachtsbaum,
dem allerletzten,
mit seinem lichten, rührenden, drollig verschiebbaren Luftbläschen,
pietätvoll,
wollte sich keiner mehr vergreifen.

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Edelmütig und wohlwollend satt, schob ihn einer dem andern zu.
 
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