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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 113/114
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Döblin, Alfred: Der schwarze Vorhang, [8]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0071

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auf und ab. Als die stolze mit den fahlroten Haar-
strähnen über Stirn und Wangen geraden Blicks
vor sich hinsah und ging, stolperte sie und Johannes
griff nach ihr und hielt sie Seine Augen flackerten
über ihr Gesicht hin, deren Mundwinkel sich ver-
zerrten. Zwei starre drohsame Linien waren ihre
Lippen; ein Blick tötlicfieh Hasses traf ihn und sie
zischte zwischen den Zähnen.
Er schloß geblendet die Augen. Das Blut klopf-
te in seinen Händen. Ueber dunkelgrünes Moos
schritten sie. Johannes blieb zurück und brach
sich von einem niedrigen Baum einen hängenden
losen Ast, an dem Spinnengewebe mit ausgesoge-
nen trocknen Fliegenleichen wehten und legte ihn
sich über das Gesicht. Er keuchte leicht und ging
gebückt. Ueber seinen Nasenrücken floß Blut, das
auf seine'Jacke tropfte Tiefer stieg das weißlich-
helle Blau des Himmels zwischen die Bäume herab
und manchmal kamen sie sich ganz aus den Augen.
Irene lehnte gegen einen Baumstrunk, kroch
dann unter ein Gebüsch, und warf sich auf den
Rücken hin, mit gekrampften Fingern, als das Gras
unter Johannes Schritten raschelte. Der keuchte
und sah über sie hinweg, als wenn sie selber totes
Gras wäre. Der alte verächtliche Stolz lag auf
ihrem Gesicht; dann als sie ihm nachsah, flog ein
heller Hohn über die Schwingungen ihres Gesichts.
Weiter brachen sie sich ^Turch das Gehölz, irrten
langsamer ins Gras. Schließlich standen sie an
einem breiten Fahrweg, ohne sich anzusehen.
Von weitem stäubte ein Wagen heran; als er
anrollte, rief Jonannes den Führer an und hob die
stille kalte, die mit ge enkten Gesicht dastand, hin-
auf, wo sie ihm gegenübersaß. Sie hielt die Hände
auf den Rücken, als wenn sie gefesslt wäre, und
wenn sie den Kopf hob, streifte sie Johannes, den
Wagen und die Waldlandschaft mit einem leeren
verschlossenen Blick Johannes saß, die Arme auf
die Kniee gestützt, und den Kopf auf den Händen,
eingesunkenen Rückens vor ihr. Wenn seine
Augen den Saum ihres erdbeerfarbenen Kleides tra-
fen, regte sich in ihm ganz, ganz von weitem eine
Unruhe, so daß er nachsann; ohne zu finden, was
es war, ließ er es entschwinden. Er hatte ihren
Namen vergessen.
* *

Nachtigallen schluchzen dir entgegen. Du
schlürftest nie an einer Seele so bang und durstig.
Mir graut es vor dir. Du darfst mir nicht grol-
len; sollte dich wohl hassen und verachten
Warum wirfst du mich nicht hin und schlägst
mich, wenn meine Arme dich fortstoßen?
Aus der Ferne flüstere ich dir zwischen den
Zähnen alles zu; weh mir, wenn du mich hörst.
Oh, wie begehren meine Arme und Lippen dich,
nur dich. Komm zu mir du Entsetzlicher. Im
Traum und heimlich fiel ich zusammen und wenn
mein Leib sich in Trunkenheit wand, fuhr mir der
tolle Ekel mit dunstigen gallertigen Händen über
das Gesicht. In Blut und Schmutz schwamm ich;
zertrümmert mußte ich mehr leiden, als meine Zun-
ge sagen kann.
Oh in welche Schmach wirft es mich, daß ich
ein Weib bin. Genug duldete ich in mir und nun
wälzt es mich vor deine Füße hin Komm zu mir,
du Entsetzlicher. — Ich bin ganz von mir abge-
drängt, das Stumme in mir hast du sprechen ma-
chen; nun bette mich auch und laß rnch büßen, daß
ich Weib bin. Schlürftest nie an meiner Su so
bang und durstig. Meine Hände wollen in de en
zucken, wie Efeu wollen dich meine Gliede be-
drängen.
Du darfst mich ganz vernichten, denn nur lür
Dich bin ich aufgegrünt; für Dich verfinsterte i nd

hellte sich mein Mädchenblut und immer wieder
weihte es quellend um Dich, Johannes.
Ich müßte mich verwerfen, wenn du von mir
gehst.
Nachtigallen schluchzen Dir entgegen
Herr, so brenne mich.
* *
*
Schattenbilder.
Ein Weib geht über eine wellige Ebene, willen-
los, gleichsam, —- so- stetig ist das langsame Schrei-
ten. Viel' dünne lange Haarsträhnen fallen nach
vorn herunter über die gesenkte Stirn das Gesicht
bei Seite gewandt, geht das Weib. Es drückt die
Ellenbogen spitz in die Weichen, die Hände senk-
recht gehoben; die Finger sind gespreizt, und wie
um den Wind zu proben stehen die Handteller nach
vorn. Die Fußsohlen lüpfen sich langsam und dann
krümmt sich das Knie unter den folgsamen, nach-
giebigen Gewandfalten, und der Schatten geht
einem andern entgegen Der taucht aus der Erde
auf, den Kopf zurückgeworfen, mit reifen Lippen,
wandelt gegen sie zu, die in die Kniee sinkt, vor
seine Füße sinkt und seine Hüften umschlingt. Ver-
schwinden im Dunkel. Unter gellem Gelächter.

* *
*
Menschenstöhnen seshlägt zum Himmel.
Zankende Hände packen sich, abermals loht
Aug gegen Aug. Der Mensch soll nicht allein sein.
Jammern, Betteln, flehendes Wimmern an allen
Türen, verzweifeltes Rauben und Morden. Eine
himmlische Stimme ruft; hinter einer himmelsüßen
Maske sperrt sich ein Maul auf, funkeln zwei heiße
Augen, höhnend, die unersättliche Verlassenheit.
Liebe: ihr bester Biß und gelles Gelächter.
* i
*

Bald heischte ihr strenger Blick Gehorsam, bald
preßte der alte Stolz drohend ihren Mund und
straffte die Glieder. Ihr Schluchzen und Anklagen
fragte ihn: was bin ich Dir? Da mußte er sie
trösten, wie ein Kind, das man geschlagen und bei
Seite geworfen hat. Sii ballte die Fäuste, warf sich
in seine Arme, riß mit verzerrtem Gesicht an seinen
Haaren. Du hast mich in Händen, Du kannst mich
töten. Oh wie haßte sie ihn Seine Arme lagen
schwer auf zwei breiten Armlehnen; in sich ru-
hend hörte er sie kalt an, die seine Schenkel um-
schlug.
Ihre bittende Hingesunkenheit genoß er ruhend.
Er wollte sie noch ganz vernichten, im Mitleid seine
Macht ganz auskosten. Nun nannte sie ihre Schwä-
che und ihr Trostverlangen vor ihm, nun nannte
er seine almosenschenkende Ueberlegenheit vor
ihr: Liebe. Wie Kinder herzten sie sich und sahen
sich in die dunklen Augen.
Von ihrer Liebe trugen sie, wo sie gingen,
Gedanken mit sich herum, durch das Menschen-
gewühl, auf stillen Wegen Das Stärkste in ihnen
stärkte die Gedanken aneinander, die sie wie blaue
Heiligenscheine umgaben und wie hohe weiße Li-
lien in den Händen vor sich trugen. So klär wurde
jetzt alles. — Ruhig und gelassen lag ihre Hand
in seiner. Im Hintergründe ihrer Seelen regte sich
doch etwas wie ein großes Staunen: sie kannten
sich beide nicht mehr, wo die Schauer und Hin-
reißungen sie nicht mehr wild überfielen: „Bist Du
es eigentlich? — Nun suchten sie sich mit Neu-
begier auszuhorchen und nahe um den Herd zu
schwärmen, über den jene grausen Feuersflammen
gestanden hatten. Ganz nahe kamen sie sich in
diesem entzückt ängstlichen Forschen. Immer tie-

fer drangen seine Sinne in ihre Züge und Bewegun-
gen ein. Er fühlte und schmeckte sie aus, seine
Augen tasteten all ihre gleitenden Umrisse ab, sein
Ohr haschte nach den verschwiegensten und sel-
tensten Zaubern ihrer Stimme Dann erstaunte er
manchmal, wenn er sie ansah: wie er sich auch an-
strengte, so wußte er nicht mehr, ob sie schön war,
oder schöner als andere. In ihrem Gesicht fand er
sich wie in einem Wohnzimmer zurecht; er merkte,
daß er Irene nicht vergleichen konnte: wer war
Irene eigentlich? Da dämmerte ihm, daß er irgend
wie erblindet und verarmt sei. Nun ging sie nicht
mehr, scheuend wie eine ägyptische Königstochter,
neben ihm, sondern war eine Wolke im Himmel
oder ein Baum in der Allee Er hatte Irene ganz
eingesogen, so daß sie zu ihm gehörte. Ihr Bild
hatte sich in ihn eingedrängt; ja er hatte sie ver-
loren, aber sie besaß ihn jetzt, sie konnte er nicht
mehr lassen, sonst sefirieen seine Begierden nach
ihr. Und so hatte sie Macht über ihn, konnte ihn
verderben. Rächte sie sich nicht so?
Aber das glitt rasch überfein Herz hin, unbe-
griffen mit leichtem Armzucken, Spielen der Finger
und hastvollen Streichen der Wangen, während er
nachdenklich halb zerstreut, und verdrießlich ihre
Hand betrachtete und zu sich sagte: Ja, wie liebe
ich sie doch

Nun begann Lilith heimlich zu kranken. In has-
sender Gier berühren sich Zufallswesen und sonst
in nichts. Daß nicht eins das andere verschlingt,
daß waltet sie, Lilith, die Zähmerin, Grenzwäch-
terin. Sie ist mager, schlank, braunhaarig und
scheuäugig, zittert gar leicht. Die dünne rissige
Haut um dich und mich spannt sie. Sie zieht Zäune
und Staketen um alle Gärten, wiegt sich süß als
weicher Schnee auf den Aesten Wie ein Schmelz
ist sie an den Flügeln der Einsamen, lockt und
scheut zurück, -— Lilith. Mit immer neuem kühlen
Tau labt sie den eingeschlossenen, daß er vergißt
und nicht fühlt: Es giebt keine Brücken in der Welt,
nur eine dünne rissige Haut. In sein blaugrünes
Sehnen flüstert zart, beschämt und traurig Lilith,
die feinstimmige, streichelt ihm den Kopf. Nun
krankte Lilith und weinte Tag und Nacht
-— Während Irene den Haß und die Angst
vor dem Ueberl'egenen zu sänftigen suchte, indem
sie mit Zittern und wachsender Ruhe über die Ge-
heimnisse dieser furchtbaren Seele strich, drang
er mit Wut auf sie ein und sog an ihren innersten
Verborgenheiten. Jetzt wurden sie ganz frei von
einander. Nichts warf sie mehr nieder und zusam-
men Mit Spott übereinander und sich selbst, mit
verächtlichen Lachen gaben sie sich hin und ver-
sagten sich nichts von dem Glück ihrer Zweisam-
keit, mit wildestem Hohn nichts von den letzten
atemlosen Schwelgereien. Jetzt erst, wo keine
Krall'enhand ihnen mehr Tränen erpreßte, glaubten
sie frei zur Liebe zu sein, zwei Menschen, Johannes
und Irene. Wie Kätzchen die nach Wollfäden ha-
schen, um sie zu zerreißen, und sich auf den (Pföt-
chen aiufrehten und auf den Schwanz stützen, so
spielten sie mit ihrer Liebe und warfen sich lachend
auf den Rücken.
Und als die Erinnerung an die Schauer und Hin-
reißungen unter der strömenden Süße der Gegen-
wart ertrank, fischten sie die Leiche heraus, putzten
sie komisch, und gaben der Versunkenen ein Toten-
mahl von Scherzen und Küssen, und endloses Ge-
lächter hing wie Rosen darüber. Während sie
noch eben kein Ende des Staunens über jenes ent-
setzliche fremde Aneinanderdrängen fanden, daß
ihre Liebe und Freiheit verdunkelt hatte, und die-
sem seltsamen vergeblich nachsannen, wollte jetzt
alles klar hervortreten; aber nicht mehr fremd,
nicht mehr unbegreiflich dunkel und hoch:

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