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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 132
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Heinrich, Karl Borromäus: Menschen von Gottes Gnaden, [8]: aus den Bekenntnissen des Herrn Lieutnant Miéville, nachmaligen Paters Bonaventura S. J.
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0187

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mit einem Allerweltshailodri verwechseln und ihm
Pfennige hinwerfen, während er mit dem goldenen
Klingelbeutel seines Herzens Liebe einsammeln
will. — Das nun brauchte Schlagintweit von Baron
Frangart nicht zu befürchten, aber Liebe gab ihm
dieser auch nicht, konnte sie ihm nicht geben . . .
Oh über die süßen Schmerzen der Freundschaft!
Oh unbelohnte Liebe! Oh Schrei der Sehnsucht,
der ohne Echo verhallt! Oh verlorene, verlorene,
verlorene Jugend! . . .
„Ein schweigsamer Mensch ohne Echo zu sein,
wie Baron Frangart, ist aber auch keine Kleinig-
keit!“ dachte sich Schlagintweit. zog sein Herz aus
der Brust und wischte sich die Tränen damit ab.
Drittes Buch
. . . ior thou hast been
As one, in suffering all, that suffers nothing
(Denn, Du bist, während Du alles zu leiden hat-
test, gewesen wie Einer, dem nichts widerfuhr.)
Hamlet, dem Horatio zur Leichenrede
Eine ergebnislose Berufswahl
5FReif also wären wir jetzt!“ rief Schlagint-
weit lachend, als er am 14. Juli des Jahres 19 . .,
kurz vor Mittag, bei Baron Frangart eintrat, um
diesem, da er sich zur Abschiedsfeicr und letzten
Verteilung der Zensuren krank gemeldet hatte, das
Maturitätszeugnis zu überbringen.
„Die Frage ist nur, wozu?“ erwiderte Frangart
gelassen. — „Was mich betrifft, so weiß ich das
noch nicht, da studiere ich halt einstweilen Philo-
sophie, das ist für alle Fakultäten Vorschrift: acht
Kollegien Philosophie, achtmal sechzehn Mark pro
Kolleg macht um einhundertvierundzwanzig Mark
Philosophie, die mir der Staat gratis verzapft von
wegen Dürftigkeitszeugnis . . . Aber was Sie
studieren sollten, weiß ich wirklich nicht, Baron,
womöglich etwas, wo 's wenig Worte zu machen
gibt . . .“ — „Also jedenfalls nicht Philosophie!“
erwiderte Frangart. Dann erzählte er Schlagint-
weit, daß' er nach dem Willen zweier seliger Ver-
wandten, seiner Mutter und des Marquis Choiseul,
entweder Geistlicher werden oder in die deutsche
Armee cintreten solle. Schlagintweit lachte: „Aus-
gezeichnet. läßt sich beides vereinigen, werden
Sie einfach Militärgeistlicher!“ Als er aber sah,
daß Baron Frangart sehr ernst vor sich hin-
starrte, setzte er hinzu: „O, entschuldigen Sie
vielmals!“
Frangart hatte in diesen Tagen mit besten
Glückwünschen zur bestandenen Prüfung zwei
Schreiben bekommen, eins von seinem österrei-
chischen Vormund und das andere von einem Or-
densgenossen Mievilles (dieser selbst weilte gerade
bei den Trappisten und durfte also ohne Ver-
letzung der Hausregel keine Briefe schreiben).
Man machte ihm darin Mitteilungen vom Stand
seines Besitzes. Auf Frangart war alles unverän-
dert, jedoch hatte man, da der Baron es nicht be-
wohnen, zu wollen schien, die Dienstboten bis auf
zwei entlassen. Die Verwaltung des Schlosses
machte nur geringe Kosten, die von den Zinsen
der Stiftung Mievilles hinlänglich bestritten wer-
den konnten (eine Stiftung, welche Frangart. so-
bald er majorenn geworden wäre, abzulehnen ge-
dachte). Choiseul und Riom hatten, durch Ver-
mittlung einer jesuitischen Genossenschaft in Cler-
mond-Ferrand, ihren Käufer gefunden. Die Vor-
mundschaft hatte diesem Verkauf, wie sie er-
klärte, mit vielem Recht zugestimmt, weil bei den
jetzigen agrarischen Verhältnissen in Frankreich
die toten Liegenschaften wenig Erträgnis ver-
sprachen. Die von Marquis Choiseul eingerichte-
ten landwirtschaftlich-industriellen Betriebe in um-

fassender Weise fortzuiühren, habe sich für die
Vormundschaft als eine schwere und zu kostspie-
lige Aufgabe erwiesen. — Die Kaufsumme war be-
trächtlich und ihre Zinsen, zusammen mit denen
des von Marquis Choiseul hinterlassenen beweg-
lichen Kapitals, garantierten Baron Frangart eine
sehr hohe Rente. Die aus französischer Hinter-
lassenschaft geflossenen Kapitalien waren teils
beim französischen „Credit Foncier“ angelegt,
dessen Directeur-Tresorier, Monsieur Depagne,
Marquis Choiseul nahegestanden und ihn stets, in
ehrlichster Weise beraten hatte, teils in der besten
englischen Bank. Die Vormundschaft schrieb, sie
habe sich auch dazu berechtigt gehalten, ange-
sichts des niederen Standes aller österreichischen
Staatspapiere; auch könne sie keine Steuerhinter-
ziehung darin erblicken, daß diese Kapitalien im
Ausland verblieben; denn wenn' Choiseul und
Riom nicht verkauft worden wären, hätte man
diese Güter ja auch in Frankreich versteuern
müssen. Was endlich die Schulden des verstor-
benen Baron Frangart betreffe, seidieserhalb
noch das prozessuale Verfahren abhängig; der
Hauptgläubiger des Verschiedenen habe alle an-
dern Schuldforderungen zu niedrigsten Preisen
aufgekauft, sie mit den seinigen zusammen der
Vormundschaft präsentiert und, da Zahlung ver-
weigert worden sei, eingeklagt. In dem Prozeß
handle es sich — da der andere Besitz des jungen
Barons ja nicht aus der Frangartschen Familien-
hinterlassenschaft komme — nur um Schloß Fran-
gart selbst. Sollte das Gericht trotz nachgewie-
sener Gütertrennung der verstorbenen Eltern und
daraus hervorgehender rechtlicher Konsequenzen
gegen die Vormundschaft entscheiden, so werde
man, um Schloß Frangart seinem Erben zu erhal-
ten, die Schulden aus dem beweglichen Kapital be-
zahlen. Die Frage, ob diese Schulden schon ver-
jährt seien, da sie Baronin Frangart, auch als sie
in den erblichen Besitz des Schlosses gekommen
war, aus dessen Erträgnissen nicht habe bezahlen
können, sei gerichtlich noch nicht entschieden.
Im schlimmsten Falle werde man übrigens alles
tun, um sich auf eine möglichst geringe Abfindung
mit dem Gläubiger zu vergleichen und so die In-
teressen des Barons Frangart bestens zu wahren.
— Endlich machte die Vormundschaft Baron Fran-
gart darauf aufmerksam, daß er seinen Militär-
dienst in Oesterreich machen müsse, wenn nicht
die Entlassung aus dem österreichischen Staats-
verband und die Naturalisierung in Deutschland
angestrebt werde. Sollte aber Baron Frangart
jetzt schon in das deutsche-Heer cintreten wollen,
so müsse man eine Immediateingabe an Se. Ma-
jestät den Kaiser von Oesterreich richten. Immer-
hin habe der (zwanzigjährige) Baron Frangart
noch ein Jahr der Ueberlegung Zeit.
So war Baron Frangart auch von dieser Seite
und nicht nur von Schlagintweit an die Frage der
Berufswahl erinnert worden. Klar und ruhig
stellte er bei sich fest, daß es für einen Menschen
seiner Art letzten Endes wirklich nur zwei Mög-
lichkeiten gab: die eine, sein Geschlecht fortzu-
führen und in die Armee einzutreten, oder die an-
dere. den Namen Frangart sterben zu lassen und
sich dem Dienste Gottes zu widmen. So gingen
seine Ueberlegungen in einem Sinn, der dem Mar-
quis Choiseul wohlgefallen hätte: „Die katho-
lische Kirche und die' deutsche Armee, das ist das
herrlichste, was wir jetzt haben.“ Aber Baron
Frangart konnte sich nicht entschließen. Er achtete
das deutsche Heer, fühlte sich aber „wohlgeboren-
svyEvifc “ genüg, um für sich persönlich überzeugt
zu sein, daß er dessen Zucht entraten könne; und
die Idee, späterhin als Offizier selbst an dieser
Zucht mitzuwirken, erschien ihm zwar seiner eige-
nen Beschaffenheit würdiger; bei einigem Nach-

denken indes fand er, „daß es eine Höhe der Kul-
tur gebe, von der aus man auch auf alle, die da
noch herrschen wollen, Schul- und Militärzucht-
meister inbegriffen, apathisch herabsehe. Und
vielleicht, wahrscheinlich sogar, ja sicher, stehe
Fritz Freiherr von Frangart atif dieser Höhe.“ So
formulierten sich mit schwermütigem Stolz seine
Gedanken.
Was aber den geistlichen Stand betraf, so war
dies freilich der reinste, reinlichste, seiner tiefen
Ruhe angemessenste. Indes: das hatte Zeit. Und
ganz im Geheimen wartete Baron Frangart viel-
leicht doch auf etwas, was seinem gleich einer
Sonne in sich selbst ruhenden Wesen einen An-
stoß, Bewegung, und somit .Fruchtbarkeit geben
könne. Dann jedoch dachte er wieder des Ab-
scheus, mit dem ihm die Beweglichkeit der an-
deren („weniger kultivierten“) Menschen stets er-
füllt hatte. „Freilich, im Morast ist immer Bewe-
gung,“ sagte er schließlich laut; es schien aU ob
er die Anwesenheit des Menschen, der bekümmert
und schweigsam in seinem Zimmer saß, vergessen
hätte. „Aber der Morast stänke noch mehr, wenn
er immer ruhig daläge“; meinte dieser treuherzig.
„Allerdings der Morast stänke noch mehr, der
Morast schon . . .“• entgegnete Baron Frangart
kühl.
,JEs gibt noch etwas,“ meinte er schließlich,
„es gibt doch noch etwas drittes: den Genießer.
Ich könnte es mit diesem Beruf versuchen.“ —
„Soll ich mich also schleunigst empfehlen?“ fragte
Schlagintweit scherzend. —
Baron Frangart glaubte nicht recht an den Be-
ruf des Genießers. Aber Tatsache ist z. B„ daß
er im Herbst einmal den Zug nach Nizza bestieg;
am andern Tag kam er wieder nach München zu-
rück. Er war in Verona schon ausgestiegen, weil
zwei Juden, die im Speisewagen neben ihm saßen,
sich — nicht einmal sehr laut — darüber unter-
hielten, daß „im letzten Jahrhundert doch schon
vieles besser geworden sei, nur in Rußland noch
nicht“. Erzürnt stand Baron Frangart auf, indem
er dachte: „Ja, für euch schon, aber für unser-
einen nicht,“ begab sich in sein Coupe zurück und
verließ, wie gesagt, in Verona, der nächsten Sta-
tion, den Zug.
Einmal fuhr er auch nach Paris. (Marquis
Choiseul zum Beispiel hatte diese Stadt nur be-
treten, wenn er geschäftlich dort zu tun hatte.
„Zu privaten Zwecken geht ein Choiseul nicht in
die Hauptstadt der Revolution,“ hatte er geäußert.)
In Paris sah sich Baron Frangart alles an, die
Bars, wo die fashionabelsten Kokotten verkehrten, •
die maisons de rendez-vous, . die Spielsäle, die
Vaudevilles, die Folies-Bergeres, Moulin-rouge, die
Nacktbälle. Aber er sah das nur an und ging stets
wieder weg, bald vom schlechten Geruch, bald
von der Unreinlichkeit, bald von der unbeherrschr
ten Gier der „vorhandenen“ Leute beleidigt; er
genoß nichts. Nach vier Wochen yerließ er achsel-
zuckend die genußreichste Stadt der Welt.
In München durchschritt er ein einziges Mal
die Budenstadt auf. der Oktoberfestwiese. Das
Geplärr der Ausrufer, die unendlich komischen Bil-
der an den Budenwänden, das rastlose Kreischen
..der Orgelautomaten, die. verkitschten Golddeko-
rationen mit den tausend Glühlichtern darauf, amü-
sierten ihn einigermaßen. Er fand das einfältig,
aber fröhlich, dem .Geist der Massen richtig ange-
paßt. Aber wer beschreibt sein Entsetzen, als er
gegen Abend in die Nähe einer Bierbude kam and
einen schnellen Blick hineinwarf ! Schaudernd ge-
wahrte er dje überhitzten Gesichter der Leute,
ihren stieren Blick; ein verpesteter Geruch drang :
dick und betäubend, vermischt mit dem deliriösen.
Lärm einer s.chlampigen Mpsik,. aus der. Bpde her-,
aus. — Da zum ersten Mal ging Baron Frangart

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