fertigt. Außergewöhnlich scheint mir nur der Ar-
tikel in seiner Form in der Vorliebe für ehren-
kränkende Beleidigungen, mit denen der Künstler
und der Kunsthändler bedacht werden. Hier gegen
sollte zwar nicht der Künstler — denn nach meiner
unmaßgeblichen Meinung widerspricht das etwas
der Würde des Künstlers —- wohl aber der be-
troffene Kunsthändler mit allen Mitteln energisch
vorgehen.
Ihnen ein abschließendes Urteil über Kandins-
ky und sein Streben zu präsentieren, fühle ich
mich außerstande; vielleicht interessiert es Sie
aber, daß ich persönlich zwei Bilder von Kandinsky
besitze, die ich einmal gekauft habe, einfach weil
sie mir besonders gefielen. Ich habe an den Bildern
viel Freude und hoffe die Freude daran lange zu
behalten. Ich nehme es aber niemanden übel,
wenn er die Freude mit mir nicht teilen kann.
Hochachtend
Swarzenski
&
Wilhelm Hansensteiti
Sohr geehrter Herr Walden!
Sie hatten die Freundlichkeit, mir eine Notiz
des Hamburger Fremdenblatts über Wassily Kan-
dinsky zuzuschicken.
Sie nennen diese Notiz eine „unerhörte Be-
schimpfung Kandinskys“. Es handelt sich bei der
Notiz des Herrn vom Hamburger Fremdenblatt in
der Tat nicht um den Versuch einer Beurteilung
der Kunstdokumente, die wir Kandinsky verdan-
ken, sondern um eine platte Anödung der Person
dieses Malers. Es steht den Zeitgenossen frei,
über Kandinskys Kunst zu denken, wie sie wollen.
Es steht ihnen frei, sie abzulehnen. Aber es steht
ihnen, solange Schicklichkeit eine gütige Sache ist,
nicht frei, im literarischen Verkehr die Gesetze des
gesellschaftlichen Anstandes gering zu achten. Es
ist ganz im Allgemeinen gewöhnlich, chauvinis-
tische Instinkte zu reizen. Es ist doppelt gewöhn-
lich, wenn ein Herr, der beansprucht, als Kunst-
kritiker betrachtet zu werden, einen Fremden, der
wie Kandinsky mit allem Takt die Gastfreundschaft
Deutschlands genießt, mit einem eignen Ton als
„diesen Russen“ der nationalen Verachtung an-
empfiehlt
„Ueberlebensgroße Arroganz“, „Pfuscherei“,
„Extrakabinett“ im „Panoptikum“, „Idiotismus“,
„Größenwahnwitz“ etcetera und dazu einmal eine
verschämte reservatio mentalis, die milde von
einer „irren, also unverantwortlichen Malerseele“
redet: das ist nicht Kritik, sondern ganz einfach
bloß ein unfairer gesellschaftlicher Verkehrston.
Die Sache ist übrigens typisch. Vor wenigen
Tagen hat ein Herr Fahrenkrog in Barmen im
Kampf gegen die neue Kunst und ihre Vorkämpfer,
besonders gegen den hochverdienten Dr. Reiche,
die Höhe der deutschnationalen Noblesse und des
kritischen Scharfsinns erklommen, indem er die
Münchener Maler Alexei von Jawlensky und Wla-
dimir von Bechtejeff als „Polacken“ qualifizierte.
(Weshalb nicht lieber gleich auch als Juden? Es
ist übrigens sehr vergnüglich, zu sehen, daß dieser
Jargon gerade auf zwei Maler loshagelt, die in
den feudalsten russischen Regimentern Offiziere
gewesen sind — Personen, vor denen, wären sic
Deutsche mancher malende und kritisierende Un-
tertan bei uns instinktiv innerlich stramm stehen
würde. Die Vorstellung hat uns amüsiert.)
Neuerdings haben die Herren von der deutschen
Kunst nun auch noch den Praezeptor Germaniä
für sich: den Kunst- und Kulturwart, der einen
prachtvollen Cczanne mit der bildungverbreiten-
den Note „Genie und Faulheit?“ versieht.
Je mm - wer nicht weiß, daß es bon ton ist,
auch gegenüber Gegnern und gegenüber Leuten,
die mau nicht kennt, eine gewisse neutrale Kon-
vention der Höflichkeit einzuhalten, der erledigt
sich von selbst Man kann auf jede Frechheit ein-
gehen, die formulierte Bosheit, die Witz enthält.
Aber gegen stumpfen Untakt polemisiert man nicht.
Man registriert ihn für die Naturgeschichte der Kri-
tik, so wie man es registriert hat, daß der Pinsel
eines Delacroix seinerzeit ein besoffener Besen ge-
nannt wurde und daß man Courbet anwitzelte, er
lasse sich wohl nie rasieren, damit er mit seinem
borstigen Vollbart malen könne. In etlichen Jahren
kann mau den Ungeist, der gegen die neuen Künst-
ler mobilisiert wird, vielleicht nicht ohne Vorteil
für die Sache wieder einmal zitieren. Inzwischen
wollen wir ihn schlafen lassen.
Ich glaube, ein großer Teil der „Kritiken“, die
eher Injurien als Urteile sind, würde nicht ge-
schrieben, wenn die Herren eine Ahnung davon
hätten, was etwa ein Kandinsky menschlich und
künstlerisch ist. Manchmal verspürt man Lust, die
Bekenner und Schriftsteller wohlwollend an den
Ohren heranzuführen und ihnen zu sagen: hier das
ist er; so schaut er aus — gerade wie andere.
Ich schätze mich glücklich, mit Kandinsky per-
sönlich bekannt zu sein. Bevor ich ihn persönlich
kannte, hatte ich ein lebhaftes abstraktes Interesse
für seine Arbeiten. Sie gefielen mir und reizten
mich. Seit ich ihn persönlich kenne, verbindet mich
noch mehr mit ihm: ein ganz konkretes mensch-
liches Vertrauen zu seinen künstlerischen und mo-
ralischen Gesinnungen und eine hohe persönliche
Achtung vor seiner den Dingen des Lebens über-
legenen, differenzierten, dabei ruhigen und ein-
fachen Intelligenz. Er ist ein Mensch, an den ich
glaube.
Ich werde ihm die Bekenntnisse des aufgeregten
Hamburger Herrn bei Gelegenheit zeigen. Ich
freue mich schon jetzt auf sein Gesicht. Er wird
sie mit der wortlosen Tronic des Gentleman auf-
nehmen, die viel schöner ist als die gelungensten
Malicen und als die erhabensten Entrüstungen.
Das alles erzähle ich Ihnen, weil es mir Freude
macht, das alles von einem Menschen erzählen
zu können, und weil ich glaube, daß Sie Freunde
haben, zu denen man solche menschlichen Dinge
sagen kann und denen sie etwas bedeuten.
Als ich Kandinsky kennen lernte, war ich von
nichts so verblüfft, wie von seiner unbedingten
Duldsamkeit. Ich hatte mir immerhin einen Radi-
kalen gedacht: einen Prinzipiellen, einen Gewalt-
samen. Das Erste, was er mir sagte, war die ein-
fache Bemerkung, daß er seine Kunst für etwas
höchst Relatives halte.
Was will er? Er hat früher Arbeiten gemalt,
die das Niveau eines feinen Impressionismus haben.
Kleine russische Landschaften, die ich bei ihm
sah, haben aber schon von Anfang an eine eigen-
tümliche Tiefe: sie sind zwar wirklich, aber doch
w’ic losgelöst vom Wirklichen und scheinen eine
metaphysische Bedeutung zu haben, die über das.
Sujet hinausgeht. Sie sind unendlich bedeutender
als die wackeren, couragiert breitpinseligen Land-
schaften des Citrainalers Albert Lamm, der den
Ultramaler Kandinsky erschlagen hat.
Kandinsky erkannte, daß es — wollen wir
wirklich eine durchgebildete Kultur der male-
rischen Form — notwendig ist, die malerische
Form gleichsam rein darzustellen: gleichsam eine
Kritik der reinen Anschauung zu geben. (Ein
witziger Skeptiker machte das Bonmot: Kant und
Kandinsky.) Die künstlerischen Mittel sollten von
allem Materiellen gereinigt werden; Kandinsky
wollte die absolute Logik der Formen und Farben,
die absolute Gesetzlichkeit der malerischen Asso-
ziationen darstellen.
Es ist, wie ich glaube, in Kandinsky mancher-
lei Didaktisches — vielleicht sogar ein gewisses
Gefühl für das Recht des Akademischen, ein ge-
wisses Vorwalten der künstlerischen Intelligenz.
Aber diese Persönlichkeit ist viel zu komplex, um
damit bezeichnet zu sein. Mit diesem Rationalis-
mus ist eine Fülle der irrationalsten Sinnlichkeit
verbunden — freilich einer Sinnlichkeit nicht wie
bei Corinth, sondern einer Sinnlichkeit, die spi-
ritualisiert ist.
Und schließlich ist es auch wieder verkehrt,
zu meinen, Kandinskys Malerei sei vollkommen
ungegenständlich. Sie ist ohne physisches Motiv.
Aber sie ist nicht ohne geistiges Motiv. Kandinsky
ist ungewöhnlich musikalisch und ein Freund der
Musik und der Persönlichkeit Schönbergs. Was
er malt, das ist am Ende nicht rein abstrakt, son-
dern es ist darin viel Uebersetzung irrationaler
seelischer Empfindungszustände und Assoziationen
in farbige Aequivalente, die eine bestimmte Stärke,
eine bestimmte Breite, eine bestimmte Höhe
haben. Ein Ausdruck voll von Verhältnissen und
von Ordnung.
Es scheint mir lächerlich, die Möglichkeit einer
solchen Kunst zu bezweifeln. Man könnte gerade
so gut eine Farbenkomposition von Delacroix be-
zweifeln. Aber das tun nur die, die nicht wissen,
daß alle Kunst zuletzt den Zweck hat, die Form
möglichst rein darzustellen und sie von der
Schwere des Motivs — sei es physisch, sei es
psychisch — möglichst zu befreien.
Die ganze Entrüstung über Kandinsky ist dop-
pelt und dreifach absurd, weil Kandinsky nicht die
Spur eines Bedürfnisses nach Selbstinszenierung
gehabt hat. Ich habe noch nie einen reservierte-
ren Maler gesehen.
Weiter: Kandinsky ist überzeugt, daß sein Weg
nicht etwa das absolute neue Prinzip ist. Er
empfindet sich als Konservativen: in dem Sinn
etwa, in dem Signac sich als den Wahrer der for-
malen Traditionen eines Delacroix empfand.
Und endlich: er ist sicher, daß sehr bald wieder
eine Malerei beginnen werde, die von den phy-
sischen Realitäten ausgeht und mit den gereinigten
Mitteln der gegenwärtigen Kunst oder mit Mitteln,
die wir noch nicht sehen, eine neue künstlerische
Erschöpfung der physischen Welt versuchen wird.
Kandinsky betrachtet seine Kunst als eine Aus-
drucksmöglichkeit von bestimmter Art, der andere
Ausdrucksmöglichkeiten gegenübertreten sollen.
Aber selbstverständlich: mit vollem Glauben sucht
er nur die seine.
Kandinsky ist im Grund nichts als ein Reprä-
sentant eines neuen Idealismus. Idealismus ist
hier allerdings nicht das, was der treudeutsche
Avenarius darunter versteht. Idealismus ist gren-
zenloser.
Es ist lustig, daß wir den Idealismus gegen ein
Spezialorgan „für Ausdruckskultur“ verteidigen
sollen. Die Herren kämpfen gegen das, was sie
selber wollen. Oder wollen sie nicht eine Gesin-
nung. die der Gewalt der natürlichen Materie eine
ordnende und überwindende Geistigkeit des Aus-
drucks gegenüberstellt? Wohl. Aber mit Maß,
Und mit der Zeit wird jede Jugend mehr oder
minder Gartenlaube.
Warten wir ab: in zehn oder zwanzig Jahren
ist Kandinsky Mode. Das ist ein Gesetz der Gene-
rationsverschiebung. Er selber wird dann freilich
längst anders sein. Es ist nun einmal so in diesen
Zeiten zerspaltener Gesellschaftlichkeit, in der sich
Dinge, Menschen nicht aufeinander beziehen lassen:
der Kritiker rückt um zehn, das Publikum um
zwanzig Jahre hinter dem Künstler her. Das ist
übrigens noch sehr loyal: bei den Aelteren dauerte
es noch länger. Aber immer meinen Kritiker und
Publikum, sie seien der Praxis voraus und hätten
den Künstler zurechtzuweisen oder ihn für ver-
rückt zu erklären.
278
tikel in seiner Form in der Vorliebe für ehren-
kränkende Beleidigungen, mit denen der Künstler
und der Kunsthändler bedacht werden. Hier gegen
sollte zwar nicht der Künstler — denn nach meiner
unmaßgeblichen Meinung widerspricht das etwas
der Würde des Künstlers —- wohl aber der be-
troffene Kunsthändler mit allen Mitteln energisch
vorgehen.
Ihnen ein abschließendes Urteil über Kandins-
ky und sein Streben zu präsentieren, fühle ich
mich außerstande; vielleicht interessiert es Sie
aber, daß ich persönlich zwei Bilder von Kandinsky
besitze, die ich einmal gekauft habe, einfach weil
sie mir besonders gefielen. Ich habe an den Bildern
viel Freude und hoffe die Freude daran lange zu
behalten. Ich nehme es aber niemanden übel,
wenn er die Freude mit mir nicht teilen kann.
Hochachtend
Swarzenski
&
Wilhelm Hansensteiti
Sohr geehrter Herr Walden!
Sie hatten die Freundlichkeit, mir eine Notiz
des Hamburger Fremdenblatts über Wassily Kan-
dinsky zuzuschicken.
Sie nennen diese Notiz eine „unerhörte Be-
schimpfung Kandinskys“. Es handelt sich bei der
Notiz des Herrn vom Hamburger Fremdenblatt in
der Tat nicht um den Versuch einer Beurteilung
der Kunstdokumente, die wir Kandinsky verdan-
ken, sondern um eine platte Anödung der Person
dieses Malers. Es steht den Zeitgenossen frei,
über Kandinskys Kunst zu denken, wie sie wollen.
Es steht ihnen frei, sie abzulehnen. Aber es steht
ihnen, solange Schicklichkeit eine gütige Sache ist,
nicht frei, im literarischen Verkehr die Gesetze des
gesellschaftlichen Anstandes gering zu achten. Es
ist ganz im Allgemeinen gewöhnlich, chauvinis-
tische Instinkte zu reizen. Es ist doppelt gewöhn-
lich, wenn ein Herr, der beansprucht, als Kunst-
kritiker betrachtet zu werden, einen Fremden, der
wie Kandinsky mit allem Takt die Gastfreundschaft
Deutschlands genießt, mit einem eignen Ton als
„diesen Russen“ der nationalen Verachtung an-
empfiehlt
„Ueberlebensgroße Arroganz“, „Pfuscherei“,
„Extrakabinett“ im „Panoptikum“, „Idiotismus“,
„Größenwahnwitz“ etcetera und dazu einmal eine
verschämte reservatio mentalis, die milde von
einer „irren, also unverantwortlichen Malerseele“
redet: das ist nicht Kritik, sondern ganz einfach
bloß ein unfairer gesellschaftlicher Verkehrston.
Die Sache ist übrigens typisch. Vor wenigen
Tagen hat ein Herr Fahrenkrog in Barmen im
Kampf gegen die neue Kunst und ihre Vorkämpfer,
besonders gegen den hochverdienten Dr. Reiche,
die Höhe der deutschnationalen Noblesse und des
kritischen Scharfsinns erklommen, indem er die
Münchener Maler Alexei von Jawlensky und Wla-
dimir von Bechtejeff als „Polacken“ qualifizierte.
(Weshalb nicht lieber gleich auch als Juden? Es
ist übrigens sehr vergnüglich, zu sehen, daß dieser
Jargon gerade auf zwei Maler loshagelt, die in
den feudalsten russischen Regimentern Offiziere
gewesen sind — Personen, vor denen, wären sic
Deutsche mancher malende und kritisierende Un-
tertan bei uns instinktiv innerlich stramm stehen
würde. Die Vorstellung hat uns amüsiert.)
Neuerdings haben die Herren von der deutschen
Kunst nun auch noch den Praezeptor Germaniä
für sich: den Kunst- und Kulturwart, der einen
prachtvollen Cczanne mit der bildungverbreiten-
den Note „Genie und Faulheit?“ versieht.
Je mm - wer nicht weiß, daß es bon ton ist,
auch gegenüber Gegnern und gegenüber Leuten,
die mau nicht kennt, eine gewisse neutrale Kon-
vention der Höflichkeit einzuhalten, der erledigt
sich von selbst Man kann auf jede Frechheit ein-
gehen, die formulierte Bosheit, die Witz enthält.
Aber gegen stumpfen Untakt polemisiert man nicht.
Man registriert ihn für die Naturgeschichte der Kri-
tik, so wie man es registriert hat, daß der Pinsel
eines Delacroix seinerzeit ein besoffener Besen ge-
nannt wurde und daß man Courbet anwitzelte, er
lasse sich wohl nie rasieren, damit er mit seinem
borstigen Vollbart malen könne. In etlichen Jahren
kann mau den Ungeist, der gegen die neuen Künst-
ler mobilisiert wird, vielleicht nicht ohne Vorteil
für die Sache wieder einmal zitieren. Inzwischen
wollen wir ihn schlafen lassen.
Ich glaube, ein großer Teil der „Kritiken“, die
eher Injurien als Urteile sind, würde nicht ge-
schrieben, wenn die Herren eine Ahnung davon
hätten, was etwa ein Kandinsky menschlich und
künstlerisch ist. Manchmal verspürt man Lust, die
Bekenner und Schriftsteller wohlwollend an den
Ohren heranzuführen und ihnen zu sagen: hier das
ist er; so schaut er aus — gerade wie andere.
Ich schätze mich glücklich, mit Kandinsky per-
sönlich bekannt zu sein. Bevor ich ihn persönlich
kannte, hatte ich ein lebhaftes abstraktes Interesse
für seine Arbeiten. Sie gefielen mir und reizten
mich. Seit ich ihn persönlich kenne, verbindet mich
noch mehr mit ihm: ein ganz konkretes mensch-
liches Vertrauen zu seinen künstlerischen und mo-
ralischen Gesinnungen und eine hohe persönliche
Achtung vor seiner den Dingen des Lebens über-
legenen, differenzierten, dabei ruhigen und ein-
fachen Intelligenz. Er ist ein Mensch, an den ich
glaube.
Ich werde ihm die Bekenntnisse des aufgeregten
Hamburger Herrn bei Gelegenheit zeigen. Ich
freue mich schon jetzt auf sein Gesicht. Er wird
sie mit der wortlosen Tronic des Gentleman auf-
nehmen, die viel schöner ist als die gelungensten
Malicen und als die erhabensten Entrüstungen.
Das alles erzähle ich Ihnen, weil es mir Freude
macht, das alles von einem Menschen erzählen
zu können, und weil ich glaube, daß Sie Freunde
haben, zu denen man solche menschlichen Dinge
sagen kann und denen sie etwas bedeuten.
Als ich Kandinsky kennen lernte, war ich von
nichts so verblüfft, wie von seiner unbedingten
Duldsamkeit. Ich hatte mir immerhin einen Radi-
kalen gedacht: einen Prinzipiellen, einen Gewalt-
samen. Das Erste, was er mir sagte, war die ein-
fache Bemerkung, daß er seine Kunst für etwas
höchst Relatives halte.
Was will er? Er hat früher Arbeiten gemalt,
die das Niveau eines feinen Impressionismus haben.
Kleine russische Landschaften, die ich bei ihm
sah, haben aber schon von Anfang an eine eigen-
tümliche Tiefe: sie sind zwar wirklich, aber doch
w’ic losgelöst vom Wirklichen und scheinen eine
metaphysische Bedeutung zu haben, die über das.
Sujet hinausgeht. Sie sind unendlich bedeutender
als die wackeren, couragiert breitpinseligen Land-
schaften des Citrainalers Albert Lamm, der den
Ultramaler Kandinsky erschlagen hat.
Kandinsky erkannte, daß es — wollen wir
wirklich eine durchgebildete Kultur der male-
rischen Form — notwendig ist, die malerische
Form gleichsam rein darzustellen: gleichsam eine
Kritik der reinen Anschauung zu geben. (Ein
witziger Skeptiker machte das Bonmot: Kant und
Kandinsky.) Die künstlerischen Mittel sollten von
allem Materiellen gereinigt werden; Kandinsky
wollte die absolute Logik der Formen und Farben,
die absolute Gesetzlichkeit der malerischen Asso-
ziationen darstellen.
Es ist, wie ich glaube, in Kandinsky mancher-
lei Didaktisches — vielleicht sogar ein gewisses
Gefühl für das Recht des Akademischen, ein ge-
wisses Vorwalten der künstlerischen Intelligenz.
Aber diese Persönlichkeit ist viel zu komplex, um
damit bezeichnet zu sein. Mit diesem Rationalis-
mus ist eine Fülle der irrationalsten Sinnlichkeit
verbunden — freilich einer Sinnlichkeit nicht wie
bei Corinth, sondern einer Sinnlichkeit, die spi-
ritualisiert ist.
Und schließlich ist es auch wieder verkehrt,
zu meinen, Kandinskys Malerei sei vollkommen
ungegenständlich. Sie ist ohne physisches Motiv.
Aber sie ist nicht ohne geistiges Motiv. Kandinsky
ist ungewöhnlich musikalisch und ein Freund der
Musik und der Persönlichkeit Schönbergs. Was
er malt, das ist am Ende nicht rein abstrakt, son-
dern es ist darin viel Uebersetzung irrationaler
seelischer Empfindungszustände und Assoziationen
in farbige Aequivalente, die eine bestimmte Stärke,
eine bestimmte Breite, eine bestimmte Höhe
haben. Ein Ausdruck voll von Verhältnissen und
von Ordnung.
Es scheint mir lächerlich, die Möglichkeit einer
solchen Kunst zu bezweifeln. Man könnte gerade
so gut eine Farbenkomposition von Delacroix be-
zweifeln. Aber das tun nur die, die nicht wissen,
daß alle Kunst zuletzt den Zweck hat, die Form
möglichst rein darzustellen und sie von der
Schwere des Motivs — sei es physisch, sei es
psychisch — möglichst zu befreien.
Die ganze Entrüstung über Kandinsky ist dop-
pelt und dreifach absurd, weil Kandinsky nicht die
Spur eines Bedürfnisses nach Selbstinszenierung
gehabt hat. Ich habe noch nie einen reservierte-
ren Maler gesehen.
Weiter: Kandinsky ist überzeugt, daß sein Weg
nicht etwa das absolute neue Prinzip ist. Er
empfindet sich als Konservativen: in dem Sinn
etwa, in dem Signac sich als den Wahrer der for-
malen Traditionen eines Delacroix empfand.
Und endlich: er ist sicher, daß sehr bald wieder
eine Malerei beginnen werde, die von den phy-
sischen Realitäten ausgeht und mit den gereinigten
Mitteln der gegenwärtigen Kunst oder mit Mitteln,
die wir noch nicht sehen, eine neue künstlerische
Erschöpfung der physischen Welt versuchen wird.
Kandinsky betrachtet seine Kunst als eine Aus-
drucksmöglichkeit von bestimmter Art, der andere
Ausdrucksmöglichkeiten gegenübertreten sollen.
Aber selbstverständlich: mit vollem Glauben sucht
er nur die seine.
Kandinsky ist im Grund nichts als ein Reprä-
sentant eines neuen Idealismus. Idealismus ist
hier allerdings nicht das, was der treudeutsche
Avenarius darunter versteht. Idealismus ist gren-
zenloser.
Es ist lustig, daß wir den Idealismus gegen ein
Spezialorgan „für Ausdruckskultur“ verteidigen
sollen. Die Herren kämpfen gegen das, was sie
selber wollen. Oder wollen sie nicht eine Gesin-
nung. die der Gewalt der natürlichen Materie eine
ordnende und überwindende Geistigkeit des Aus-
drucks gegenüberstellt? Wohl. Aber mit Maß,
Und mit der Zeit wird jede Jugend mehr oder
minder Gartenlaube.
Warten wir ab: in zehn oder zwanzig Jahren
ist Kandinsky Mode. Das ist ein Gesetz der Gene-
rationsverschiebung. Er selber wird dann freilich
längst anders sein. Es ist nun einmal so in diesen
Zeiten zerspaltener Gesellschaftlichkeit, in der sich
Dinge, Menschen nicht aufeinander beziehen lassen:
der Kritiker rückt um zehn, das Publikum um
zwanzig Jahre hinter dem Künstler her. Das ist
übrigens noch sehr loyal: bei den Aelteren dauerte
es noch länger. Aber immer meinen Kritiker und
Publikum, sie seien der Praxis voraus und hätten
den Künstler zurechtzuweisen oder ihn für ver-
rückt zu erklären.
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