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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 150/151
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Döblin, Alfred: Futuristische Worttechnik: offener Brief an F. T. Marinetti
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0280

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Störungen und Fälschungen, die die künstlerische
Produktion durch Vers und Rhythmik erleidet.
Das Zwingende, Ablenkende, Selbstgenießerische
in der Versdynamik nageln Sie fest, und warnen,
klagen um die entschlüpfte Realität. Wollte einer
Hummern fangen und bekam Schläge von Mari-
netti, weil er nicht Kohlrabi gefischt hat. Es kommt
drauf an. Marinetti, was einer will; wenn Sie ins
Cafe gehen, werden Sie schwerlich Artilleriefeuer
von dem Oberkellner verlangen. Wenn Baude-
laire sich von dem Rhythmus bewältigen läßt und
durch den Mund dieser Bewegung redet, auf dem
Rücken dieser Welle schwimmt, so weiß er. was
er tut. Und was gehen Sie ihn an, Marinetti! Er
ist ein Künstler wie Sie; die Sachlichkeit, mit der
er zu tun hat, kennt er besser als sie. Sic sind
kein Vormund der Künstler. Das käme auf Epi-
gonenzüchtung, auf Ihren Selbstmord hinaus. Sie
meinen doch nicht etwa, es gäbe nur eine einzige
Wirklichkeit, und identifizieren die Welt Ihrer
Automobile Aeroplane und Maschinengewehre
mit der Welt? So weit sind wir nicht; so dick
ist Ihr Bauch nicht, daß nur ich noch darin Platz
hätte. Oder schreiben gar der kantigen, hörbaren,
farbigen Welt eine absolute Realität zu, der wir
uns ehrfürchtig als Protokollführer zu nähern hät-
ten? Sollten Sie das, der Künstler, meinen, und
in dem Sinne unentrinnbaren Naturalismus lehren?
Entsetzlich, — und doch scheint es fast, wahr zu
sein. Wir sollen einzig das Meckern, Paffen, Rat-
tern, Heulen, Näseln der irdischen Dinge imitieren,
das Tempo der Realität zu erreichen suchen, und
dies sollte nicht Phonographie, sondern Kunst, und
nicht nur Kunst, sondern Futurismus heißen? Sie
sollten ahnungslos diese lütte lütte Verwechslung:
Realität ist Dinglichkeit fertig gebracht haben,
Sie, Marinetti? Manchmal glaube ich das wirk-
lich! Und darum vergaßen Sie momentan, warum
die Rhythmik und Verskunst Baudelaires-Mal-
larmes gut, notwendig und himmlich ist: weil die
Kunst auch Narkotika gibt, Stimulantia, über und
unter die Wirklichkeit zeigen kann, weil in die-
sem Ansteigen des Tones, seinem Ausstreuem und
bewegsamen Sinken Rausch und Flug liegt, —
Sie sind doch zu wenig Aeroplan gefahren —,
weil ruhig unter dieser Musik der Worte der
„sachliche“ Inhalt, der „dingliche“ Inhalt gegen-
standslos,. sinnlos werden kann, zurücktreten, sich
verflüchtigen kann. Diese und andere Musik
schleppt nur müde an die „Dinge“, die hinter ihr
hcrpoltern. Unsere deutschen Mystiker haben
unendlich oft so gedichtet; verwirrend und da-
hinter eine dunklere Wirklichkeit andeutend; sie
klimperten, rauschten nur nach mit den Worten.
Und das ist keiner Realität Zwang angetan, dem
Dichter kein Zwang angetan, keine Fälschung ge-
schehen, — und wir, die es lasen, fühlten das Be-
langlose der Worte mit. Können muß mans, Ma-
rinetti, das ists. Und sie haben einen Augen-
blick ein sehr starkes Wort und einen sehr
schwachen Gedanken geäußert.
*
Was Sie wollen, ist klar, — wenn Sie auch das
Kind mit dem Bade ausschütten. Das alte Lied:
.Dichter heran müssen wir an das Leben.
Das Leben bietet noch kolossale Schätze, für
deren Hebung wir keine Schaufeln haben. Wir
haben nicht nur kein Handwerkszeug, sondern
steigen. geschminkt, mit Lackschuhen und parfü-
mierten Röcken in das Bergwerk. In Ihrer Hast
überrennen Sie, mit sachgemäßer Hacke, Leder-
zeug und Lampe, sehr freie und große Dinge. Im
Grunde sollte ich gar nicht gegen Sie polemisie-
ren, denn es ist zu klar um wessenwillen Sie
irren, um Ihretwillen, um ein paar Schlacht-
beschreibungen willen, deren Tempo und Lärm Sie

famos, in der Tat herausbringen. Aber darum
keine Aufregung, keine Revolution; machen Sies
nur recht gut; wir freuen uns darüber; es gibt
im übrigen noch andere Dinge als Schlachten,
und, — unter uns —, man kann sogar eine Schlacht
noch ganz anders „machen“, als Sie es gemacht
haben.
Aber am schlimmsten, gefährlichsten sind Sie
in Ihrer Monomanie, denn Sie sind monoman —
wo Sie der Syntax zu Leibe gehen, der Schlach-
tenplastik zu Liebe. Diese Verallgemeinerung
linde ich horribel. Wie verstehen Sie das Ad-
jektiv, Adverb! Es gibt in einem kompletten Satz
verschiedene Valenzen; es dominieren verschie-
dene Satzfunktionäre, bald Subjekt, bald Verb,
bald Adverb; Sie können die Wucht eines Wertes
erhöhen, abschw'ächen, Sie können Sätze kürzen,
können in Perioden rollen, können ein einzelnes
Wort. Substantiv, Adjektiv, Verb, Adverb, einzeln
setzen, gerade so können Sie außerordentlich
nahe an die Realität heran. Ganz nach Belieben,
je nach dem, je nach Ihnen, und wozu auf einmal
diese Amputation? Wir wollen doch nicht alle
brüllen, schießen, knattern, Marinetti; Sie wer-
den mir doch gestatten, eine heiße Mandelmilch
zu trinken, oder eine Torte mit Sahne zu essen,
oder Ihnen das Konzept zu verderben, je nach dem.
je nach mir! Und wenn Sic nur gelegentlich, für
besondere Zwecke, so schreiben wollen, so hin-
dert Sie niemand daran: wir freuen uns über
jeden originellen und kraftvollen Stil; in dem hei-
ßen Wirklichkeitsdrang sind wir Kameraden; —
aber darum keine kategorische Erlasse an uns,
die alles so gut, manches noch besser wissen und
können als Sie, darum keine welterschütternde
Geste und Totschlaggebärden. So tragisch
gackern unsere Hennen nicht. Marinetti, Sie grei-
fen uns an; Sie schimpfen uns Passeisten und
rückständig; ich verteidige nicht nur meine Lite-
ratur, sondern greife auch Ihre an.
Ich sage: man kann Ihre Schlacht noch viel
besser machen. Ihre Schlacht ist von Anfang bis
Ende vollgestopft mit Bildern, Analogien, Gleich-
nissen. Gut, aber das sieht mir nicht sehr modern
aus, ist doch rechte, biderbe; alte Literatur; ich
schenke Ihnen alle Bilder, — aber heran an die
Schlacht! Direkt, Marinetti! Ja, das ist bequem,
den Feldherrrn eine „Insel“ nennen, die Köpfe
wie Fußbäile fliegen zu lassen, die zerrissenen
Bäuche wie Gießkannen sprudeln zu lassen.
Spielerei! ■ Antiquiert! Museum! Wo sind die
Köpfe, was ist mit den Bäuchen!? Und Sie wol-
len Futurist sein? Das ist übler Aesthetizismus!
Die Dinge sind einzigartig; ein Bauch ist ein
Bauch und keilte Gießkanne: Das ist das ABC
der Naturalisten, des echten direkten Künstlers.
Sich die Bilder verkneifen, ist das Problem des
Prosaikers. Um solch • Durcheinander von Geo-
metrie, Beobachtungen, literarischen Reminiszen-
zen, Psychologismen zu geben, brauchte es des
ganzen bedrohlichen Aufwandes nicht. Die
„Insel“ des Feldherrn ist ein banales, verblaßtes
Bild, — und da will ich Ihnen gleich zeigen, was
und wie wenig der Telegrammstil leistet. Sie
geben dem Leser Hörer kurze Stichworte zu dem
Hauptwort; Etikette an viele Ihrer befreiten Sub-
stantive: Köpfe-Fußbälle, Bäuche-Gießkannen“ etc.
Wie bequem und wie dünn ist das, wenn schon
Bilder, Assoziationen, Indirektes, dann auch ganz.
Sie überschätzen nämlich den Hörer, Leser; Sie
schieben ihre Aufgabe, dies Bildmaterial zu formen,
ihm zu, Einiges blieb auch mir unverständlich von
Ihren Assoziationsreihen, und was gehen mich Ihre
Assoziationsreihen an, wenn Sie sich nicht die
Mühe geben, sie verständlich hinzusetzen: die Ka-
tastrophe der fehlenden Interpunktion und der
fehlenden. Syntax; denn ;.Sie haben Assoziationen,

und das sind Bindungen, und Sie vermögen diese
Bindungen auf keine Weise zum Ausdruck zu
bringen. Sie vermissen, — man sieht es alle zwei
Zeilen — die Syntax, suchen um sie herum zu
kommen. Sie zwingen, vergewaltigen Ihre Einfälle,
lassen sie unverständlich bleiben, um nicht gegen
das Prinzip zu verstoßen. Das ist eine Rohheit
gegen die Kunst; Methode hat in der Kunst kein
Platz, der Wahnsinn ist besser. Und was sagt mir
Ihr adjektiv-befreites, verbloses, adverbloses:
„Feldherr-Insel“, das sonstige Hintereinander un-
verbundener Substantive, die blank vorübertreten
wie geschorene Pudel? Es bleibt alles, fast alles
im Unbestimmten. Leeren schweben; mir besagt
„Feldherr“ nichts, der Zusatz „Insel“ macht cs
nicht besser, — in Ihrem Kopfe steckt alles viel-
leicht richtig, aber es ist nicht herrausgekommen.,
noch nicht gedichtet, zu sprechlicher Realität ge-
diehen, — ob mit, ob ohne Perioden ist mir gleich.
Ich will nicht nur fünfzigmal: „trumb-trumb, täte-
tereta“, etc hören, die keine größere Sprechherr-
schaft erfordern, sondern Ihren Feldherrn, Ihre
Araber sehen, — aber die können Sic mir nicht
zeigen. Sie strecken die Waffen, wo das heißeste
Bemühen des Prosaikers anfängt. „Ammoniak.
Klinik, Bistouri, Stierkampf“ etc. sind Randbemer-
kungen; ich will um die eigentümliche atemlose
Realität einer Schlacht nicht durch Theorien be-
trogen werden, — das Temperament macht es bei
mir auch nicht —; Sie suchten alles so zu verdich-
ten, daß bei diesem Kondensationsprozeß ihre Re-
torten in Stücke gegangen sind und Sie uns nun
die Scherben als Proben Ihrer Kunst vorzeigen
müssen. Ecce Müll. Ein Feldherr kann durch eine
Bewegung plastisch hingestellt werden, muß: muß
so hingestellt werden, sonst ist alles nur Ge-
schwätz, Ihre Kavallerie schwimmt ohne Pferde
und Soldaten durch den leeren Raum; nichts von
Bodenschwingung, jLuftverdrängung, „Kavallerie“
schlankweg: damit kann ich nichts anfangen; das
ist blaß und leer wie „Sonne“, „Geist“, völlig ab-
strakt. Das Kanonengebrüll, die Schrapnells
machen mich zwar taub, aber nicht blind. Aber zu
solcher Abstraktion sind Sie durch Ihre Theorie
verdammt.
Lieber Marinetti, in Ihrem „Marfarka“ gaben
Sie eine leidenschaftliche Mischung von Dra-
ma, Roman, Lyrik; Ihre Gedichtsammlung
nennen Sie „Destruction“; Ihre letzte Bemühung
wirft sich auf das stählerne Gerüst der Sprache:
die Matratze blieb heil; Sie flogen in die Luft. An
der Ehrlichkeit Ihrer Bemühungen ist kein Zweifel;
aber ich finde es bedauerlich für Sie, daß Sie dau-
ernd Mauern vor sich sehen müssen, daß Sie
immer anrennen müssen und Ihnen nicht die Leich-
tigkeit des reinen untheoretischen Dichters ge-
geben ist, der die Mauern überfliegt. Sie werden
vergeblich Ihre Ueberredungsgabe an uns ver-
schwenden, die selbst schreiben. Man erzielt
Plastik, Konzentration und Intensität auf viele
Weisen; Ihre Weise ist sicher nicht die beste, kaum
eine gute. Bemühen Sie sich, und lernen Sie bei
uns! Ihre Bücher haben bewiesen, daß Sie Künst-
ler, Dichter sind, und die Energie Ihrer Instinkte,
die Freiheit und Reinheit Ihres Naturalisums, Ihre
Antierotik finden unsere volle Sympathie, meine
volle Sympathie. Aber vergessen Sie nie, daß es
keine Kunst, sondern nur Künstler gibt, daß jeder
auf seine Weise wächst, daß einer behufsäm mit
dem andern umspringen muß. Es gibt kein litera-
rischen Massen- und Universalartikel. Was man
sich nicht selbst erobert, bleibt verloren. Gehen
Sie nicht weiter auf Herdenzüchtung aus; es gibt
viel Lärm dabei und wenig Wolle. Bringen Sie Ihr
Schaf ins Trockne. Pflegen Sie Ihren Futurismus,
Ich pflege meinen Döblinismus.
w. . : ■ . ; . r / , v 11 ■ JI / *

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