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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 5.1913

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3. Heft
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Friedeberger, Hans: Das Lebenswerk Lovis Corinths
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https://doi.org/10.11588/diglit.26374#0124

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DAS LEBENSWERK LOVIS CORINTHS

T^Tun erfährt a!fo auch Lovis Corinth feine
JL\. „abfchließende Behandlung", denn Caffirer
hat fein Lebenswerk in der Sezeffion ausgeftellt,
und in kurzem wird die erfte grundlegende
Monographie über ihn erfcheinenF Das mag
beinahe unberechtigt erfcheinen gegenüber der
Fülle und Frifche und felbft der Wandlungs-
fähigkeit, die gerade aus der Produktion des
letzten Jahres fpricht. Aber man hat doch fchon
zu oft in leßter Zeit das Bedürfnis empfunden,
über die Art und den Wert diefes Talentes einmal
gründlich ins klare zu kommen, um nicht dank-
bar dafür zu fein, daß einem hier die Früchte
von einigen dreißig Jahren zu einer überficht-
lichen Betrachtung vorgelegt werden, die noch
förderlicher geraten wäre, wenn nicht altes und
neues fo bunt durcheinander hinge.
Immerhin wird fo viel ohne weiteres klar:
daß hier ein Maler am Werk ift, einer, dem der
Pinfel ein notwendiges Inftrument der Lebens-
äußerung ift, und daß diefes ganze Werk nur
zu begreifen ift vom Metier aus. Es ift meiner
Anficht nach grundfalfch, bei der Betrachtung
des Corinthfchen Schaffens den künftlerifchen
Spieltrieb und das Genießen zum Schlüffel des
Verftändniffes zu machen. Es ift vielmehr ein
Zwang bei ihm, gewonnene Eindrücke optifch
außerhalb feiner darzuftellen, und zu diefem
Zwange kommt noch ein anderes: eine außer-
gewöhnlich ftarke und fubtile Empfindung für
die Funktion, für das Schwellen und Vibrieren
der organifchen Form, und eine feltene Meifter-
fchaft, diefes Empfundene und Verftandene der
Wiedergabe mitzuteilen. Von hier aus ift es
auch als notwendig zu begreifen, daß diefe
Kunft immer wieder zum Akt in verhüllter und
unverhüllter Form zurückkehren mußte, zum
weiblichen zumal, und daß zu den fchlechtweg
unvergleichlichen Stücken der Ausftellung Dinge
wie dieBathfeba von 1908, wie das Bild „Nackt-
heit" vom felben Jahre gehören, oder vollends
ein Werk wie „der Kuß", in dem neben der
Funktion des Körpers nun auch noch feine Ge-
bärde, der Sinn der gelöften Glieder als der Aus-
druck willenlofer Hingabe, zu überzeugendem
Dafein gebracht ift.
Verhältnismäßig fpät beginnt das anhaltende
Intereffe an der fogenannten unbefeelten Natur
und die Herrfchaft darüber, die fich dann freilich
zu einer wundervollen, echt deutfchen Belebung
und fogar Befeelung der toten Materie fteigert.
Es beginnt, ziemlich gleichzeitig, mit den Bildern
der Schlächterläden und den erften Interieur-
und Blumenftücken. Später kommen Stilleben
dazu, fehr fpät erft Landfchaften, die wirklich

hervorragenden erft aus dem leßten Jahre, wie
es denn überhaupt den Anfchein hat, als habe
er fich gerade in diefem lebten Jahre mit einer
wahren Gier den ganzen Umkreis der Erfchei-
nungen zu eigen machen wollen. Und von
diefen Dingen fcheint auch eine neue Farbigkeit
in das Oeuvre gekommen zu fein, namentlich
von den Biumenftücken her, die auch fonft mit
ihrem überrafchenden Reichtum, in ihrer außer-
ordentlichen Charakterifierung der Materie, der
fie den Schein höherer Belebung leihen, Höhe-
punkte diefes Schaffens bedeuten. Zum erften
Male ift auch in dem Obftgarten im November,
neben dem wundervolien Ausdruck der weichen
Regenftimmung, der Verfuch bemerkbar, ein
Bild nur durch die Farbe zu disponieren. Es
ift überhaupt erftaunlich, wie fpät eigentlich der
blonde Fleifchton, der fo bezeichnend für diefen
Meifter fcheint, herrfchend wird. Er ift fchon
früh ab und zu da, etwa fchon in der eminenten
Königsberger Badeanftalt, aber er verfchwindet
immer wieder vor den hellen, trocknen Münchner
Farben und dem Gelb der Akademie Julian.
Noch in den Jahren zwifchen 1900 und 1909
wird er nicht deutlich merkbar. Man kennt zu-
fällig das Aktmodell zu einigen der Bilder aus
diefen Jahren. Es gibt kaum einen farbigeren
Körper, und trot$dem ift der Eindruck auf Co-
rinths Bildern der eines grauen oder gelblichen
Fleifchtons. Möglich übrigens, daß hier nur zu
oft Farben benußt find, die fich ungewöhnlich
ftark verändern und verdunkeln. Wenigftens
fieht der Stier, der einft die Befucher der Sezef-
fionsausftellungen durch fein Blau verblüffte,
jeßt fehr ehrbar fchwarz aus.
Wenn nun diefer Mann, der Natur und nur
Natur — wenn auch freilich im Sinne einer
höchften, logifch-notwendig interpretierenden
Wiedergabe — fchildern wollte, vor die Auf-
gabe des Porträts geftellt wurde, fo durfte man
fragen, ob nicht dabei hinter dem ftarken Ein-
druck der organifch-bewegten Körperlichkeit der
Ausdruck des inneren Lebens und der Perfön-
lichkeit zurücktreten würde. Es find nun dabei
Stücke entftanden, die an ungefchminkter, fcho-
nungslofer Wiedergabe, freilich auch an Über-
zeugungskraft und Lebendigkeit der äußeren
Erfcheinung, nicht ihres gleichen haben, aber hier
ift auch der Punkt, wo Corinth mehr zu geben
verfuchte und mehr gab, nämlich Pfychologie.
Das Bildnis Anforges, der Peter Hille, der Herr
R. S. find Beifpiele dafür, aber auch die Bild-
niffe des Grafen Keyferling, das frühe, kränklich-
vornehme Gerhart Hauptmanns und das Alfred
Kerrs, das mit feiner, ironifch-nachfühlenderArt
die künftlich-geftraffte Pofe gibt, und fie liefern
den Beweis, daß durchaus nicht nur Kraft, brutale,

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