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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921

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Heft 4
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Wolfradt, Willi: George Grosz
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0123

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George Grosz

AM 72 / Von 1V77VV WOAF7?ADr

enn heute der Sinn, die Bedeutung, ja die Möglichkeit der Kunft für unfere


Epoche in Zweifel gezogen wird, [o liegt dem, bei aller Unzulänglichkeit der

* V Argumentation und Starrheit der Begriffsbildung im einzelnen Fall, eine ele-
mentare und unabweisbare Einficht zugrunde. Ob Oswald Spengler dem abendländifchen
Fjerbfte die Potenz der großen künftlerifchen Schöpfung beftreitet und den Kunftbefliffenen
zuruft, lieber Lokomotivführer zu werden, — ob Aktiviften gegen die in [ich beruhigte
Selbftzweckücßkeit der reinen Kunft aufbegehren und dem Künftler feine politifcßen
Verpflichtungen ins Gewijfen zu hämmern trachten, — ob die mehr unverfehens ent-
standene und daher mehr naturhafte als künftlerifche Produktion des primitiven Menfchen
und des Kindes zu überwiegendem Einfluß gelangt und die Vorbilder der traditionellen
künftlerifcßen Kultur zurückdrängt, — ob ein Künftler wie George Grosz es weit von
[ich weift, ein Künftler zu fein, — es zeigt fid) in alledem ftels das Gleiche. Alle
Symptome diefer Art beweifen nun gewiß nicht, daß die Kunft wirklich ftirbt, aber doch
immerhin, daß ihre Autorität nicht mehr unantaftbar ift, daß die Anfcßauung der Gegen-
wart ißr die bevorrechtete Stellung ernftlich beftreitet, daß ihre Geltung im Schwinden
ift und fid) ihr Verhältnis zum praktifchen, äußeren Leben wcfentlich verfcßoben hat.
Es handelt fiel) dabei wohl nicht nur um jenen alten Gegenfa^ zwifdten dem l'art
pour l'art-Prinzip und der Tendenzkunft. gum mindeften will er neu gedeutet fein.
Die Frage ift nicht fo fet)r, ob die künftlerifche Intention als folche externen gweck-
fe^ungen unterftehen folle, fondern eher die nach der inneren Berechtigung der künft-
lerifchen Intention überhaupt. Ift nicht in unferer zerriffenen und wüften, materiell
ausgepowerten, rid)tungslofen geit der Künftler ein lächerlicher Anachronismus ge-
worden? Ift nicht Kunft nur eine recht muffige Frucht vom Balkonbäumchen bürgerlid)-
romanlifcher Idealität? Ein kleiner, aufgeblähter Göt^e mit anmaßenden Anfprüchen,
denen ftattzugeben fid) unfere geit einmal nicht leiften kann, andererfeits nicht das
gemäßigte Temperament hat, feit fie heftig, fkeptifch, raftlos, univerfaliftifd) geworden ift?
(dir ftehen in doppeltem gugwind und er ift deutlich zu fpüren für jeden Kopf, der
fid) über die Selbftverftändlicl)keiten aufzurecken getraut. Der eine bläft aus Often, der
andere aus (Heften. Sie zerblafen viel alt-europäifd)e Form, fo die der Atelierkunft
der Kunft als Beruf. Dem Amerikanismus ift fie kein gültiger Beruf, dem Ruffentum
keine vollgültige Kunft; der weftlichen Anfchauung wird Kunft, der öftlici)en Beruf
immer dubiofer. Nun freilich find das eben doch nur Strömungen, keine lebten, zur
Entfdßeidung herausfordernden (Horte. Europas Mitte könnte als Balancepunkt der
Gegenfä^e gerade die Funktion haben, einen durch die Erfd)ü!terung in der Synthefe
nur noch intenfivierten Typus des Künftlers zu erfchaffen.
Erft eine andere geit, die als vollzogen vor fid) hat, worauf wir nur erft hoffen
können: diefe Geburt des neuen Künftlers aus zwiefacher Skepfis heraus, wird zu
fehen vermögen, wieviel davon fid) in George Grosz bereits realifiert hat. Aber
wir dürfen fcl)on jet$t feine oppofitionelle Stellung zum Künftlertum, fein Fjinundt)er-
geriffenfein von öftlichen und weftlichen Dämonien niemals außer acht laffen. Die
moderne Kunft hat ja allgemein diefen bipolaren Produktcharakter, um trotzdem ganz
der künftlerifd)en (Hefensebene anzugehören. Grosz ift wie vom (Hirbelwind auf-
gehoben aus diefer Ebene und fchcint nun über feinem Ort zu fchweben, wie feft-
geklemmt von Kraft und Gegenkraft in der Sphäre der Negation, und in ihr doch
Künftler, im Sinne des Pofitiven, das aus doppelter Verneinung refultiert.
Der Cicerone, XIU. Jat)rg,, peft 4 11 103
 
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