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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921

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Heft 4
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Wolfradt, Willi: George Grosz
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0124

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Ein monumentaler Protest iß diefes Phänomen Grosz, eine oppofitionelle Radikalität,
die um die fcßarfe Blendung gegen fiel) felbft und ißr Kün[tlertum logifeßerweife nid)t
ßerum kommt. Legitimiert doeß erft diefe (Hendung die bittere Feindfeligkeit [eines
Doßns, bewahrt [ie davor, in Gekeif abzu[inken. Es liegt nießt [o, daß der tendenziö[e,
politi[ierte, [anati[ierte Kün[tler nießt meßr Kün[tler i[t (wie o[t gegen eine polemifcß
ge[ärbte Kun[t eingewendet worden iß), [ondern vielmehr [o, daß er es von fieß aus
gar nießt meßr [ein kann. Denn i[t [ein (Hiderfprucß nur ernft, allgemein, eine zen-
trale Macßt [einer geiftigen Exi[tenz, [o kann er aueß vor ißm [elb[t nidßt ßalt maeßen.
Ein Solcßer kann nießt naeßgiebig [ein gegen die idgtlißerende Selb[tzu[riedenßeit und
umlobte und um[eierte Berußigtßeit eigenen Dafeins, deßen Bezießungen zu den Er-
[eßeinungen, wider die [icß [eine Empörung keßrt, offenkundig genug ßnd. Alle Kritik,
die nießt aus Selbftkritik ßervorgegangen ift und immer wieder in [ie einmündet, ift
eine dumme Niedertracßt, oßne eine Spur von Größe und dureßaus unfeßöpferifeß.
Fjeroifcße Kritiker vom Range eines Grosz find [tets ins Allgemeine geriffene Büßer.
Und will man diefes Nicßt-Künftler-fein-wolien bei Grosz reeßt verfteßen, [o gilt es
gerade darin den Beweis einer eeßten Künftlerfcßaft zu erkennen, tgpifcß für diefe 3eit
leidenfcßaftlicßen Selbftwiderfprucßes und inbrünftiger Paradoxie. Mag es die tragifeße
Qual folcßer Perfönlicßkeiten von Multatuli bis Karl Kraus und Grosz [ein, daß ße meßr
Beifall als böfes Gewißen wecken, [o bleibt es dennoeß unfer unerläßließes Heil, [ie
als Künftler zu begreifen. * *
*
Der proteftkünftlerifcßen Situation entfpringt als ißr reinftes Ergebnis die Karikatur.
Jede Karikatur iß angriffsluftig. Alle Sittenfcßilderung nimmt von felbft karikaturiftifeße
ßüge an, d. ß. ße biegt und akzentuiert die gewoßnte Erfcßeinung derart, daß [ie
läcßerlicß wird, ln diefem Sinne aber iß die Karikatur eine Übergangskategorie, die
ßcß in ißrer Konfequenz aufßeben muß. (Has das ßeißt, verdeutlicßt gerade das
(Hefen der Kunft des George Grosz. Denn [eine Satire macßt nießt meßr läcßerlicß,
[ondern erfcßreckt uns bis in die tieffte Hiefe unferer Erlebnisfäßigkeit ßinein, das
Scßmunzeln iß ißr gründlicß vergangen, ße [teßt feßon jenfeits des Fjumoriftifcßen, dem
noeß die Gefellfcßaßskritik eines Daumier dureßaus enlftammte. Gegenüber deßen faß
gemütiießem Spott, bei Grosz ein graufamer, [cßmerzlicßer, fteeßender Doßn, der nießt
meßr nötig ßat, die kleinen Scßwäcßen der Mitbürger zu übertreiben und ßeraus-
zukeßren, [ondern mit [cßonungslofer Energie entßüllt, die unverzerrte, nackte, bare
Fjäßlicßkeit bloßftellt, die troftlofe (Hirklicßkeit exzerpiert. Im Grunde iß (ede Karikatur,
vom Künftler aus gefeßen, nießt Zerrbild einer (Hirklicßkeit, [ondern Abbild einer ver-
zerrten (Hirklicßkeit. Der kraße Ffypematuralismus ygn Q^osz iß im fatirifeßen (Hefen
angelegt, das mit größter Logik zum Futurismus einerfeits, zum ßitat andrerfeits füßrt.
Sagen, was ßt: das iß die leßte und ftärkfte Möglicßkeit des Satirikers. So iß der
eminente Satiriker des (Hortes, Karl Kraus, zu einem Meifter der Scßere geworden,
deßen geniale Kunft des ßitierens an Durcßfcßlagkraß des (Hißes und aufpeitfeßender
(Hirkung alle nur erdaeßte Satire in den Scßatten [teilt, — [o iß Grosz konfequenterweife
zu jenen abfonderlicßen „Konftruktionen" gekommen, Klebereien aus allerlei Klifcßees
und Ausfcßnittcn illuftrierter Blätter, Hummelpläßen bildlicßer Gemeinpläße, Kompo-
[itionen aus tgpifeßen Druckerzeugnißen des Alltags, pßotograpßifcßen Fragmenten und
[ogar ßerausfordernd realen Gegenftändcn, aus denen einem der grelle Spuk unferes
Dafeins mit unabweisbarer Deutlicßkcit entgegengrinft. ln diefen wißig angeordneten
Bildzitaten, denen gegenüber kein ärgerlicßes Ableßnen ßilft, denn [ie tun wenig ßinzu
und leßren nur [eßen, iß die ultima ratio der Karikatur gegeben, womit zugleicß der

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