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Der Cicerone: Halbmonatsschrift für die Interessen des Kunstforschers & Sammlers — 13.1921

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Heft 20
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https://doi.org/10.11588/diglit.27278#0633

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Neue Büd)er

Die zum Teil graufame Phantasmagorie in den
Klerken eines Enfor erfcheint uns Deutfchen
wenigftens a!s Symptom einer Raffe, die in
foid)er geiftigen Inkarnation — wie fie gerade
diefer Künftier preisgibt — nach Ausdruck ringt.
Gerade an diefem Punkt wäd)p Enfors Schaffen
ins 3eitIofe hinauf. F)ier verfagt jedes fchnell
geprägte Schlagwort einer AYode. pier bleibt
Ewigkeit im Klerk latent. Aus dem flämifchen
Boden mit feinem fetten Realismus allein ift
Enfor zu erklären. Dies dem Lefer begreifen
zu machen, ift eine der beften Saiten diefes fo
fchönen und aud) illuftrativ vorzüglich kompo-
nierten Buches von Paul Colin.
Doppelt zeitgemäß wirkt in fold)em3ufammen-
hang jene Auswahl von Enforfchen Schriften,
die die „Selection" in einer prachtvollen Aus-
gabe kürzlich herausgebracht und der der Künftier
felbft illuftrativ das Gepräge feiner Perfönlid)-
keit gegeben hat. Fjier haben wir den Kämpfer
leibhaftig vor uns, der Gift und Galle über eine
verfimpelte Kritik fpri^t, hier den Künftier in
der Vollblütigkeit feines Temperaments, den
herrlich in feine Überzeugung verbiffenen Flamen
und nicht zule§t den großen Einfamen von
Oftende, der mehr als einmal das Fazit feines,
ja unferer aller Leben zieht und ftill in feiner
Klaufe der Meditation über le§te Dinge nach-
hängt. Vieles in diefem Bud), foweit es an die
künftlerifchen Tagesereigniffe anknüpft, wird nur
dem belgifchen Lefer verftändlid) fein. Klo es
fich aber um die Kunft und das Bekenntnis der
Perfönlichkeit handelt, haben wir ein Klerk vor
uns, das nicht minder bedeutfam erfcheint als
jenes Bud) mit den Briefen des van Gogh-
Eine deutfehe Auswahl diefer Schriften wäre
jedenfalls fehr zu wünfd)en.
Der Kleg von Enfor zu Klee, der in diefem
3ufammenhang zu dem ausgezeichneten Buche
von Leopold 3ah" hinüberleitet, ift gar nicht
fo weit, als es auf den erften Blick fdßeinen mag.
Denn abgefehen von der Tatfad)e, daß Klee an
den Anfängen feiner künftlerifchen Laufbahn
nad)haltigften Eindruck von dem Klerk des
Flamen erhielt, das in ihm die auf Groteskes
und Vifionäres gerichtete befondere Kiefensart
befruchtete, kann man behaupten, daß Klee, der
Schweizer, in feinem fpäteren Klerk viel von
dem entmaterialifiert hat, was in dem Oeuvre
Enfors nad) der gleichen Richtung hin noch
materiell impreffioniftifd) gebunden erfcheint.
ln Klee aber ift der uralte, den Orientalen feit
Jahrtaufenden angeborene Trieb zum Spiel, zur
AYupkalität des Sinnlichen in einer neuen Syn-
thefe von prachtvoller (oft aud) exotifcher) For-
mung zum Leben erwacht. Er hat das, was

ähnlich früher bei den Fayencekünftlern Perfiens,
bei den AYiniaturiften Vorderafiens, bei den AYa-
lern aus der AYing-Dynaftie Ausdruck rein künft-
lerifchen Erlebens war, die Reinheit der Sinne
gegenüber allem Optifchen und die Lauterkeit
eines kindlichen Gemütes, das nur im Reiche
feiner Träume zu Fjaufe ift. Klenn 3&hn recht
hat (und ficher ift es fo), dann ift Klees Klille,
ßd) im Sichtbaren zu offenbaren, zugleich Fjar-
moniperung kindlichen Spieltriebes mit der alle
Sd)einwirklid)keit überwindenden männlichen
Erkenntnis nach der Kleisheit aus lebten Dingen.
AYag indes mit fold)en Andeutungen das Pro-
blem „Paul Klee" mehr geftreift als erfchöpft
fein, fo gibt immerhin die Tatfache zu denken,
daß diefem Künpler allein drei Schriftfteller von
Ruf im lebten Jahre Bücher gewidmet haben.
Fjaufenftein pel)t Klee in feinem „Kairuan" —
wie eben er ihn fehen kann, v. Kledderkop ver-
pacht das Problem von anderer und — wie mir
fcheint — wefentlid) fpirituellerer Seite zu faffen.
Leopold 3al)n dagegen gibt das Buch, das Leben,
Klerk und Geift des Künftlers zu letzter Synthefe
zufammenfügt. Kler diefes mit erfrifd)ender
Klärme und überzeugter Anteilnahme gefchrie-
bene Bud) des ausgezeichneten Schriftpellers
gelefen, dem ift Klee fo reftlos als künftlerifd)es
Phänomen in letzter Ausdeutung veranfd)aulid)t,
daß man immer nur über die Dummheit einer
Kliffenfchaft ftaunen kann, die angeblich der
Kunft gewidmet fein foll, in ihren vie!fd)reibendcn
Vertretern aber oftmals ein derartiges Unver-
mögen der künplerifchen Einfühlung preisgibt,
daß man verzweifeln könnte, wüßte man nicht,
wie gerade in derartigen Dokumentationen der
tote Rationalismus einer längft hinter uns lie-
genden Vergangenheit letzte magnetifche 3"k-
kungen verrät. Bi ermann.
Po/ c/o Morz/, Do So/zz/c/or^rzzzzs/ z/z Bo/gie
von /&%?—/<?2/. Afczr/zzzzrs JVzj/zoyy, 's Grcz-
vozz/zcz^o /A2/.
Pol de AYonts Bud) ift ein Gegenftück zu dem
Klerke von Camille Lemonnier, das 1906 bei
van Oep in Brüffel herauskam, franzöpfd) ge-
fd)rieben war und den Titel trug „L'ecole beige
de Peinture 1830—1915". Pol de AYonts Be-
ftreben geht dahin, jenen Begriff einer belgifchen
Alalerfchule, den Lemonnier geprägt hatte, wieder
auszumerzen und als Fjerkunftskriterium der
AYaler nicht ihr Staatsbürgerverhältnis fondern
ihre Raffezugehörigkeit nad) vorn zu rücken,
ln der Tat kann nur Unkenntnis der Dinge oder
kunftpolitifche Vcrfchleierungstaktik dahin führen,
an das Beftehen einer „belgifchen" AYalerfd)ule
glauben und deren Befonderheiten nad)weifen

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