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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Januar
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AVr. U Kß Srscheint, Montags ausgeuommen, taglich. JnsertionSgebühren die Zspaltige Petit- Ls^MLL

Nß.»» L^U. PreiS vierteljährlich 54 kr. , L^zejle werde»mit 2 kr., bezw. 3 kr. berecknet. L^BRVL»

DaS neue politische Proqramm,

dessen n>ir in Nr. 12 unserer Zeitung kurz
erwähnt haben, ist von drci hervorragenden
MitgU'edern der preußischen Democratie unter-
zeichner und lautet wörtlich:

„Zn einer allgemeinen Bewegung der Gei-
ster kann die Bilte um Gehör nicht erst einer
Rechtserligung bedürfcn.

Die Unterzeichneten protestiren dagegen, daß
Deutsche auf den Besttzftand Deutschlands das
sogenannte Nationalitals-Princip anwenden
woüen, das vor der Geschichte nicht besteht,
und das ei'n jeder unserer Nachbarn mit sei-
nen Ansprüchen und Wünschen durchbricht.

Soll der Proceß der Mischung von Stäm-
meu uud Raccn, in dem ein jever Staat, ein
jedcS Volk erwachsen und begriffen ist, soll
er nur dcshalb, weil er auf einem Gebiete zu
einer Crists gckommen, aus anderen unter-
brochen werden? Soll Deutschland die vier-
hundertjährige Verbindung mit seinen südöstl.
Nachbar» lösen, damit einc andere Macht die
unvermeidllchen Conflicte in der buntcn Mi-
schung unentwlckclter Racen, feindlicher Stan-
Vesgegensätze und schroffer Bekcnntniffe im
Namcn irgend eines anderen „Principcs", an
dem es nicht fehlcn würde, in eignem Jnte-
reffe zur Rnhe bringe?

Zranzosen verleugnen daS Princip der Na-
tionalität, weil das südliche Element einer
n»ch stärkcren Beimischung von der Auödauer
der nordischen Brüder bedürse und Paris noch
nicht der „mathematische Mittclpunct" von
Frankreich sei; Jtaliener verleugnen es, weil
Triest südlich von den Alpcn liege und das
Kapital des österreichischen Llopd größtentheils
italienisches sei; Polen, weil sie alles wieder
haben müßten, was ste einnial beseffen, und
schwächere Vvlker untcr ihren Schirm zu neh-
men hätten; Dänen „aus eurvpäischer Noth-
wenbigkeit"; Magparen endlich um des „hi-
storischen RechteS" willen.

Wollen die Deutschen sowohl das Princip
gegen sich gelten laffe», wie jede anvere Aus-
nahme?

Weün bie Pflicht, ein von unsern Vorvätern
mit dem „schwerercn" deutschen Pfluge ge-
wonneneS Erbe den künstigen Gcschlechtern zn
erhalten, denen die Meinungen, Principicn
und Spmpathicn diescs TageS wenig from-
men, aber die an unser» Thaten und Untcr-
laffungen zu lragen haben werden, wenn viese
Pflicht uns befiehlt, das Gebiet zn behaupten,
deffen das deutschc Volk bedars, um scine durch
dic Religionskriege aufgehaltene welthistorischc

Arbeit zu voüendcu, so gebietet cin bcrechtig-
ter Stolz, daß wrr uns vvrbehalien, zu be-
stimmeu, wann und an wen wir herausgeben
wollen, was wir entbehren können.

Für die volle und stctige Entwicklung sei-
nes Güterlebcns und für die gestcherte Macht-
stellung, ohne welche eine solche Entwicklung
nicht möglich ist, bedarf Deutschland eben so
sehr cines ungefährdetcn Zuganges zum adria-
tische» Mecre und einer Garantie gegen feind-
lichc politische und wirthschaftlichc Spstcme
au der Donau, wie es deS KüstenbesitzeS an
der Ost- und Nordsee bedarf und der Herr-
schaft über die Ströme, die diesen Meeren zu-
fiießen. Zwischen einer Politik, die Schlcs-
wig-Holstcin dcm Vaterlande erhalten, und
einer, die unsern Antheil am Mittelmeer ver-
theidigen will, besteht einc natürliche Solida-
rität der Zntereffen und Pflichten. Es ist
einc nicht der Antwort zu würdigende Zu-
muthling an cin Volk von 47 Millionen, sich
von cinem Mcere verdrängen zu laffen. Es
ist Letchtsinn, Täuschung und gefliffentliche
Mlßachtung ausdrücklicher Erklärungen, zu
glauben, daß die Ztaliener, wenn stc einen
Theil erhalten, stch ihrer Prätenstonen auf
ven Rest des Userrandes begeben würden.
Wie die Herrschaft eines deutschen Stammes
in Venetien die Sicherhcit und das Gcwicht
von ganz Deuischland erhöht, s» würde ganz
Deutschland von dem Verluste betroffen wer-
den. Svüten politische Verhältniffc das Opfer
ersordern, s» könnte eine Entschädigung nur
gefunden werden in einer Erwerbung, die dcm
ganzen Deutschland zu Gute käme.

Dcr Bundestag ift rodt. Die Confcrenz
fürstlicher Gesandten in Frankfurt besitzt nur
die Vollmachten, welche dic Regierungen ohne
Mitwirkung der Kamuiern zu ertheilen befugt
sind. Sie ist eben so ohnmächtig zur Verci-
nigung widerstrcbender Bundesglieder, als in-
competent zur Einmischung in die innern An-
gelegenheiten der einzelnen Staaten. DaS
beutsche Volk hat also das Werk wieder aus-
zunehmen, das, mit der Erhebung gegen die
Franzosen begonnen, durch die Rückkehr Na-
poleons von Elba unterbrochen, in der Er-
richtung des Bundestages cinen provisorischcn
Abschluß erhalten hatte. Zn dieser Aufgabe
den Bund zu entwickcln sind wir dem Äus-
lanbe gegcnüber nicht langer beschränkt durch
die internationalen Stipulationen, in dcnen
Grundsätze für bie neue Gcstaltung Deutsch-
lands vvrgezeichnet stnb. Die betreffcnden
Bestimmungen der Wicner Congreßacte, des
ersten Pariser Friedens und dcs Tractates von

Chaumont sind casstrt vnrch'die Äushcbnng
der polnischen Constitution, durch die Aner-
kennung eincs Bonaparte auf dem französt-
schcn Thro», durch vic Verletzung der Neu-
tralität und die Zcrstörung der militärischen
Sicherheit der Tchweiz durch die Verände-
rungen in Jtalien. Am Znncrn haben die
Verpflichtungen, welche dic Regierungen in
den Zahren 1848 und 1849 dem ganzcn veut-
schen Volke gcgenüber eingegaugen stnd, uns
neue Ansprüche gegebcn, haben die Verfas-
sungsrechte, in deren Besitz die Bevölkcrungeu
dcr einzelnen Staaten getreten, uns neue Mit-
tel gewährt.

Dic Aufgabe zu lösen, ehe die Wolken stch
entladen, ist keine Zcit; den Sturm zu er-
'warten, wie wr'r stnd, wäre stchcres Vcrder-
ben. Aber dic Kraft des Nationalgesühles,
und ste allein, kann einstweilen die Organi-
sativn ersetzen, welche die Ungunst der Zeiteu
unS bisher versagt hat. Ein Nationalgefühl,
das vvn dcm Entfernten auf daS Erreichbare,
von dem Worte aus die That gelcnkt, von
eigcnsinnigem Wiverstreben und selbstsüchtigem
Begehren gcläntert, von dem Ernst der Ge-
fahr und dem Glauben an fich selbst durch-
drungcn ist, findet in dem, was schon gewou-
ncn, dic bereitcn Mittel, um je nach dem rea-
lcn Machtverhältniß der Staaten hier Zu-
sammenwicken und Unterordnung zu erzwin-
gen, vort zu festcm kräftigem Handeln zu spor-
nen, überall aber die Reste einer zehnjährigen
Corruption zu vertilgen, deren volle Sühne
allein den Willen unb 7>ie Kraft dcs Opfer-
muthes geben kann. Ein solches National-
gefühl zii wecken und zu nähren, sich ihm zu
bcugen und seiner befrcienden, stcgenden und
schaffcnden Gewalt zu vertrauen, ist jeder
Regierung, jcdcr Kainmcr, jedcr Partcs, jedem
Einzclnen geboten und gegeben. Zcder ist be«
rufen, stch aus träger Gewohnheit dcs Den-
kens loszureißen, die Hcrrschaft dcs Wortes
abzuschütteln unb die Dinge zu erfaffen, —
den Blick zu ^rheben von den Zuständen iind
Persönlichkeiten, von Zusälligem, Hvhlem und
Lügenhaftem der Gegenwart zu den daperu-
den Elementen, welchc den langsamea Fort-
schritt der Geschichtc beherrschen, — wohl zn
prüfen die Stimmen dcs Auslandcs, die ihren
Rath ailfdrängen, oder ihre Kampfgenoffen-
schaft antrageti, — sich aufzuraffen aus me-
chanischem Nachahmen zn einer selbstständigen
Würvigung unserer eigenthümlichen Verhält-
niffe, auS sentimentaler Befriedigung an den
Erfolgen Anverer zu dem gesunden EgoiSmuS,
den dcr Einzclne verleugnen mag, aber mit

Sir licbt mich.

biovellcte von Carl Stugau.

1.

Zn cinem nicht kostbar, aber elegant cingcrich-
teien Salon saß einc junge Frau, eben bcschäftigt
mit kunstfertiger Hand sich cine neuc Eoiffure zu-
recht zu machen. Sie war ein reizendes Weib, groß,
schlank, graciös in jeder Bewegung, lebhafien Augcs
— einc junonischc Schönheit. Als die letztc Schleife
nach Wunsch befestigt war, trat sie vor den Spiegcl,
um den ailerliebsten Kopfputz aufzustecken. Er nahm
sich auf dem üppigen blonden Haar vortrefstich aus.
Auch bewieö das freudestrahlenbe Gcsicht, das der
Spicgcl zurückwarf, daß die junge Frau mit ihrer
Arbeit zuftieden war.

„O Eitelkcit, dein Namc ift Weib!" ertönte
plötzlich eine Stimme hinter ihr. Es war ihr Mann,
der unbemerkt eingetreten und Zeuge ihrer naiven
Selbstbewunderung gewesen war.

„Wie'Du mich erschreckt hast, Theodor", sagte
die junge Frau, indem sie sich umwandte und ihrem
Mann den ftischen Mund zum Kuffe bot.

Dic Annigkeit, «omit Theodor seine Lippen auf
dic des schöncu Weibcs drückte, hätte oberflächlichc
Beobachier auf die Lermuthung bringcn können,
er habe ein jungcs Ehepaar im Honigmond vor
sich. Dem war aber nicht so. Theodor und Melanie
waren schon seitdreiZahren verheirathctund Thcodor
— wer sollte cs in unserer Zeit glaublich finden? —
licbte seine Frau noch mit einer Zärtlichkeit, die
eher größer als kleiner war denn am Hochzeitstage.

„Was hast Du da?" fragte Melanie, als fie einen
offenen Brief in ihres Mannes Hand crblicktc.

„Es ist cin Brief der Tante Söphie", erwidertc
dieser; „sic schreibt mir, daß sie heute Abend mit
der Eisenbahn hier cintreffcn und wofern sic unS
nicht lästig fallc, bei uns ihr Absteigequartier nehmen
werde. O, wie freue ich mich auf dic gute, üebe
Tante! Mache jetzt nur schncll, daß das Gastzimmer
in gehörigen Stand gesetzt wird und daß die alte
Frau Allcs findet, was zu ichrer Bequemlichkeit ge-
hört. Auch die übrigen Zimmcr laffc in Ordnung
bringen und vergiß nicht, für die Küchc und Spcise-
kammer zu sorgen. Die Tanteist, wie ich Dir schon
öfter erzählt habe, cine Frau aus der guten alten
Zcit, wo man auf HLuslichen und wirthschaftlichen

Sinn der Krauen mehr Werth legte als aufFran-
zösisch Parliren und Clavierspielen. Es würde mich
glücklich machen, wcn» ich die Tante sagcn hörte:
Theodor, Du hast cin tüchtiges, ein braves Weib.
Doch nun muß ich wieder an dic Arbeitj das Bild
muß in acht Tagen fertig scin, und Du weißt, wir
brauchen Geld."

Mit diesen Worten drücktc Theodor seiner reizen-
den Frau noch einen Kuß auf die Lippen und ver-
schwand im Nebenzimmer, wo er emsig zu malen
sortfuhr.

Melanie schien von dem bevorstehenden Bcsuch
der Tante nicht in glcichem Maße erbaut zu sein
wie ihr Gattc, wenigstenS war ihre ebcn noch so
glatte Stirne i» ziemlich krause Falten gezogen,
als sie sich anschicktc, den Weisungcn ihres Mannes
nachzukommen. Wcr wvllte ihr das auch übel
nehmen? Zunge Frauen sehen cs selten ger», vcnn
weibliche Vcrwandte ihrer Männer ihr HauSwesen
mustern.

WLHrend Mclanie den Pflichten der Hausftau
obliegt, bcschästtgen «ir uns einen Augenblick mit
Theodor.

Es war ein Künstler von nicht gewöhnlichemTa-
 
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