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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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März
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N: 6»


Freitag, 22. März

ZnsertionSgebühren für die Zspaltige Petrt-
zeile werden mit 2 kr., bezw. 3 kr. bereamet.

L86L.

Zur Wahlbewegunn in Lesterrcich.

Zu dem bcvorstehkndcn Landtage finden übcr-
all die Wahlcn Slatt, wobei die vcrschikdene»
Candidaten ihr politisches Glaubenebekenntniß
abzulegen vvn dcn Wählern veranlaßt wcrden.
Die „Atlg. Z." berichlet über die erste Ver-
saminlung der Hauplstadt Wien Nähcres und
meldet darüber Folgendes: „Die erste große
Wählerversamlnlung der innern Stadt wurde
am 14. März, 6 Ühr Abends, geschloffcn; es
mögen an 1500 Männer zugegen gewcscn sein,
denen, in Ocsterreich wcnigstens, uoch kein
ähnliches Schauspiel geboten wurde. Die
Versammlung beschloß, daß jeder Candidat
sciu Glaubensbekenntniß ablegcn und Jntcr-
pellationen beanlworten niüffe. Znerst betrat
Prvscffor Stubenrauch die Tribüne, cine statt-
bckgnnte Persönlichkeit, die bei allen geniein-
nützigen Anstaltcn, bci allen wiffenschaftlichen
Untcrnkhinungcn cine Nolle spiclt; er nimmt
die Versaffung vom 26. Februar an, jedoch
nur als kinen Boden zum Weiterbau. Was
zu erringen sei? Berantwortlichkeit des Mi-
nisteriums, Unverantwortlichkeit der Abgeord-
neten, Dürgschaften sür die staatsbürgerlichen
Ncchte, damit sie nichl durch Ordonnauzeii ab-
gcändert wcrdcn können, Freiheit der Prcffe
durch cin Gesetz, eine Habeas-Corpus-Acle,
Oeffcntlichkeit und Mundlichkeit des Gerichls-
versahrens, Glaubeiisfreihcit und Uuabhängig-
keit von clericalem Cinfluß, Anerkemiung der
Grundrechte von 1848. Das Verhältniß zur
östlichen Halfte der Monarchie sei nicht durch
Kugeln und Baponnctc, sondern durch die frci-
sinnigstc Eiitwieklung der Berfaffung zu regcln.
Unler lcbhaftem Bcifall vcrlicß dcr Profeffor
die Tribiine. Dcr darauf folgende Caudidat,
obwohl entschitbcner in Farbc und Ton, gc-
hört doch ganz dcrselben Nichtung des libera-
ien ConstitutioiialiSmus au: Dr. Bergcr, sei!
dcm Nichter'schcn Proceß cin Schooßkmd der
Bevölkerung, legtc in cincr gläiizenden Rede
sein GlaubcnSbekenntniß dahin ab, daß vor
Allem die Cinhcit der Monarchie zu bcwahrcn
sei. Nach langcr Hungerszeit wolle man
Brob und Flcifch, unb nicht Leckereicn. Die
gegebenc Vcrfaffung sei ein Kind in den Win-
dcln, das man sorgfältig bcwachen, vor bösen
Blickcn und uiigeichicktcn Händcu bewahren
müsse, auf baß cs gcdeihe und wachse. Er
stimuie in Allcm scincin Vorrerner bei, abcr
wichtrgcr sei die Wiedcreroberung ber Groß-
inachistcllung Oesterreichs, damit es nicht vor
jedeui Wort zu zittern brauche, das der Zm-
peralor an dcr Scsne spricht, und das er nicht

spricht. Mt Ungarn sei ein friedliches Ab-
kommen zn erstreben. Gewalt führc nicht zum
Giiten. „Schon cinmal wurde Ungarn er-
vbert, jedoch daffclbe Schwert vernichtete un-
sere Freiheit." Die Einheik in den »berstcn
Staaksfunckioncn sei unerläßlich, und diese
Einstcht werdc Ungarn bercit finden laffcn,
Hand in Hand mit scinen Nachbarn und Brü-
dern zu gchen. Dic Erwerbung von Grund-
rechten folge der freicn Preffe uiid der frcien
Tribüne von sclbst. Aber die Feffeln, welch«
die irdische Macht an eine Machk von Jcn-
seits knüpfen, welche die Souveränetät bin-
dcn, müffen abgestreift werdcn. Es war eine
dunkle Stunde, als das Concordat in Oester-
reich einschlich; es muß wiedcr heü werden.
Die Regeliiug der Finqnzen wird erst dann
statkhabeu, wcnn das grvßmächtige, liberal ge-
ordneke Ocsterreich wiedcr Allianzen gcwann,
die es gegen cine macchiavellistischc Pvlitik
fichern. Alle ausgesounrnen und ausgespon-
nenen Projectc sind unnütz; Arbeitcn und Spa-
ren heißt das Remediuw. Entfcffelung aller
productivcn Kräfke nnd haushälterischc Wirth-
schaft. Nicht cinen Pfennig darf Oesterreich
seinen Gläubigern vvrcnthalten, weder au Ka-
pital noch an Zins; seine Administration muß
gut honorirt wcrdin, um gut zu scin; aber
die befriedigten Biirgcr dcr Großmacht wer-
den eS niöglich machen, daß die Svldatcn bes
Hecres zuni Pfiug und zuin Handwcrk zurück-
kehren. Das regelt die Finanzcn und die
Valiita. Als unabhängiger Mann wvlle er
dicse Principien verfcchten. Ein Sturin von
Beifall nnterbrach wiedcrholi dcn Sprecher,
der den Ton, däs Gefühl, die Denk- nnd
Anschaiiungswcise des Oesterreichers zu tref-
fcn lvciß, wie in dicsem Augcnblick keiu zwei-
tcr Nedner der Nefidcnz; cin donmriider Bei-
fall folgte, als er die Tribüne verließ, und
den svlgcnben Candidatcn dic schwierige Erb-
schasi anheimgab, die Aufinerkfamkeit der Hö-
rer ferner zu scffeln. Auch Sectioiischef Nit-
ter v. Hvck Icidet unter dieseni Eindruck, be-
sonders da der hohen, kräftigcn Gestalt nicht
ebcn so kräftige Tonmittel zu Gcbotc stehcn.
Auch dieser Staaksbcamte crklärt sich mit den
verfaffuiigsinäßigcii GrundsäKen dcr Vorrcd-
ner cinvcrstaildc» und macht das, Bekcnntniß,
daß von ihm dic Constitntioiisverheißung vom
15. März 1848 vcrfaßt worden ist; in seiner
Beamtcnlaufbahn habe cr niemals der Mili-
tärwillkür Zugcständnisse geinächk, unb Jtalicn
schon damals sür vcrloren crklärt, als man cs
dcr Militärherrschaft übcrgab. Zn Amt nnd
Schrift wirkte er sür dic Frciheit deö Ver-

kehrs, der Gewerbe, der Volkswirthschaft, ffür
die Regelung der Zöllc unv die Ordnung im
Stenerwcskii; die Kämpfe, die dafür geführt
werdcn mußken, waren bittcr, und es gehöre
Muth dazu, im geschloffeiien Naum dcs Bu-
reau, vhne den belebcnken Bcistand dcr Oef-
fentlichkcit, in seincr Gefinnung und Tcndenz
auszuharren. Das sci die Unabhängigkcit' dcs
Beaiiiten. Seine politischen Anschauungen
über die Entwicklung der jüngsten Zcit habe
er in dem Aufsatz: „Ocstcrieich und seine Be-
stiminung" niedergelegt. Diescr hat bekannt-
lich außerordentliches Aufsehen erregt, und
wurde trotz dcr Auonymikät nur der Feder
eines in brn hvchsten Kreisrn fich bewegeiidkN
Staatsmannes zugeschrieben. Die österrei-
chische Znvustrie hat ihm die Stabilität des
Zvlls bis 1865 zu verdanken. Dcr intercs-
santeste Augcnblick'jedoch dieser Ncde war die
Andentung des Vorwurfs, daß er „zn katho-
lisch" sei. Er sei fromm n»d gläubig, und
habe den Katholicismus vertheidiqt bis zu je-
»em Augenblick, als Kaiholiken begannrn, die
freie Wiffenschaft zu vcrfolgen, und das Con-
cordat, die Schule nnd dic Ehe, diese Grund-
säulen des Staats, der bürgerlichen Obhnt
entzogen. Schon 1850 wandte er sich förmlich
von dieser Richtung ab und blieb ihr frcmd bis
zu dieser Stunde. Hier untcibrach dcn beweg-
ken Redner minntenlanger Beifall, denn die
Enthüllungen schiencn das Audiiorinm zu über-
raschen, und die Erklärung war so nnvcrhüllt;
daß Hin Zweifel übcr die herrschende Spal-
tung anftauchen konnte. Die nächsten Candi-
datenrebner wcrden am Sonnabcnd gehört.

Deutschland

Aus Baden, 18. März. So ebcn cr-
fahren wir, daß die katholischc Kiichcnirage,
nameniiich die Pfründenbcsctznng bctieffend,
jetzt cndgültig erledigt sei. Das plötzliche
Erscheinen des Ministers dcs Jnnern in Frci-
durg hat auf dkn erzbischöflichcn Hof übcr-
raschend und wvhlihätig gewirkt. (S. M.)

/I Bom Neckar, 19. März. Daß
inay auch iii Oesterreich neben den brennen-
den pvliiischen Fragen die Unierrichts-
unbErziehungsangeIegenheitnicht vcr-
gißt,daß man sogar bange Sorge überdie zukünf-
tige Gestaltung des Schulwesens hegt, unker-
liegt wohl keinem Zwciscl. Bei der Veröf-
fenilichiing dcr ReichSstaiuten, überhaupt ker'
letzten Patente, hat ma» mit großem Bedau-
ecn die Bcstimmung über Regclnng' des Un-
tcrrichts und der Prcffe vermißt und wurde

Ein Äbenteuer unter Settlern.

Mitgetheilt von Ed. Franke.

(Fortsetzung).

Mit der Verfcillcrung unserer Sitten verfeincrt
sich auch die Kunst des Bctrugcs, und so mögcn
jenc Bcttlcr viclleicht jctzt auch öffentlich andcrs,
bcffer crschcinen, werdcn abcr nur ihr Unwcscn um
desto gchrimer und vcrschmitzter zu bctreibcn «iffcn.

Doch zur Sache.

2.

Am deutschen Thcater zu Pesth angcstcllt, wohntc
ich in dcr großcn Bruckstraße. Mein Wcg führte
mich sehr oftin dic Herrengaffe. Um dorthin schncllcr
. zu gclangen, bediente ich mich eincs schmalcn, zum
Theile ktwas dnnkcl» Durchgangcs durch zwei Dnrch-
häuser, wclche durck einen klcincn Hof von cinan-
dcr geschicden wurden. Svlchc Durchhäuser sind des
Wcgabschnittcs wegcn in dcr Regcl frcqucntcr, als
die Hauptstraßcn sclbst, alsv auch einträglich für die
Bcttclei, und also meist eine stereotype Bcttler-
nicdcrlagc.

Am inncrcn Hofe sand ich dcnn anch täglich cincn

Bettler vor. Er lag aus dem Erdbvden. Der eine
Fuß in widcrlich ausfthendc Lumpcn gchüllt, ruhte
zur Schau ausgesteltt auf zwci am Boden licgenden
Krückcn, welchc zuglcich Schutzmittel zu scin schienen,
dcn schetnbar sehr krankcn Fuß vor den schädlichen
Einslüssen dcs kalten Bodcns zu bewahren. Der
Mann konnte nahc an dcn dreißigcr Aähren stehen,
«ar zwar von blaffer Gesichtsfarbe, abcr dabeirobust
und gesund. Andcß die cinc Hand den Vorübcr-
gehendcn die schmutzige Kappe cntgcgenstrecktc, zeigtc
die andere Hand anf das kranke Bein nnd lüftete
zugleich dcn halblockcrn Vcrband etwaS, um den
Anblick noch widcrwärtigcr zu machen und zumschnel-
lercn Almoscngeben anzusporncn.

Ohnc wciter gcnaucr auf denftlbcn zu achten,
hatte ich ihm mehrmals eine Gabe in die Mütze
gcworfcn. Da ich abcr den Wcg oft täglich drei,
viermal machtc und cr mir dennoch jederzeit un-
vcrschämt die Kappc wiedex entgcgcnhielt, so wurdc
ich ärgcrlich, licß ihn unbcachtet und gab ihm nun
gar nichts mehr. Da höre ich eines Tagcs einen
bckannten ungarischcn Fluch hinter mir herbrummen,
schnell wendc ich mich und sehe wie eine drohend
geballtc Kanst rasch wiedcr hcvabfährt, dcr Bettler

wie lahm in sich zusammcnsinkt und zu lamentiren
beginnt wie zuvor.

Aetzt erschien es mir gewiß, daß gerade dtcser
lautschrciende odcr wehmüthig klagcndc Krüppcl
ein ganz gcsunder Mcnsch, ein Erzschelm fci, und.
ich nahm mir vor, ihn fortan genau zu beobachtm.

Dieftrhalb vermied ich dcn Weg nun während der
Tagcszeit, stellte mich abcr, so oft ich konntc, bei
hercinbrcchendcm Dammerlichte cin, um zucrst zu
erfahrcn, ob cr die Krücken dcnn auch «irklich be-
dürfc.

Allein ich verfchltc stcts die rechte Zeit: «ntwcder
war metn Mann schon fort, odcr merkte cr mcine
Absicht, genug, er machtc gar kcine Anstalt zum
Anfbruche und dcr Ort war nicht gcetgnet, um un-
bcmerkt dieftn abwartcn zu können.

llm diesc Zcit traf ich nun öfter mit einem jun-
gen, hüdschcn, etwa zwanzigjahrigen MLdchen in
geringcr Kleidung hicr zusammcn, würde auch die-
ftlbe, da ich nur Augen sür mcinen Mann hattc,
nicht weitcr beachtet haben, «cnn nicht unscr Zu-
sammcntreffen zu derftlbcn Zeit hier unwillkürlich
unftre Blicke gegenseitig anf einandcr gelenkt hätte.
So kam es, daß mir ihre Züge bekannt wurden.
 
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