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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Mai
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M 102


Dprmerstag, 2. Mai

JnsertionSgebührea für die Zspaltige Pttit- M ^

zeile werde» mit 2 kr., bezw. 3 tr. berechaer. -M. MM -M-G

Die Zerwürfniffe in Jtalien.

Die Berichte über die merkwürdigen De-
ballen, welchc das rtalienische Parlament Vrei
Tage hmdurch beschäftlgt habcn, laffen noch
Blcles im Unklaren, was für das Verständ-
nlß dieser keineswegs erfreulichen Episode von
Wichtigkeit ist. Der Zwiespalt zwlschen Cavour
und Garibaldi, welcher diesmal mehr als je
zum Borschein kam, ist eine alke Geschichtc;
aber daß er im Schooße des ersten italieni-
schen Parlaoients in so rückstchtslosen Formen
hervortreten, daß der Welt gewiffermaßen das
Schauspiel dicser innern Uneinigkeit dargeboten
werven würde, ist ein für Jtalien sehr tran-
riges Spmptom, benn es Zeigt, vaß die per-
sönlichen Leidenschafien nicht mchr den höhern
Gebvren der Vaterlanvsliebe gehorchen. Ea-
vour und Garibalvi habcn diesmal einanver
offen den Krieg erklärt, mit einandcr im An-
gesichte ver Vertreier um den Sieg gerungen,
und das Parlament hat stch nichr fnr Gari-
baldi entschieden. Diescr schied vielmehr mit der
Erklärung, 'daß er mit ben Versprechungen
Cavour'ö bezüglich der Reorganisation des
Heeres nicht zufrieden sein könne, und von
dem Cavour ertheilten Vertrauensvotum wie
von einer schweren Kränkung getroffen, hat
Garibaldi, den neuesten Telegrammen zufolge,
groUend Turin verlaffen.

Dieser Ausgang war vörauszusehen. Die
Forderungen Garibaldi's waren nicht zu er-
füllen. Als er vor einigen Monaten in Nea-
pel die Dictatur mit Widerstreben niederlegte,
wurden bekanntlich die Freischaarcn aufgclöst,
welche mit so überraschender Schnelligkeit beide
Sicilien erobert und V. Emanuel die südliche
Hälfte Jraliens zu Füßcn gelegk hatten. Die
Grünve, welchc Cavour bestimmen mußteu,
bie Armee des Südens so schnell als möglich
zu beseitigen, waren sehr gebieterischer Ärt.
Es war nicht möglich, eine bewaffnete Macht
beizubehalte», welche aus den verschiedenartig-
sten unv abenteuerlichsten Elementen bestand,
in der es fast eben so viele Osstciere als Sol-
daten gab, und in welcher die höchsten Gpade
von Ausländern bekleivet wurden. Diese durch
die jüngsten Erfolge übcrmüthig gewordenen
Rothhemden, meist Republikancr im Herzen,
die V. Emanuel nur xro torms anerkannten
und bei jeder Gelegenheit cs gewiffermaßtn
zur Schau trugen, daß Italien seine Einheit
uNd seine Frciheit eigentlich nur ihnen ver-
danke, waren von dem Augenblicke an eine
öffenkliche Gefahr, als es für sie nichtS weiter
zu thun gab. Mit richtigem Instinctc wollte

Dir Hrirathscandidate».

Novelle »on Wilhelm JUngmann.

(Kortsetzung).

Wie.nun immcr und zu allen Zeiten der Hunger
stets der beste Kochkünstler genannt zu «erden ver-
dient, so hatte doch der freundlichc Wirth zu Rei-
chenbach ein solch delikates Mittageffen herrichten
laffen, daß selbst den Uebersätttgten die Lust hättf
anwandeln müffen, demselben allc Ehrc anzuthun;
um wte viel mehr nun mußte es denjenigen mun-
den, die heute schon scit beinahe zwölf Stunden ge-
sahren und Berg auf und Berg ab gcsttegen waren,
ohne sich zum Effen mehr Zeitzu nchmen, als ebcn
unumgänglich nöthig war? Hier nun, beinahc am
Ztele ihrer heutigen Tour, dcnn nur noch etne klcinc
Strecke durch das anmuthige Thal übcr SchönSerg
hatten fie zurückzulegen, um in Bensheim wieder
zu ihrem Wagcn zu gelangen, hatten fie beschloffen,
längcre Zeit zu verweilen, und all das bisher Ver-
säumte nachzuholen, und eS bot sich ihnen dazu die
herrlichstc Gclegenheit. DaS trefflichc Essen, bei
dem sogar der Kapaun und dte Zorelle nicht fetzlten;
der köstliche Wein, gewachsen an den Geländen der

Garibatvr' diese Schaaren gegen Rom fichren,
um dort für 1849 an den Franzosen Rache
zu »ehmen, und es ist jetzt erwiescn, daß der
Einmarsch Cialdini's in dic Marken unv Um-
brien, welcher damals als cine himmclschreicnve
Verlctzung des Völkerrcchts wit vollem Rcchke
bezeichnet wurde, nichts anderes war, als ein
Act der Nothwehr. Piemont, mußte llmbrie»
und die Märken besetzeu, um sich zwischen
Garibalvi' und die Franzosen zu werfcn und
eiucn Züsammenftoß zu verhindern, deffen Fol-
gen für Ztalien unberechenbar waren.

Solchen Gesahren setzt man sich nicht zwei-
mal aus; im Imercffe Italiens selbst mußten
diese Schaaren aufgelost werden, nachdem sie
ihre Dienste geleistet. Garibaldi macht nun
CavOür einen Borwurf aus dreser Aufiösung.
Man hätte die FreirviÜigencorps beibehalten
sollen, als nützlichc Elemcnte für die weitcre
Besreiting ves Vaterlandes; man hätte sie in
die regulärc Armec einreihen und nicht mit
sechs Monaten Sold schmählich nach Hause
schicken sollen. Der Vorwurf ist in jeder Be-
ziehung ungerecht. Man weiß, daß es der
persönlichen Jntervention Victor Emanuels
bedurfte, um Garibaldi zu bcwegcn, seincn
Zug gegen Rom aufzugeben und eine Dicta-
tur niedcrzulegen, welche von dem Augenblicke,
als beide Sicilien annerirt waren, keinen ver-
nünstigen Sinn mehr hatte. Jndem Garibaldi
sich nach Caprera zurückzog, Icgtc er seine
Gcwalt in die Hände des Königs nicdcr, und
gab er stillschwcigcnd seine Zustimmung zur
Auflösung der süblichen Armec. Daß die Tu-
riner Regierung es vorzog, die Freiwilligen
uach Hause zu schicken, als fle dem stehenden
rcgelmäßigen Hecre cinjuverleiben, hatte vicle
und gewichtige Gründe.

Zwischen Garibaldi mid den Generalen der
regelmäßigcii Arinee (Fanti, Lamarmora, Cial-
diiii u. s. w.) hat niemals ein gutes Einver-
ständniß geherrscht. Garibaldi war von jeher
ber Gegenstand ihrer Eifersuchk. Sie koun-
keu ihm seine glücklichen Kreuz- und Quer-
züge in der Lombardei nicht vcrzeihen, wo die
Franzosen allen und die piemoniesische Armce
so wenig Ruhm auf Ven Schlachtfeldern ern-
tete. Als Garibaldi nach der Schlacht bei
Solferino zum Rang eines Gcnerals der Ar-
mce erhoben wurde, machte dies unter den
Gencralen der regelmäßigen Armee einen sehr
üblen Eindrnck. Man grollte dem König, daß
er einen Convottierc den verdientcften, regel-
mäßig avancirten Generalen gleichstellte, und
die Nachricht, daß Garibaldi scine Generals-
würde niederlegte, um sich als Freibeuter nach

weitberühmten Bergstraße; die ftöhliche, heitere Un-
gebundenheit der juNgen Leutc; alles veretnigtc sich,
den Aufcnthalt in Reichenbach zu einem der herr-
lichsten Momente der hcutigen Tour zu machen, und
besonders schwamm Helene in Entzücken, der noch
nie Gelcgenheit geworden, an ciner solchen Tafel
Theil zu nehmeN; als nun aber auch hier die Zett
herangekommen, weiter zu wandern, da hing sie so
beglückt, so beseligt an Brcnner'S Arm, als wenn
außer ihm kein lebcndcs Wesen mehr auf der Welt
vorhanden wäre.

Spät, sehr spät in der Nacht war cs, als die Ge-
sellschafk wieder in ihrem Heimathsorte angekommen
war und Brenner mit Helene an Ler Hausthüre
ihrer Base stand, um für heute von ihr Abschied
zu nehmen. Ein zärtlicher Händcdruck und das fcier-
liche Versprechen: nie den heutigen Tag zu vergeffen,
und sich recht bald wieder zu sehcn, war allcs, «as
sie, noch voll vo» den Eindrücken des heuttgen La-
ges, hervorzubringcn vcrmochten; abcr lange, lange
ruhten sie schon, nachdem sic sich getrennt hatten,
ohne daß der Schlaf trotz ihrer Ermüdung scine
Rechte gcltend zu machen vermochte, denn noch ein-
mal mußten sie wachend sich alle Genüffe des heu-

Sicilien zu bcgeben, erregte unter dcm Offi»
ciercorps der regelmäßigcn pkemontesischen Ar-
mee die größte Befriedigung. Daß er Er-
folge zu erzielen im Stanbe sei, glaubte da-
mals Niemand in Ober-Jtalien, vielleicht dik
piemontesische Regierung selbst nicht. Man
war froh, Garibalvi lvszuwerden, und ist
aller Grund vorhanden, daß man r'n Turin
der Armee Franz ll. alles Glück wünschte.
Man gab Garibaldi und die ihm gefolgt wa-
ren, verloren, weil man den Untergang eineS
Rivalen, der den militärischen Ruhm der pie-
montesischen Armee in Schattett stellte, und
der der Regierung in Hinkunft neue Verlegen-
heitcn bereiten konnte, aus Neid und Eifer-
sucht wünschte. Die Dinge nahmen eine an-
dcre Wcndung, und Garibaldi blieb Sieger.
Er kannee wohl dic Stimmttng ber Generale
und die gebeimen Wünsche der Negierung, und
»icht nach Turin, sondern in die Einsamkeit
von Caprera zog es ihn, nachdem er für Vic-
tor Emanuel ein Königreich erobett unv das-
selbe seinem Souvcrän geschenkt hätte. Die-
ser Act der Uneigennützigkeit zwang wohl Eu-
ropa, aber nicht der regelmäßigen piemontcsi-
schen Armee Bewunberung ab; in ihreu Rei-
hen warcn Garibaldi und seine Leute mehr
vcnn je Abenteurcr, venen man nicht einmal
das Verdienst gönnte, sich in ver Schlacht am
Vvlturno tapfer gehalten zu haben, und man
bcgreift, daß die Regierung bei ciner solchcn
Stimmung bcr Armec keinen Augettblick dara»
denken konnte, die Garibaldi'schen Corps bei-
zubehaltcn, geschweige denn, fie einem Heere
gleichzustellen oder wohl gär kiiizuverleiben,
welches jebe Gemeinschaft mit denselben ab-
lehnte. Andererseits ist es natürlich, d-ß die
Luriner Regierung cinem Manne, deffen Po-
pularität ihr bereits Verlegenheiten der ertt-
stesten Art bcreitet hatte, der ihr in der öffent-
lichen Meinung gefährliche Concurrenz machte,
durch Beibehaliung ver greiwilligencorps nicht
vie Mittel in die Hänve geben woütc, auf
eigene Faust große Politik zu machen und, ge-
stützt auf den Eitthusiasmus der Maffen, Oe-
sterreich gegenüber zu wiederholcn, was er in
Sicilien und Neapel mit so außerordetttlichem
Glückc durchgcführt hatte.

Dies die Lage ver Dinge, als GäribalVi
vor einigen Wochen Capxcra verließ, um daS
seinen Waffengefährten gcgebene Wort einzu-
löscn, um sich zu ver von ihui wieverholt feft-
gestellten Zeit in ihre Mitte zu begeben. Er
kam nach Turin und fand die Situation M-
lig verändext. Von Anstalien zum Beginne
des Krieges sah er wenig; die Stimmung deS

tigen Tages tn das Gedächtniß zurückrufen, um sie
dann, endltch vom Schlaf übcrmannt, in das Reich
ihrer Träume mit hinüber zu nehmen.

2.

Seit jener Fahrt nach Auerbach und der Wan-
derung auf das Gebirg hinauf waren drei Aahre
verfloffen. Gar vieles hatte sich «ährcnd dieser
Zeit verändert und gar manches einst so freundlich
angeknüpfte Vcrhältniß hattc sich während dieser
Zcit wteder aufgelöst. Von allcn den jungen Man-
nern, welche diesem Ausfluge beigewohnt, «ar Bren-
ner der cinzigc, wclcher seiner lieben Helenc treu
geblieben war. Einige von denselben hatten sich
auf die Wanderschaft bcgcben, um sich noch ein wc-
nig in dcr Welt umzusehcn, «Lhrend die anderen,
dem Grundfatze der Speculation folgend, ander-
weitig sich mit Fraucn vcrsehen hatten, die vielleicht
cinigc Hundert Guldcn mehr im Vermögen besaßen
als Liejcnigen, dencn sic für immer anzugehören
einst so feterlich gclobt hatten. Auch von den MLd-
chen warcn vicr bereits mit andern jungcn Mannern
in den Ehcstand' getreten, Helenc jetzt die Braut
thres angebeteten Brenner, und nur Mathtlde Mül-
ler die einzige, «elche durch thren eigrnen Willen
 
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