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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Juni
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M >42


Donnerstag, 2«. Zuni


j-j- Die Lage der Dinge in Ungarn.

Mit dem unermarteien Gieqe der ertremen
(sogen. Resolutions-) Partei im ungarischcn
Landtuqe qegenüber der gemäßigten Deak)'chen
(sog. Ädreß-) Partei trcten die Verhältniffe
Ungarns und dauiit Oesterreichs allem An-
scheine nach in ein neues Stadium. Es kann
dieser, wohl nur sehr vorübergehcnde Sieg der
Änhänger Kossuths einen entscheidenden Wenre-
punct für die endliche Feststcllung des fort-
während in der Schwebe bcfangenen Verhält-
niffes Ungarns zu dem Gesammtstaate abgeben.
Eine Austösung des Landtages kann erfolgen,
und damit so ziemlich aüen neucren Rachrich-
ten zufolge nach dcr jetzigcn Stimmung der
sämnttlichen Bevölkerung slavischer rind ru-
inänischer und selbst eines sehr großen TheilS
der magparifchen Race, ciue Vermehrung der
Deak'schen Partei. — Auch werden die Uu-
garn jetzt entschieden zur Beschickung des all-
gemkinen Neichsrathes in Wicn aufgefordcrt,
und bei ctwaiger Weigerung/ unbeschadet durch
shr Nichterscheinen, die weitcr entscheidenden
-Beschlüffe gefaßt werden.

Wir haben schon bei vcrschiedcnen frühern
Anlässcn erwähnt, daß wir den auf ihre Son-
der-Nationalität pochendcn Ungar» ihre alt-
hergcbrachkcn historischen Rcchte von Herzen
gönnen und daß uns zugleich ihr Mißtrauen,
gegenüber der habsburgischen Politik von frü-
heren Anläffen her, sehr erklärlich ist. Allein
alles, was die Ungarn von Rechtswegcn ver-
langen können und selbst noch Manches dar-
über, ist bereits in dem Deak'schen Programm
enthalteu, welchem bekanntermaßen^das Prin
cip einer reinen Personalunion zu Grundc
liegt. Wenn dahcr trotzdem cine ertreme Par-
tei noch wcitergchende Begehren aufstellt, so
kann den Tendenzcn derselben kein anderer
Zweck zu Grunde liegc», als eben das Zu-
standekommen ciues ruhigen und friedlichen
AuStragcs der Dingc für Ungarn uud Oester-
reich und einc Neugestaltung dcs Gcsammt-
flaatcs um jeden Preis zu hindern. Es holt
diese Partei offenbar ihre Parole von Koffuth
und andern im Auslande flüchligen Führcrn,
welche überhäupt kcine Neform, sondern ledig-
Irch Lie Ncvolulion als Ausgangspunct ihrer
Bestrcbungen wollen. Wie fich die Ertreme
stels bcrühre», so verfällt diese letztere Partei
in dcnselben Fehicr, wclchen man einer gewis-
sen, in der Umgebung des Wiener Hofes im-
mer noch bestehenden reaciionären Clique zur
Last legt; der eincn wie der andern Faction
eben ist die constitntionelle Neubegründung

Oestcrrekchs em gewaltiger Dorn im Auge.
Nicht nuk >n der gesammten österreichischen,
sondcrn auch in der deuischen Prcsse, selbst
democratischer Richtung, ist jenes auch ziemlich
allgcmeiii anerkannt, und es ist wohl nur aus
eiuer gerrngeren Vertrauthcit mii den Sonder-
verhältniffen Ungarns zu erklären, wcnn stch
hie und da nvch eine »ereinzelnte Stimmc fin-
det, welche den Bestrebungen der Koffuthpartei
das Wort zu reden sucht. Jn den Landtags-
verhandlungen geht diese bem äußern Schcine
nach zwar nur in rein formellen Dingcn von
den Anhängcrn der gemäßigten Richtung aus-
einänder, z. B. indem die Letztere vo'n Seiten
des Landtages eine Ädrcffe an den König, die
Erstere aber einen förmlichen Beschluß ver-
langte, da der jetzige Käiser von Oesterreich
zur Zeik noch »icht als König vvn Ungarn
anzuerkennen sel. Dre sog. Nesolutions-'vder
Beschlußfassungspartei scheint aber hiebei zu
vergesse», baß sie, vermöge einer weitern formell-
rechtlichen uud logisch völlig richtigen Eonse-
quenz gar nichb auf dem Landtage hätte er-
scheinen svllen, da Riemand außer dem wirk-
Iichen König von Ungarn bas Recht hat> einen
svlchen einzuberufen.

Deutschland.

Karlsruhe, l7. Juni. So ist denn auch
in Württemberg das Eyncvrdat aks Verlrag
außer Wirksamkeit gesctzt und Lcr Weg der
Gcsetzgebung zur Regclung dicser kirchenpo-
litische« Fragc bctreten wordcn! Der Staats-
weisheit, Lie cs für heffcr fanv, im Verlauf
vcs Kirchenstreits sich von dcn andern bethei-
ligten Regierungcn zu treunen unv einseikig
mit Nom zu verhandeln, mag es nicht geriugc
Sclbstllberwinbung gekostet habcn, um ihrer-
seils Lem Bcispiel zu fvlgen, welches das
mißachtete Baden gegedeu hat. Ob bie Auf-
opferung dcs Concordats auch >» allgemeiner
politischer Beziehuug sür Württemberg die
ersprießliche Fokge haben mag, daß seine Re-
gierung die Wege der unsrigen einschlägt?
Diese Frage ist, nach der Lage der Dinge,
verneinend zu beautwortcn. Es scheint, als
sehe mau dort das Heil Deutschlanbs, wie
ein baperischer Liberaler, in einem großeu
National-Unglück, d. h.-Lie endliche Einigung
m ciuer neuen'Frkmdeiitzerrschaft angebahnt.
Das Preisgcben des Concordatö schemt we-
scntlich bewirkt worden zu sein durch die Furcht,
eine Mißachtung des KammervotumS könne
der natioualcn Bewegung, die mehr und mehr
auch in Württemberg Bodcn gewinnt, Vor-

schub leisten, und dcn Blick auf den Znfam«
menhang der Kirchcn- und StaatSpolilik hi'n«
lenken. Sö hofft man durch ein Zugestäüd-
niß äuf der elneii Srile frciere Hano alrf
der andern zu erhalten, d. h. im Vercin Mit
Len Würzburger Eonfcrenzstaatrn Deutfchkand
den Segen rines Bundcskricgsraths für ew'ige
Zeiten zu sichern nnd dic verdiente Anerken-
nung nichl zu verlieren, wclche der fränzösische
„Moniteur" solch' pairiotischen Anstrengungen
angedeihcn läßk. Zunächst wird fich däs Zn-
rcreffe auf Vie ncuen Kirchcngesctze richtcn,
die an die Stelle des Concoidäts treten sol-
len. Mit einer bloßen Uinwandlung der Pa-
rag^aphen des lctztcren in Gcsctzesform wird
'sich dic Mk-hrhcit Lrr Äammer bcgnügcn. Der
Znhall des Concordals war der Stein Les
Anstoßes, wie bei unö, so in Würtlemberg,
und darum wird man aüch dcm Wcsen nach
etwas Andercs verlangc», als in jcnem ent-
hallen wär.

Karlsruhe, 18. Zuni. Nachrichten aüs
Berlin zufolgc werden ZZ. MM. der Köiu'g
und die Königin von Prcüßen in Mttte näch-
stcn Monats in Baden eintrcffen.

Mannheim, 17. Juni. Heute bcgqnn
dahicr Lie Sch w ut geri ch ts-Sitz u ng des
2. Quartals, untcr dem Borsiße dcs großh.
Hofgerichts-Raths Ruch. Bon Len Haupt-
geschworncn waren nur drei ausgeblicben,
welche aber sür genügend entschüldigt bcfun-
den wurden, indem sie nachwiesen, daß ste
durch Krankheit am Erscheincn verhindert wa-
ren. Darauf wurde zur Verhandlung dcs erften
Falls, der Anklage gegcn Johann Becker II.
von Kirchheim, übergegangcn. Dicser haite
sich im Zahr 1853 vringcnd verdächtig ge-
inacht, scin eigenes Wohngcbaudc zur Bcein-
trächligung der Rechie der Brandversichrrnngs-
Anstait angezündet zu habcn. Jm Derember
v. Z. hatte derselbc wicderholl den Vcrsnch
gemacht, sein Haus in Brand zu stecken. Auf
Vcraiilaffnng des Staatsanwalls wnrbe die
wcgen des Lersnchs eingcrcttcte Untersuchung
auch auf die frühere Brandstiftuug ausgedehitt
und liefcrtc in letzierer Bezichüng so gewich-
lige Beweise gcgen dcn Angcklagten, däß die
großh. Aiiklagekammer die Verweisung deffel-
ben vor das Schwurgerichc aussprach,. wäh-
rkird Las Verfahren In Bcireff des Neuerlichen
Versuchs eincr Brandstiftung wcgen Unzuläng-
lichkeit des Beweises eingrstellt werden mußte.
Zn bcr heutigen Berhandlnng, bei wcicher der
großherz. Staatsanwalt Maps dic Staats-
behörvc, Rechtsanwalt Friedmann Len An-
gcklagten vertraten, wueve Zohann Bccker II.

Ädvorat Qonhard pourquois.

Em Beitrag zur Sittengeschichte deS MittelalterS.

(Fortsetzung).

Beim Anbiicke dcs jungcn Mannes könnte sich
dcr Advocat eines Gefühls des Mitleids nicht er-
wchren, »nd mit bewegter Stimme sprach er- zu
dem Gcfangencn: „Herr v. Maullc, bevor ich mich
näher mit Eurer Angelcgcnheit befaffe, muß ich
Euch ein freies und offenes Gcständmß machen^
es ist so meinc Art zu handeln. Mcin Beruf als
Advocat macht es mir zur hciligen Pflicht, den Un-
glücklichen undBedrangten meine schwachcn Talente
zu weihen, sie nach meincn Kräften zu Mtzen und
zu vertheidigen; er befichlt mir jedvch keincswegs,
mich mit Sachen zu befaffen, die ich nach meinem
Gcmiffen sür schlecht crkenne; sagct mir darum auf-
richtig, ob Jhr strafbar oder ob Jhr uuschuldig ftid.
Zm crsten Falle zi«he ich mich zurück, im letztcrn

abcr will ich mich ganz Eurer Augelegenheit weiheii,

und ich werdc mich glücklich schätzen, wcnn ich der
Wahrheit den vollen Sieg vcrschaffcn kanntti

„AuchJhr, Meister Pourquois", riefder Mdame
mit bcwcgter Stimme aus, indem er ftine Hände

gesaltct gegen die feuchte Wölbung ftines Kerkers
empvrstrcckte, „anch Zhr könnt mich strafbar glau-
hen! — o, bleibet, Mcsfire, und hört ohnc Furcht
und ohne Erbleichcn die Beichte eines Mannes,
deffen Seele rein von jedem Fleckcn ist."

„Genüg, Herr v. Maulle", antwortete der Ad-
»ocat, „ich hatte cs nicht um den Prcis von zchn
Zahren meincs Lebens wollen mögen, Euch eiiies
so gcmeiuen und feigcn Vcrbrechens schuldig zn
wiffen; erzählet mir also Alles, was zu dieftr schreck-
lichcn Anklage Vcrdacht geben konnte, verhchlct mir
auch nicht den kleinstcn lkmftand und bcdenket, daß
«enn der Beichtoater cin Arzt der Seele ist, der
Advocat ein Arzt der Ehre sein soll."

Nachdcm fich der Vidame einigc Augenblickc ge-
sammelt hatte, crzähltt er dem Meister Leonhard
umständlich alle Facta, die irgendWie seiner An-
klage eincn Halt gcbcn konnten, und mit erregter
Stimme fügte er hinzu: „Jch will es gestehcn, ich
liebte diesc schöne Berenice mehr als irgcnd einc
Dame am Hofe, aber wic hätte ich mich cntfchlicßcn
können, eiu Verbrcchen zu bcgchen oder zu eincm
Raube meini Zuflucht zu nehmen, um sie zu be-
sitzen?"

„Aber- machte der Advocat, dtese Wette von 150
Goldthalcrn?"

„Sic wurde mir angeböten und ich war wahn-
siunig genug, sie zu halten", erwiderte dcr Vidame,
„aber ich wiederhole es noch eininal, hättc cs mw
wohl auch für eine zwanzig Mal größere Summe
tn den Sinn kommen könncn, die Brandfackel in
die Hauptstadt des Königreichs zn schteudern oder
jencs Mädchen zu entehren, dcm ich vor aller Wett
meinc Licbe weihte?"

„Es gibt cin sichcres Mittcl, um das ganze Ge-
rüste der Anklage über den Haufen zu werfcn",
gegenredcte der Advvcat, „und das ist, daß Zhr
genau Eure Erinnerungen sammelt und niit allen
Einzelnheiten angebet, wic und wo Zhr die gaNze
Nacht deS Weihnachtsftstcs zngebrächt habt."

Bei dieftn Workn schlug der Vidamc die Augc»
nieder, dann ergriff er die betden Händc dcö Äd-
vocaten und preßte sic an seine Brust: „Messire",
sagte er hierauf, „sollte ich metn Lebcn unier de»
schrecklichstcn Martern »erlirrcn, soütc ich cs selbst
mit ansthcn, wic von ehrloftr Hcnkcrshand mein
Wappenschild aüf dem Schaffotc zerbrochcn wird,
s» werde ich doch niemals sagcn, «o ich tn dieser
 
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