Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Januar
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2787#0071

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
N 1S


Mittlvoch > S3. Zanuar

JnsertionSgebühren für die Zspaltige Petit-
zeile werde« mit 2 kr., bezw. 3kr. berechuet^

R86L.

Der Proceß Anderson.

Von besonderem Jntereffe ist m diesem
Augenblick ein Proeeß, der seit geraumer Zeit
das Publikum Englands nnd Canadas be-
schäftigt. Während die Sclaverei Snden uud
Norden dcr Unlon von einandcr zu reißen
droht, hat fle gleichzeitig cinen Rechtsstreit mit
Englanv veranlaßt. Die frcien Staaten der
grvßen transatlantischen Republik sind bc-
kanntlich den Sclavenstaaten bis zu cinepl ge-
wiffcn Grade unkerthänig; sic habcn nicht nur
die gesetzliche Eristenz der Sclaverei im Sü-
dcn anerkannt, sondern sich verpfiichtet, die
auf ihren frcien Boden fiüchtenden Sclaven
anszuliefern. Canada aber ist britischer Bo-
den und behcrbergt sehr viele aus dem Sü-
den der Union gcfiüchtete Farbige. Hier kann
sie kein „knAitivs «lavo lnvv" beunruhigen.
Trotzdem ist der Versuch gemacht worden, die
Auslieferung eines gefiüchtetcn Schwarzen von
den Behörden Canaocks zu crlangen und bei-
nahe wäre der Versuch geglückt. John An-
dcrson, ein Sclave in Missouri, deffen Weib
nach ciner entfernten Pfianzung verkauft wor-
dcn war, und dem diese Trennung den Fluch
seiner Lage doppelt fühlbar machte, suchte
nach dem Nordcn zu entkommen. Auf der
Flucht wurde er von einem ihm fremden Pfian-
zer angchalten und nach seinem Paß gcfragt.
Er riß aus, der Pfianzer (Namcns Digges)
setzte ihm mit 4 Negern nach, holtc ihn ein
unv Anderson setzte sich zur Wehre. Digges
erhielt im Kampf einige Mefferstiche, an dc-
nen er nach ungefähr einer Woche starb. Dieß
begab sich vor ungefähr 7 Iahren. Anderson
leble seitdem als chrlicher Handwcrker und
glaubte sich geborgen. Die Erbcn von Dig-
gcs erspähtcn inzwischen seinen Aufenthalt und
vcrlangten, anf Grund des (843 mit Groß-
britanniengeschlossenenAuslicferungsvertraqes,
scine Verhaftung und Rücksendung nach Mis-
souri, damit er wcgen des Mordes vor Ge-
richt gestellt werdc. Der Bertrag bezicht sich
auf schwerc Verbrechen gegen Leöen und Ei-
genthum, auf Mord, Diebstahl und Fälschung.
Anderson wurde vcrhaflct, aber es fanden sich
Freunde, die in seinem Namen an die Qneeus
Beuch von Toronto appellirten und seine Frei-
laffung beantragten. Die Gerichtsverhand-
lung erregte ungcwöhnliches Aufsehen. Die
Pcrsönlichkeit Andersons wurde sls einneh-
mend geschildert. Vor allem aber drängke sich
dcm Pnblikum die Betrachtung auf, daß An-
derson in Miffouri keine unparteüschen Rich-
icr sinden, daß er im Fall der «chuldigsprc-

chnng lcbendig gebraten vder auf anderc Weise
zu Tode gefoltert, im Fall der Frersprechung
aber jedeiifglls zu ncuer Sclaverei verdammt
und der Pfianzerrachc preisgcgebcn würde
Glücklichcnveise schiencn auch Gcist nnd Buch
siabc des.Pertrages zu Gnnsten Andersons zu
sprechen. Rach dcm Gesetz von Miffonri war
Anderson ein Mörder. Nach dcm britischen
Gesetz hatte Digges nicht das Recht gehabt,
ihn anzuhalten und seiner Freiheit zu berau-
bcn, hatte Auderson einen Act der Nothwehr
und weiter nichts begangen. Der Vertrag
aber beßimmt ausbrücklich, daß kein Recla-
mirter quszuliefern ist, außcr wenn Jnzichten
gegen ihn vorlicgen, wegen deren er vor die
Gerichte dcs Landes, in welchem er sich zur
Zcit besindet, gcstellt wcrden müßte. Dennoch
entschied die Queens Bench in Toronto, daß
Anderson als cin des vorbedachten Mordes
Schuldiger auszuliefern sei. Diese Auslegung
erregte in.Canada allgcmeines Erstaunen, noch
größeres in. England, wo man eine so nneng-
lische Anschauung keinem Angelsachsen zuge-
traut haben würde. Obgleich nun noch cine
Bcrufung an den Gerichtscourt in Canada zu-
lässig schien, so scheint eS, daß AndersonS
Freunde kein Vertrauen zu andern canadischen
Tribunalen haiten. Es wurde also die Queens
Bench vvn Westininster in London angerufen,
und diese bewilligte gestern nach kurzer Be-
pathung eincn >Vrit ok llubea» 6orpu», d. b.
einenBeühl on dic bctr. canada'schen Behörven,
den Iohn Anrerson an Ort uud Stclle (nach
London).zu schaffen, damir mit ihm nach Recht
und Gesetz verfahren werde. Doch ' sind die
Blätter übcr den wahrscheinlichen Ausgang
d.cs Proceffcs noch nicht einig.

D e u t s ch l a n d.

^ Heidelberg, 21. Jannar. Bckanntlich
hat auch dic .XXl. Versammlnng dcutscher
Land- und Fo.rstwirthc sich für Einführnng
eines einhcitlichen Mgaßcs in Deutschland
ausgcsprochen und das Präsidium hat cs über-
nvmmen, dicseii Beschluß allen hohen deutschcn
Regicrungen inüzutheilcn. Dics ist durch fol-
gende Eingabe geschehcn:

„DaS Bedürfniß von einheitlichen Znstitn-
tionen ün Gesammtvaterlande wird täglich
stärker gcfnhlt. Es bcsteht daher dic schönste
Anfgabe dcr dentschcn Rcgierungen darin, dic-
sen gerechten Verlangen der Bevölkerung auf
dem Wege ver gesetzlichen Reform zu ent-
sprcchen.

Mag die Lösung mancher hierher gchörigcn

Fragen auch schwierig sein, so wird bei dem
guten Willen dcr Betheiligten gleichwohl ein
gedeihliches Ergebniß crwartet werden können,
und es fällt in die Waaqschaale, daß der-
gleichen Gcsetze durch die bcreitwillige und
freudige Entgegennahme dcr Verwalteten schr
leicht i'n's Leben einzufnhren sind.

Das Gkbiet der materiellen Jntcreffcn be-
ansprucht in dieser Bcziehung besvnderc Be>
rücksichtigung. Hier tritt das Bcdürfniß der
Einheit für alle Schichten des Volkes am
greifbarsten auf nnd erheischt um so schncüer
cine Erledigung, als die Handels- »nd Bcr-
kehrsverhäliniffe einen immcr ausgedehnteren
Kreis annchmen.

Wenn män ebcn jctzt, aufgemuntert durch
daS Zustandekommcn des dcutschcn Wechsel-
'gesetzes, mit der Beärbeitüng cincs deütschen
Handelgcsetzbuches beschäftiget ist, so reiht sich
unwillkürlich dic Erledigung ciner andern Auf-
gabe hicran, die bereits i'm Schoöße dcr hohen
deutschen-Blindesvcrsammluiig angcrcgt ist.

'Diese Frage betrifft die Einführung eincs
deutschen e i n h ei t lich en Maaßes.

Es würde ein vcrgebliches Bemühe» sein,
ein Wort zur Begründung dicscs allgemeincn
Wunsches vorzubringeii; allein mit hoher Be-
friedigung darf das gchorsamst iinterzcichnete
Präsidium sich die Frciheit nchmen, Eine Hvhc
Staatsregiernng von dcm Bcschluffe der im
September v. I. zu Heidelberg abgehaltenen
XXI. Vcrsaminlung dcutschcr Land- unv Forst-
wirthe ergebcnste Mitthcilung zu machen, der
auf Anregung der Focstsection gemacht wurde:

,,„Es ist im Iiitereffe der Wiffenschaft, wie
der PrariS, sich übcr ein deutsches Maaß zu
einigen und darauf hinzuwirkcn, daß eine
Maaß-Einhcit in Deutschland von allcn Re-
gierungcn cingeführt werde, und die Versämm-
Iiing spreche sich ferner dafür ans, daß das
metrische Spstem das Geeignetstc se'i.""

Dieser Beschluß einer Vcrsammlung, die
685 Mitglicder zählte, die-ans allcn Theilen
unsercs Vaterlandes besncht war, unv durch
dic Zntelligenz und den Grundbesttz ihrer Theil«
nehmer eine hervorragende Bcdeutüng gewin-
nen mußte, mag als vollgiltiges Zeugniß da-
für angesehen werden, daß die Einführung
eincs einheitlichen deutschcn Maaßes zu den
heißesten Wünschen der Gesammtbevölkerüng
Deutschlands gehört.

Das gchorsamst unterzeichncte Präsidium,
welches beauftragt wurde, diesen Beschluß dcr
Bcrsammlung zur Keiintniß der Höchsten dent-
Regierungen zu bringcn, karf fich der Hoff-
niiiig hiiigcbcn, daß dic hieuiit'gcschehene Er-

Sir lirbt mich.

Novcllcte von Carl Stugau.

(Fortsctzung).

„Geh, geh! Vatcr, was fällt Dir ein, Dich bei
Dcinem eigenen Weib so zu entschuwigen. Du bist
der Herr. Ich habe mich zwar geängsrigt, daß Du
so langc nicht kamst; ich besorgte, eS möchte Dir
etwas geschehen sttn, aber nun, da Du da bist, bin
ich schon wicder zufrieden. Komm, mein Alter, ich
habe den Kaffce heut doppelt gut machen laffen,
das wird dem öden Magen wohl thun."

Mit dicsen Worten führte sie ihn hinein tn's Zim-
mcr, holte ihm Schlaftock und Pantoffeln, schenkte
ihm Kaffee ctn und erwtes ihm alle jene klcinen Auf-
merksamkeiten, dic dem Manne so wohkthun, weil
er in ihnen gleichsam das Walten eincr irdischen
Vorschung sieht. Das Vcrdienst diestr kleinen Auf-
mcrksamkcit beruht recht wesentlich in ihrer schein-
baren Unbedentendheit und inihrerhäufigenWieder-
holung. Wahrkich, es gehört wenigcr dazn, ge-
legenheitlich eine «inzelnc große That zu vollbrin-
gcn, als dte kleinen Psiichten dcs Alltagslebens
unermüdet und unverdrosscn zu erfüllen. Dem Ver-

dienst im Feld, im Staat, in der Wiffenschaft und
Kunst winken Ehre und Ruhm, das Verdienst einer
pfiichttreuen Gattin belohnt kein Orden, posaunt
keine Zcitung aus.

Theodor sah in der Zuvorkommenheit seincr Frau
nichts als die Wirkung des Schuldbewnßtseins, dcnn
er hielt es mit Anderen für ein Ariom, daß Frauen
am zärtlichsten dann stien, wenn sie vom bösen Ge-
wiffcn gedrückt werdcn. Um Melanie nicht vor der
Zeit aus ihrer Sicherheit aufzuschrecken und so stinen
geheimcn Racheplan zu vereiteln, stellte er sich, als
ob er ihre Likbcsbeweist für ächte Münze nchme,
und bemühte sich, ihr in glctcher Münzc heimzu-
zahlen. Wer ben schlichten, geraden Sinn dcs
Mannes kannte, hätte ihm solche Verstelliing nim-
mcrmchr zugctraut. Allein allc großen Leiden-
schaften, Liebe, Haß, Rache, Ehrgciz, Eifersucht,
bcfähigcn zu ungewöhnlichen Anstrcngungen, und
man muß leider bekennen, daß die gcmcincn, stlbst-
süchtigen Leidenschaftcn GrößereS in der Welt voll-
bringen, als dic cdleren. Natürlich meincn wir
dic vergleichSweist edleren, dcnn cdcl im cigent-
lichen Sinnc ist ihrcr Ratur nach kcine Leidcnschaft.
So sthr indeffen wußte Thcodor Züge und Jnto-

nation der Stimme nicht zu beherrschen, daß stin
Benehmen der fcinfühlenden Frau nichl aufgefallen
wäre; denn die Verstellung ist eine Kunst, in der
man es wie in jeder anderen Kunst ohne Ucbung
zu kciner Meisterschaft bringt, und Uebung hatte
dcr Mann, der sonst nic cine Unwahrheit sprach,
keine.

Jm Hintergrundc der Seele dämmerte Melanie
cine Ahnung auf, dic sic sich abcr «ohlhütete laut
werdcn zu laffcn. Es gibt Dinge, die unäusge-
sprochen sormlos blciben wic Aebel und ivie Nebel
wiedcr vergchcn; auögcsprochen bekvinmen sie Ge-
ftalt und Leben, und schon manchmal ist durch ein
zu rasch gesprochcnes Wort dcr Friedcn einer sonst
glücklichen Ehe auf immer getrübt wordcn. Melanie
fühltc das instinktartig, darüm sprach sie nicht.

Nichts ist so sthr geeignet, dte Dissonanzcn einer
verstimmten Mcnschensecle aufzulösen, als der An-
blick dcr Natur und noch mehr der Kinder; „ihre
verdicnstlost Trefflichkeit", wie Schiller sagt, wirkt
wjc Oel auf empörte Wogen gegoffen. Melanie
kannte diest Wirkung und holtc sich eincn Sccun-
dantcn aus dem Kinderzinimer, ihr Söhnchen, das
sic dcm Vater an die Brust legte. Wie der Kleinc
 
Annotationen