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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Januar
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https://doi.org/10.11588/diglit.2787#0067

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Dienstag, 22. Zanuar

ZnsertionSgebühren fnr die Zspaltige Petit-
zeile werden mit 2kr., bezw. 3 kr. berechaet.

ü Krieg oder Frieden?

Dtese Frage beschäftigt jetzt alle Gemüther.
Wtrd der kommende Frühltng auf's nenr den
Kampf anflodern laffcn, rvird Gartbaldt, wte
er vorhergesagt, tm März seine Ztegentnsel
verlaffen, um dte Krtegsfackel nach Venetien
zu schleudern, odcr wtrd eS der Poltrik des
schlauen Cavour gcltiigen, den Gcwaltschrttt
nochmals zu verschteben? Aus Ocsterrctch,
das am meisten bei der Sache bctheiligt ist,
sind die Stimmen in dcr nensten Zeit voll
Friedenshoffunngeii, sie vertrauen darauf, daß
Garibaldi bei der noch so mangelhafteu Orga-
nisation der Zustände Jtaliens, bei der Un-
möglichkeit, das Heer und die Flotte in so
kurzer Zeit zu vervollständi'gen, den ungleichen
Kampf mit bem mächtig verschanzten Oester-
reich noch nicht wagen werde. Und doch wird
nach dem Fall Gaeta's, der jetzt wohl rasch
erfolgen muß, sich alles Sinnen und Trachtcn
Jtalicns auf Venctien richten. Wird nicht
das ficberhaft erregte, vvn scinc» Erfolgen
berauschte Volk mit ciner Gcwalt zum Kampfe
drängen, dem selbst Garibaldi nicht widerstehen
kann? Wird nicht der innere Zwiespalt Oe-
sterreichs noch mehr zum Angrist locken?

Aber hat nicht auch das Orakel an der
Seine, auf deffen Stimme die ganze Welt
athemloS lauscht, den Frieden laut genug ver-
kündet, läßt es nicht täglich in der französischen
Preffe die Hoffnung auf Frieoen bestärken?
Es wäre Thorheit, ihm zu glauben, selbst wenn
daffelbe es diesmal ehrlich meinte! S» mächtig
Napolcon III. jetzt auch ist, so sehr cr auch
— Schmach genug, daß cr es konnte! —
Europa zu einem Puppentheater hcrabgedrückt
hatte, deffen Fäden in seiner Hand zusammen-
liefen: die Wahl liegt jetzt nicht mehr in sci-
ner Hand, er kann die Geister, die er herauf-
beschworen, nicht mehr bannen. Mit unauf-
haltsamer Gewalt rückt die Entscheidung nähcr
und näher. Nicht Venetien mehr allein, son-
dern der Orient hauptsächlich ist der gordische
Knoten, deffen Lösung nur dem Schwerte mög-
lich. Und nicht blos dic orientalische Frage
und di'e iialienische sind jetzt die „brennenven",
nein, fast ganz Europa ist in einer Gährung,
dic bci dem crsten Anstoß zu offencr Flamme
ausbricht. — Wohcr diese allgemeine Un-
ruhe, dieser Geist, der die alten bisher ge-
wohnten staatlichen Verbindungen über den
Haufen zu werfen und das europäischc
Gleichgewicht dauernd zn verrücke» broht?
Jst Napoleon der Unruhestister, der sich ein
diabvlisches Geschäft daraus macht, die Re-

Sir liebt mich.

Novellcte von Car! Stugau.

(Fortsetzung).

Diese Worte wurden während des AnkleidenS in
der Garderobe mit halblautcr Stimmc geflüstert;
allein so leise sie gesprochcn wurdcn, hatten doch
ein ausmcrksames fremdes Ohr.sie vernommen. Es
war dcr Mann mit dcr blauen Brille, dcr, hinter
cincr SLule stehend, Zeuge der eben geschilderten
Scene gewescn «ar.

Melanie und Marie stiegen in den Wagcn. Auf
dem Perron stand dcr jungc Mann, der ehrerbie-
tig grüßte. Die Damen dankten, der Wagenfuhr
bavon. Der jungc Mann sah nach, bis de^Wagcn
um die Ecke bog, dann schlug er eine der kleinen,
gegen das Jnnerc dcr Stadt führenden StraHen
ein und hielt, nachdcm cr etnige Hundert Schritte
gegangen war, vor eincm Hausc mtttlerer Größc.

Ohne daß er es bemerkt hatte, war ihm in mäßi-
ger Entfernung «ie sein Schatten ein düster blicken-
der Mann mit blauer Brille gefolgt. Als ver
jnnge Mann hinter der Thüre verschwundcn «ar,
zog jener eine Schreibtafel aus dcr Taschc und no-

volution überall anzufachen und Bewegung
zu erzeugen, wo sonst Ruhe hcrrschte? Man
hütc sich, rhu für mächtiger zu halten, als er
ist! Es i'st richti'g, er war bisher gcwi'ffer-
maßm „der Hrcht im Karpfentei'che," der die
Welt in Athem «rhrelt, der Saucrteig, von
dem dic Gährung i'hren Ausgang nahm, al-
lein er hat bie Zustände nrcht gemacht, vi'e
Keime zu den Früchten, welche jetzt reifen,
waren längst vorhanden, und würden sich
ohne ihn später ebenfalls entwickelt haben:
er hat die Reife blos beschleunigt. Der Zu-
stand »ieler Staaten Eurvpa's war und ist
noch ein unnatürlicher und geschraubter, die
Ansichten, Wünsche und Bcdürfniffe einzelner
Vöiker sind mit ihrer äußeren Stcllung in
so grellem Widersprnch, daß cs Wundcr
nimmt, wie diescr Zustand so lange bestehen
konnte. Der Revolutionssturm, der im Jahre
1K18 Europa durchtobte, war cin, wiewvhl
mißglückter Versuch, aus dem Zwaug un-
günstiger äußerer Berhäliniffe hcrauszutrcten.
Die darauf folgcnden Jahre dcr politischen
Erschlaffung haben die ehemals drückenden
Verhältnisse nicht geändert, sie haben die Ent-
scheidung nur hinauSgerückt. — Schon lange
ist das „einige Ztalicn" der Traum italie-
nischer Pairiotcn, aber ohnc Napoleon III.
hätten sie wvhl noch einige Zeit träumen
können; schon langc siecht der „kranke Mann",
und uvch gcraume Zeit wohl hätte er sein
Dasein gefristet: — das französische Stich-
wvrt vom Nationalitätsprincip, hineingewor-
fcn in diesc gährende Maffe von Serben,
Bulgaren, Gricchcn, Albanescn und Moldau-
Walache», ist der Zündcr, der die losc Ver-
bindung mit dem osmanischen Reich baldigst
sprengcn und neuc Zustände an der untern
Dvnair erzcugcn wird.

Und nun neben Veneticn und der Türkei
das durch dic Rath- und Energielosigkeit in
den höchsten RegierungSkreisen dem voraus-
sichtlichen Zerfall cntgegcngeführte Oesterreich,
deffen langjährigc CentralisationSpolitik jetzt
um so heftigcr in ihr Gegentheil umschlägt,
je drückender sie bisher durchgeführt wurde,
deffen einzelnc Völkergruppen sich theilweise
im wachscnden Haffe gcgenübertretcn: drei
große Reiche in steigender Äufregung und zum
Theil gräuzenlvser Verwirrung, — wer da
noch auf die Erhaltung der europäischen
Nuhe hofft, der glcicht dem Schiffbrüchigen,
bcr nach dem Strohhalm greiftl

tirte sich bcim Schcin der GaSlatcrne die HauS-
nummer, dann schrttt er «eiter.

„Stc itebt mich!" murmelte er vor fich hin,
und ein höhnischcS, von furchtbarcr Leidcnschaft
entstelttes Lachen entrang fich sctner Brust. „Doch
nur Geduid, schöne Krau, und Du junger Laffe,
das Gericht bieibt nicht auS, und es soll so aus-
fallen, daß euch wenigstens die Lust vergehen «ird,
den Betrogene» auch noch zu höhnen."

Jn der Nahc eineS auf cinem freicn Piatze
gclegencn Gasthofcs angekoinmen, nahm er die
biaue Brille und den falschen Bart, womit er sich
unkenntlich gemacht hatte, ab, und trat in das
Gastziminer. Sein Gesicht mußte einen fürchter-
lichen Ausdruck haben, denn dcr Kellner wich scheu
bei Seite und die ihm sonst so geiäufigc Frage nach
den Befehien des cingetretenen Gastes blieb un-
ausgesprochcn in seiner Kehle stecken. Theodor sctzte
sich an ein kieineö Tischchen an der hintcrften Ecke
des GastztmmerS.

„Wein!" schrie er dem Kcllner zu.

„Weiche Sorte brsehicn Sie?" fragte dteser, und
seine Stimmc zittcrte unter dcn unheimiichcn Biicken
des Maicrs.

D e u t s ch t » V.

AuS Baden, 17. Jän. Die Prötestant.
Kl'rchcnzeitling in Berlin sägt in dem Bor-
worte zum Jahr 1861 über die kirchli'chc Skel-
lung unsereS LandeS: „Für jetzt haben wir
in Prcußen und im übrigen Deutschland für
die kirchlichcn Angelegeiiheiten zwei Vorbilver,
das Großherzogthum Baden und däS König-
reich Sachsen; jenes, wie wir eS mächen müs-
sen, daS andere, wie wir es nicht machen fvl-
len. Das Großherzogthum Baden gläiizt heü
lm Llchte des 19. Jahrhunderts, das ist wirk-
lich gegenwärtiges Leben, wie es von der jetzt
lebenden Generation empfunden nnd verstan-
den wird. Da ist Berstand, Character, Herz-
hastigkeit in dem Verfahren, wie man kirch-
liche Dinge behandelt. Es ist das frellich
wenig schmei'chelhaft für uns m Prcußen, daß
wir, der Vorort und Halt des continentalen
PrvtestantismuS, uns erst von Badcn müffen
ein Vorbild geben laffen. Di'e badische Regic-
rung ist ein Vorbild in dcr Behandlung der
katholischen Kirche. Sie ist die crste, welche
den allein richtigen Grundsatz unzwrideutig
aufgkstellt hat, daß die katholische Kirche Maaß
und Umfang dcs bürgcrlichen Rechtes lediglich
von der Gesetzgebung des Staates zu em-
pfangen habe; und dic Gesetzr, wclche sie in
dieser Hinflcht hat ausgehen laffcn, cntsprechcn
in allen Hauptsachen dem, was einer Kirche
von GottcS und Rechtswcgen zukommt. Sie
ist die erste und einzigc, wclche auch der pro-
testantischen Kirche den vollcn Umfang lhrer
Berechtigung zu gewähren Anstalt macht, und
wir können nur wünschen, baß sie auch i'n
diesem Stücke mit demseiben frischen Mulhe
und mit derselbcn Entschiedenheit vorschreiten
möge."

^ Freiburg, 20, Aan. DaS dnrch die
Gasausströmuiig cntstandene Unglück ist anf
das cinzige Opfer eines 70jährigen Greises
beschränkt geblieben, indcm die zunächst am
häriesten getrvffene Frau sich wieder zu erho-
len angefangen hat. Das Unglück hätle ver-
hütet werden können, weün, nachdem man
das Ausströmen bemerkt hatte, größrre Vor-
stcht angewcndet und rascherc Anzcige gemacht
worben wäre. — Dem Vernehmen nach soll
die durch ben Tod des Hrn. Hofräth Schwö-
rer erledigte Lehrkanzel für GeburtShklfe aaf
Ostern wieder besetzt werden und sollen die
deßfallsigen Anträge auf Gewinnung «iner
ausgezeichneten Lehrkraft an einer norddeut-
schen Universität G. gestellt sein. Dagegm
habcn dem Vernehmcn nach die Unterhaud-

„Vom befteit und stärkstcn den Sie haben", war
die Antwort.

DaS Verlangte «ar bald gebracht, eS war schwerer
Tokaier. Theodor, der kein Trinker war, trank
die Flaschc in zehn Minutcn; eine ncue wurde be-
stellt und fast eben so schnell gelecrt, ebenso eine
dritte; er suchte Betäubung und konnte sie nlcht
fiiidcn, sei es, daß seine robustc, ungeschwLchte
Natur der Wirkung des Weincs Widerstand leistete,
oder daß die furchtbare Leidcnschast, dic tn «hm
kochte, wie der Sturmwind den Nebel, die Dttnstc
des fcurigen Rngars vcrjagte. Endltch fühlte er
doch, daß ihm die Sinne schwanden; er licß fich
ein Zimmer geben, um die Nacht im Gasthof zu-
zuhringen. Bald ficl er in etnen bleiernen Schlaf,
der das gequälte Hcrz des armen ManNeS auf
einige Stuiideil setnem Schmerz entrückte.

6.

Das Aufhören tiefen Weh's ist negattve Kreude.
Als Thcodor des Morgens erwacht«, war er sich
in de« erstcn Augenblickcn der Ereigniffe der bet-
drn letztcn Tagc unbewußt und genoß d-S ganze
Wohlgefühl des Ausruhens vom Schmcrz. Plötz-
« lich tauchte in seiner Erinnerung «in fchwarzer
 
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