Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

DOI Kapitel:
Mai
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.2787#0407

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
9!" 101.

Mittwoch, i. Mai


L8«L.

Die Neugestaltung des Bolks-
schulwesens in Baden

Unter diescr Aufschrift hat soeben eine bci
W. Wiese in Hcivelberg gedruckte Broschüre,
eine Denkschrift, den Boren der Oeffentlichkeit
betreten. Mit Vergnügen haben wir dieselbe
durchlesen und nach Form und Jühalt gleich
beachtenz- und empsehlenswcrth gesunden. Für
den Lehrcr selbst ein freundliches Bild deffcn,
was für seinen Beruf geschehen muß, um mit
mehr Scgen wirken zu können, sührt es daö
größcrc Publikum ans eine Sache, die an dcn
krankhaften Auswüchsen des Mittclalters lei-
dend, einer totalen Umgestaltnng bedarf, wenn
dic Bildungsstäiten ihrcr Bestimmung näher
gcrückt werden sollen.

Mit ansprechenden Worten wird darin Alles
dcffen gcdacht, was seit dcr denkwürdigen
Wortc unscres Großherzogs, gcsprochcn am
7. April v. Z., in Baden geschehen ist, wie
das Concordat verworfcn und dem Pietismus,
dcr mit dcm UltramontanismuS geliebäugelt,
die Spitze gebrochen wurde, wie sich aber auch
in den bescheidcnen Räumen der Volksschule
ein neuer Geist, ein freieres Leben, Hoffnun-
gen und Wünsche nach zcitgemäßen Reformen
rcgen. Jn klarer und geordncter Weise wird
gczeigt, wic herrlich Künste und Wiffenschaf-
ten sich entsalten und ein neucs, erhöhtes Le-
ben i» Handel, Gewcrben, Landwirthschast rc.
hcrvorrufen, und wie diese Verhältniffe anch
einc erhöhte Schulbildung erfordern; aber auch
wic um so getrübter diescm schönen herrlichen
Bilde das der Volksschulc gegenüber stcht,
deren Einrichtlingcn mit dem Zcitgeiste in
förmlichem Widerspruche stehcn. Was gute
Schulen für die Gemeinde, sür den Staat,
ja für die Kirche sind, wciß jeder denkende
Bürgcr. Dieses Verhältniß, so wie dcr gänz-
liche Umschwung auf sämmtlichen Gebieten des
Culturlebens hat wohl die Aufmerksamkelt er-
lcuchteter Regierungen inehr als je auf sich
gelenkt und dürfte zu der Hoffnung berechtigen,
hier das gründlichste Werk der zcitgemäßen
Reform anzuwenden.

Ein kurzer geschichtlicher Abriß zeigt uns,
wie die Schule stch allmählig gestaltet habe,
wie sie sich näch und nach aus ihrem Filial-
stande zur Kirche losgemacht, aber Loch noch
trotz aller Vcrbeffcrungen von dieser als un-
mündigcs Kind sticfmütterlich behandclt wird.
Ein Blick auf den Lehrplan ber Volksschulc
dcutet an, wie der Religionsunterricht in maß-
loscr Wcise ausgcbehnt nnd auf Kvsten aller
übrigen Fächer, mit Verschwinden einzelner,

gelehrt wird, wie die Volksschule ihre Auf-
gabe fürs bürgerliche Lebcn nicht erfüllen kann
und wie auch durch dcn maßlos augehäuften
Memorirstoff dcr Rcligionsunterricht zu einem
geist- und hcrzlosen Gedächtnißkram
herabsinkt.

Als weiteres Hinderniß des Empörkommens
der Schulc wird die gedrückte Stelluug
des Lehrers bezeichnet; das abhängige Ver-
hältniß des Lehrcrs vom Geistlichen, der jenen
häufig als Werkzdug zu hierarchischen Zwccken
gebraucht, wird klar und richtig nachgewiesen.
Diese Verhältniffe sind nicht übertrieben, lei-
der nur zu wahr und wir könnten noch viele,
viele Beispiele von Uebergriffen der geistlichen
Znspeckoren anführen.

Es wird nun noch nachgewiesen, wre das
ganze Spstem der Schulbeaufsichtigung von
unten bis oben ganz uach Grundsätzen der
Priestcrherrschaft gcübt wirv unv wie dieses
im großen Ganzen und Einzelnen zu höchst
üblen Folgen Vcranlaffung gibt. Auch wird
nun einigcr Erlaffc gedacht, die sowohl in
das öffentliche, wie in das Privatleben dcr
Lehrer störend und sehr ungünstig einwirken,
so z. B. des Verbots, Gesangvereine zu lei-
tcn, oder auch solchen bloß als Mitglicd an-
zugehören, und der Verköstigung ber Hilss-
und Unterlehrer.

Was nun unter solch „systematischem Drucke"
der ganzeu „klerikalen Lusisäule" in der Schule
erzielt wcrden kanii, läßt sich leicht ermeffen,
und mit Recht wird in der Denkschrift be-
hauptet: „dic Landschulen flnd in bcr That
selten, aus welchcn nach achtjähriger Schul-
zeit Schüler treten, die orthographisch schrei-
ben und schristlich verkehren könncn, was doch
unsere jctzigen Zcitverhältniffc so sehr vcr-
langen." Die Leistungen sinv nicht allein in
Badcn, sie sintz auch in ganz Deutschland
mangclhaft und ungenügend. Selbst in den
Staaten, wo die Lehrerseminarien beffer be-
stellt sind und Männer von ausgezeichnet pä-
dagogischem Rufe gewirkt haben.

Nachdem nun in der besagten Denkschrift
die Mängcl und Gebrechen der jetzigen Wchul-
einrichtung kurz und klar hervorgehoben sind,
werden darin in sachgemäßer und entsprechen-
der Weise die Mittel und Wege bezeichnet,
wie die Schule gehoben werden kann. Der
Keim, die Anlage zur Beffcrgestaltung liegt,
wie es richtig heißt, in der neuen kirchlichen
Gesetzgebung. Die K§. 6 und 12 des kirch-
lichen Hauptgesetzes dürfen nur in Vollzug
gesetzt werden, und es ist ein schöner Aufang
zur Hebung der Volksschulc gemacht.

Um der Schule einc sv dringend gebotene
Einrichtung zu geben, werden vörgeschlägen:

1) Communalschu-Ien, cine Wohlthat

sür Kirche und Staal und „eine dek schönsten
Blüthen des Christenthums", wie ste Herr
Decan Arnold richiig bezeichnet; .

2) Eine bessere Leitüng und Be-
aufsichtigung der Schnlen dürch tüch-
tige, practische Schulmänner, alsv Be-
seitigung der Localschulinspeetion unv Errich-
tung einer „Ortsschuipstege", die aus Geist-
lichen, Lehrern, dein Burgcrmeister und andern
Ortsbürgern aller Bckenntniffe besteht;

Eine geregelte öffentliche Mitwirkung der
Bürgcr, die Ueberiragung der „Bezirksschul-
aufsicht" an practische Schulmäniiek, gleichvicl
welchem Bekennlniffe iic aiigchoren und wcl-
chcn dic „Bezirksschulpstege", äus aüen Leh-
rern cines Bezirkes bcstehend, zur Seitc steht;
die Ernennung eines „Oberfchulrathcs", wel-
cher allenfalls auö practischen Schulmannern
und eincm Zuristen besteht uud dem die Ober-
schulpstege, welche aus Abgeordneten der Be-
zirksschulpflcge gcbildet wird, zur Seite steht.

3) EincbessereLchrerbildung. Wir
konnlen in diesem Blatte npr kurze Anbeu-
tungcn von dem Bilbe gebeu, welches uns in
der Dcnkschrift ben Zustand der Volksschuleu
und ihrer Lehrer vor Augen führt, und wel-
chcs uiis so wahr und uuverfälscht sagt, wie
es in bcn hciligcn Bildungsstätten ber deut-
scheu Zugenb aussicht und wie es nicht aus-
jcheu soll. Möchten nur die demschen Män-
ner recht ernstlich bas dort Gesagte behcrzigen
und bahin wirken, baß die aus edlem pairio-
tischem Sinne, aus Liebe zür Zugcnd unb zu
den vatcrländischen Schulcn und ihrer Lehrer,
aus freier und offencr Brust eines braven
und bicdern Schulmanncs gesprochcnen Worte
nicht spurlos verklingen; vaö wünschen wir
und damit der Denkschrift, dem herrlichen
Denkstein deutschcr Denkweije und Gesinnuug
eine recht große Verbreitung.

D e u t s ch l a n

Karlsruhe, 29. Äpril. Nach dem RegierungSblatt
Nr. 21 erhält Director des Wäffer- und Stkaßenbäues
Lär die Erlaubniß, daS ihm von dem Kaiser der Fran-
zosen verliehe'ne Commandenrkreuz des Ordens der Ehren-
legion anzunehmen uud zu tragen. Dte gletche Erlaudniß
erhtelten: Der Oberpostrach Eberliu, sowie dxr Oberbau-
rath Keller für daS OsficicrSkreuz, und der Jngenteur Krhr.
v. Kageneck für das Ritterkreuz deffelben OrdenS; der
Director der großh. Polytechnischen Schule, Hofr. Rebtxn-
bacher für den ihm voa dem Kaiser von Rußland verliehene«
St.-Stanislaus-Orden 2. Cl.'

Verfugungen und Bekanntmachungen der Mintsterien.
Bekanntmachungcn des großh. MintstertumS deS Zunern:

Pir Hcirathscandidaten.

Novelle von Wilhelm Jungmann.-
(Fortsetzung).

Hrcr nun, an bicsem traulichcn, schattigen Plätz-
chcn, vor sich den Anblick des gewaltigen Natur-
ereigniffes, ringsum umgeben vom Walde, allcs
beleuchtet durch den herrlichsten Sonncnschein, glaubte
Brcnner Gelegenheit gefunden zn haben, ctwas
Nähcres über drs lieblichc Mädchen zu erfahren,
das ihn jeden Augenblick mehr intercssirte und zu
deiii er sich mit unwiderstehlicher Gcwalt hingezogen
fühlte. Er ergriff dahcr mit Zärtlichkcit ihrc Hand,
die Helenc nur schüchtern und verschämt in der sei-
nigen ließ, und sprach mit frcundlichem, zutrau-
ltchem Tone:

„Aber sagen Sie mir doch, meine theucrste Helene,
«ie kommt es dcnn, daß ich Sic noch ntc in unsercr
Gesellschaft gesehcn, mit der Sie ja in der freund-
schaftlichstcn Bcziehung stchcn? Ach, wie glücklich
hätte es mich gemacht, Sie schon früher kcnnen zn
lernen!"

Einige Augenblicke hindurch vermochte Hclenc keine
Antwort zu geben, dann aber richtete sie vertrauens-!

voll ihr schönes Augc, in dcm eine Lhränc glänzte,
auf den jungcn Mann und sprach:

„Ach, lieber Herr Brenner! Ich freuc mich wirk-
lich rccht sehr über dcn Antheil, welchen Sie an
mciner Person zn nehmen schcinen, und besonders
über die fteundlichc Anfmerksamkeit, die Sie mir
heutc haben zu Theil «erden iaffen; darum «ill
ich auch so vcrtrauensvoll, als eS mir in der Kürzc
möglich ist, Jhre Frage beantworten. Alle jenc
Mädchen, die fich der heutigcn Lustpartie angeschloffen
und mich zu dersclbcn eingeladcn haben, stnd meine
Jugcndfrcundinncn, mit denen ich als Kind gcspielt
und mit dencn ich in die Schulc gcgangcn bin. Als
wir abcr der Schulc entlaffcn und zur Eominunion
gegangcn waren, da kamen wir wcnig mehr zusam-
men, denn es warcn nunmchr andere Vcrhältniffe
cingetretcn, die ein öfteres Zusamnicnsein unmög-
lich machten. Sie, dcren Eltern in wohlhabendercn
Ilmsrändcn lebten, als die meinigcn, konntcn sich
ungchindcrt ihren Neigungen »dcr eincr Beschäfti-
gung hingeben, dic mchr zu ihrcm Vergnügcn als
zu ihrem Unterhalt diente; mir abcr war cin an-
deres Loos beschieden. Meine Muttcr «ar gleich,
nachdem ich der Schulc entlaffcn wordcn, gestorben.

Mein Vater, ein Schnhmachcr, schon hoch an Iahren
und stets kränklich, konnte seinem Geschäft ntcht mehr
so nachkommen, als viellcicht in früheren Zciten,
und ich mußtc ihm deshalb in demselben durch Schuh-
einfaffen an die Hand gehen und neben den häus-
lichen Geschäften auch noch durch Kleidcrmachcn,, das
ich crlcrnt hatte, Geld verdienen, um unseru Ünter-
halt bcsrreiten zu kvnncn. Als er nun vor rinem
Jahre der Muttcr ebenfalls in die Ewigkeit nach-
gefolgt war, da zcigte flch, daß ftin Nachlaß Lußcrst
unbcdeutcnd und auch noch ziemlich überschuldct war.
Obgleich mir nun durch den Tod metner Mutter
Erbansprüche an die Vcrlaffcnschasi mciUcs seligen
Vatcrs zugestanden wären, lcistete ich doch gerne
auf dieselbcn Verzicht, um bie Gläubiger desselbe»
zu bcfriedigcn und ihm ein anständiges Begräbntß
zu Theil werden zu laffen; und als dies nun ge-
schehen, da war mir nichts übrig gebliebcn, als dre
wenigcn Kleidungsslückc, die ich mir nach unb Nach
angeschafft hatte, und dcr feste Wille, mich nunmehr
durch mcrnen Klciß auf chrliche Weise durchzübrtngen.
Ich lebe jctzt bei einer armen alten Verwanbten,
«o ich Koft und Wohnüng bezahlen inuß, waS ich
durch die mir erwörbene Kundschaft recht «ohl im
 
Annotationen