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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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April
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M 8«


Samstag, «. April

JasertionSgebühren für die Zspaltige Petit-
zeile werden mit 2 kr., bezw. 3 kr. berechner.

L8«L.

f-f Polens Untergang und Wieder-
erwachen.

Wctßkr Aar! W!c schletfst °du deine
Schwere Kette klirrend nach!

Bergend vor dem Sonnenltchte
All' deiv Leid, all' detne Schmach!

Weil wtr innern Streit gefrtstet,

Welcher stets Ve'rderben kocht,

Hat der Fetnd uns überltftet,

Hat ver Fetnd unS unterjocht!

Platen.

Ein so gränzknloses Unglück, wle cs die
Geschichte Polens aufweist, wird ein Volk nie
treffen, ohne daß es selber einen Theil der
Schuld hieran trägt, und wer wollte es läug-
nen, daß die Polen in der letzten Zeit des
Bestandes ihres eigenen Nciches mit einer fast
an Wabnstnn gränzenben Verblenvung Alles
gethan haben, um die bösen Umtriebe der Geg-
ner zu begiinstigen? Aristokratische Wühle-
reien, eine schlechte Wirthschaft nach obcn und
unten, feindselige Neaetion gegen jeve Entfal-
tung n'nes lüchtigen Bürgcrstanves und selbst-
stänvigen Bauernstandes — solche Züge stehen
auf den Blättern der polnischen Geschichte
mit greller Schrift aufgczcichnet und schwächen
den Eindruck der Theilnahme, deu anverseils
jevcs Mcnschenherz bei vem cntsetzlichen Unter-
gang eines großen Volkes empfinden muß.
Es lag im polnischen Sknatsweseu, vver viel-
mehr veffen oligarchischem Mißbväuchr einc
wahre Vergötterung der Willkühr des EinzeU
nen (vie Fvlge ver Schwäche ves Königthuins
und der nach selbstunßigen Zweckcn strebcnven
Avelsrepublik), cinc Leiv'enschaft für die Anar-
chie, in der vie bestcn Kräfle der Nation stch
aufzehrtcn, und das königlichc Scepter zuletzt
wie zum Hohne jevcr Einhcit unv Orvnung
schwachen Figurantcn in den Schooß fiel. Anch
stnd an keinem Volke die warnenve» Erfah-
rnngen einer Geschichte voll Unhcil fv spur-
los vorüdergegangcii, wie an ven Polen; vor
unv nach ver Theilung, sclbst bis nach dem
Zahre l830 blieben sie flch hierin, bci allem
kriegerischen Heroismns uud sonstiger großer
Opferwilligkeit, glcich, nnd die Generation ver
Ietztzeit hat noch den Bewcis zn licfern, ob
stc währcnv ciner abcrnialigin laiigcn Pcriove
des nationalen Unglücks ven altcn Fehler ih-
rer Vätcr unv Ahnen vergeffen und viel fruchtk
bringendes Ncues gelernt hat.

Der Eindruck dieser Zuständc läßt flch langc
vor ber Theilung Polens in der europäischen
Politik verfolgen, und mit dem Beginne der
inovernen Staatskunst, dcr die ganze enrö-
päische Welt als ein einiges und geschloffencs

Spstem galt, fing-man an, vas Schicksal Po-
lens als eine früher oder später gcwaltsam
zu löseude Frage anzusehen. Der Gedanke
der Theilung war fast so ali, alschie polnische
Anarchie. Das Envc dcs vorigen Jahrhun-
derts führte das langc Vorbereitete zum Zicle,
und es geschah,, was im Jntcreffc der euro-
päischen, insbesonderc anch der deutschen
Entwicklunq nimmer hätte geschehen sollen!
Hiedurch ist die Theilung Polens erklärt, wenn
auch niinmermehr gcrechtfertigt.

Zndessen, wenn fich ein Laiid auch rasch
zerstückeln und theilen läßt, so kann man dvch
eine Nation nicht so schnell vernichten. Po-
lcn war getheilt, aber die Ereigniffe der fran-
zöstschkn Nevolution (im Zahre 1789, wie
1830) ließen die Hoffuungen deffen Bewohner
von Ncuem auflkben, Zu Anfang der ncun-
zi'ger Jahre, wie' gegcn Ende des Zahres 1830
brachen erfolgreiche Aufstände in der Haupi-
stadt Warschciu gegen die russischc Zwingherr-
schaft aus, wclchc in Bezug aiif ihren Beginn,
ihren weitern Verkauf unv ihren schließlichen
Erfolg eine auffallende Aehnlichkcit mit ein-
ander haben. Da, wie Vvrt ergreift sofort
die noch vorhandene polnische Nationalarmee
die Sache dcs Vaterlanvcs, das schlicßliche
Ende war abcr in beidcn Fällen ein unglück-
liches, und der verhängnißvolle Ausruf ves
edlen Kosziuskv „kinis kolonins" bewährte
leidcr nach vier Deeeiiiiien abermals seine in-
nere Wahrheit! Das erste französische Kaiser-
reich ließ dic gerechtcn Erwarlungen der Po-
len um so offener und lauter hervortreten, jc
»ichr Napoleon I. (ver insgeheim die Polcn
für nnfähig znr Selbstregi'eruiig erklärte) mit
eitlen unv unwahren Verhei'ßungen ven altcn
Nationalgkist angeregt hattc. — Aehnlichcs
mag in neuester Zeit von dem wiederholt den
Thron Frankreschs iniie habenden Buonapar-
tisnilis cbenfalls geschehen sein, wozu vie kürz-
lich gehalteiie vminösc Nede des Vetters Plon-
Plon eiiien erbauiichen Penvant bilvet. —
Trotzdem wäre es thöricht, zu glauben, daß
eine so großartige und in ihrer äußern Form
im Ganzen würdige Dcmonstrativn, wie jene
vcr traiicrnven Eiiiwohner Warschan's, durch
frenive Einflnsterungcn und Machinationen
allei» hervorgerufen worden sei. Wie die
Fehler der Polen, so ist auch dcren iinveriilg-
bare Vaterlandsliebe sprüchwörtlich geworden,
und es bedarf daher zur Erkläruug jenes na-
tionalen Aufflackerns nach einer Grabesruhe
von drci Decennien (weiiigstcns in Russisch-
Polen) kei'nes weitern Commentars.

Bei,allevem können wir, ganz abgesehen

Ein Abenteucr untcr Settlern.

Mltgethetlt vön Ed. Franke.

(Fortsetzung).

11.

„Wir haben unö schon irgenvwo gesehen", sagte
ich nach einer Paufe.

„Wohl möglich", erwiderte er kurz.

„Jhr Gcsicht ist" —

„Ein Menschcngesicht", fiel er rasch ein. „Nase,
Augen, Ohren findet man in jedeni."

„Aber schr verschieden."

„Bleibt itnnter ein Menschengesicht."

„Abcr nicht immer intercffant gcnug, sich uns
fcsk cinzuprägen."

„Oft eine unangenehme Eigenschaft."

„Empfindet Jhr das etwa jetzk?" — spraH ich
etwas erregter.

Der Mann sah mich fest und ruhig an und sagte:
„Wie meint Jhr das?" —

Seinc Ruhe, sein fester durchdringcndcr Blick
machtcn mich stutzen. Ach schwicg cincn Augenblick,
dann sagte ich wiever gemäßigter.

„Mich diinkt, ich sah Euch schon in andcrn Klci-
dern."

„Wohl moglich, ich wcchsle oft."

„Viclleicht aus Gründen", fiel ich, mich vergeffend,
wieder schncller ein.

Er firirte mich mit unerschütterlicher Ruhe, lä-
chelte dann höhnisch und mitleivig und zog verächt-
lich die Achscln empor.

„Der Mensch hat für alles Gründe, wenigstens
glaubt er sic zu habcn", sagt, er daber.

„Auch für's Betteln?" fragte ich rasch und scharf.

Er lachte hell auf. — „Natüriich zum Betieln
treibt den Mcnschen der iriftigste Grund, die Nvth."

„Nichi immer", sagtc ich in demselben Tone und
s»h ihn fest an.

„So?" sprach er lakom'sch. — „Haben Sic das
vielleicht 'schon erprobt?" — „Zch nicht, aber — Sie",
fiei ich beioncnd ein.

„Jch?" fragte er. — „Ei, da erfahre ich ja ganz
ctwas Neues von mir. Sieh doch, fieh doch." —
Er schüttelte den Kopf. — „Dann niuß ich cniweder
gespukt — oder Sie gettaümi haben."

Zch gerieth durch seine Ruhe immer mehr m Aus-
regniig. —

„NeiN, ich «ar wach!" rief ich heftig. — Ob es
aber ein Spuk oder Betrug wär, das soll sich so-

vom deutschen Standpuncte auS, für die Po-
len in rhrem eigenen Zntereffc nur hoffen und
wünschcn, daß.dieselben von allrn vcrfrühten
und übereilten Versuchcn der Wiederherstellung
ihrer Nati'onalität abstrhen mid insbesondere
keincn fremden, trügerischen Einflüsterungen,
kommen diese nun woher auch immer, Gehör
schenken mögen. DieselbeN können nnr zmn ei-
genen Berderben der Polen ausschlagen unv
werden deren Lage auf lange hinaus verschlim-
mern, wie die leidigen Berschwörungen und
unzeitigen Aufstände in Krakau, Gallizien und
Pvsen um die Mitte der vierziger Jahre be-
weisen. Die Tragweite der verunglückten pol-
nischen Aufstände ging sogar noch viel weiter;
es trat jeweils mi't ihrem Fehlschlagen auch
für dic Frcihei'tsbestrebungen ves sonstigen li-
beralen Europa's eme offenbare Reactio» ein,
insbesondere im Jahre 1831. So ward Po-
lcns Verhängnifi zugleich zum bösen poli'tischen
Factum unseres Weltthei'ls überhanpt! Recht
dculli'ch und sichtbar trat diesrr Umstand ein
hinsichtlich dcr drei Großmächte, welche an
der Theilung Polens Theil genommen hattcn.
So oft der leblos am Boden gewähnte weiße
Aar von Ncuem seine Flttige erhob, sah man
die Jntereffen dieser drei Mächre sollkarisch
verknüpft, und das Band der sogen. heiltgen
Allianz erncuern. Wie einmal dic Läge der
jetzigen politischen Vcrhältniffc ist, so ist es
klar, daß Pvlcn nur in Folge ganz äußer-
ordentlicher Ereigniffc, welche übcrhäNpt gceig-
net sind, eine Aenderung in de> Landkarrc von
Eurvpa hervorzurufen, irgcnd einc Aussicht
auf einc Wiedergcburt uud Wikderhrrstellung
als selbstständiger Staat hat. Eine anvere
Fragc, die in Folge dcr neucrn Vorfälle tq
Warschau austauchte, ist die, ob und in wie
scrne den untcr russtschcm Sccpter lcbenden
Polen, vielleicht durch cincn Machtspruch dcr
jctzt scheinbar zu ihren Giinstcn veränverten
rnssischrnPolitik ein.e gewiffe provinzielle Selbsi-.
stänvigkeit unter russtscher Obrrhoheit vrrlichen
werden wird. Eine starkc Parlei nnter deu Po-
len selbst arbeitet daeauf hiii, iinv der milve Ale-
rander II-, welcher überhaupt nicht dem stren-
gen absvlntistischen spstem scines Vaiers Nj-
koiaus ergeben ist, scheint, wohl auch mit Rück-
sicht auf Frankreich, dem letztceen Projectc
nicht abgeneigt. Wir werden uns hierüber in
der Fvlge näher auSsprechen.

Deutschland

KarlSruhc, 4. April. Seiae Könlgllche Höhelt der
Großherzog habeo Stch unterm r. «. M. gnädtgft
bewogeo gesunden: den Oberamtmann Walter Schwarz-

gleich enthüüen." — Jch sah mich um, als ob ich
Aemand erwarte.

Der Mann lehnte sich fester an die Säule, schlug
die Arme kreuzweis über die Brust, lcgtc gemach-
lich ein Bcin über das andere, ohne mich eincr Ant-
wort zu würdigen.

Auf diest Wetft erreichte ich mein Ziel nicht, das
sah ich ein. Nach einer Paust sagte ich deshalb
gelaffener:

„Laffcn Sie uns zum Ziele kommen."

„Wchin zielen Sie?" fragte cr ruhig.

Jch zog meine Briestasche, nahm eine Fünfgulden-
note heraus. ,

„Aha" sagie er lächelnd. — „Jetzt mcrke ich, Sie
zieien auf mein Gcwiffen. — Wollcn schen, ob Sie
es durchlöchern könncn. — Die Scheibe wird Stand
Halten."

„Die Beantwortung einer Fragc soll einträgircher
sein, als eine gute Tagesbeitelei."

„Zch verstehc Lic nrckn. Wenn Sie Jhren
Pfeikcn nicht mctallene Spitzen gebcn wollen, wäre
es Zciivcrlust, Jhnen länger zur Schcibe zu dienen.
— Sie werden doch fehischießen. Adieu!"

Er maihte cinc rasche Bewegung, sich zu cntfernen.
 
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