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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Mai
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M 121


Sonntag, 26. Mäi


L8SL

Ein -eutsches Parlament!

Dre Frage wegcn Emführung des allgemei-
nen deutfchen Handelsgesetzbuch s erinnert
muf's Neue an cine alte wohlbegründete For-
verung ves deutschcn Bolkes, unv an eine alte
Schuld der Regierungen; sie crinnert an die
Nothwendigkeit der Wiederberufung des deut-
schen Parlaments. Wie soll dieses Ge-
setzbuch zur allgemeinen Anerkennung gelangen?
Unter den gegcnwärtigen Verhältnissen ift sol-
ches nur möglich, wenn die Einzelnregierungen
und dic Einzelnlandtage sämmtlich sich zu einer
unbedingten Annahme des Entwurfs entschlic-
ßen, untcr Verzichileistung auf alle und fede
wcitere Einwirkung, auf alle und jcde Ver-
befferung, dic dem Entwurfe doch, nach ziem-
lich allgemeinem Urlheile, wesentlich zu wün-
schen wäre.. Dies ist kein correcter, kein
wahrhaft befriedigendcr Gang, und am aller-
wenigsten kann dabei von der gewöhnlich so
stark betonten „Wahrung der Souveränetäts-
rechte" die Rede sein. Die Landtage, aber
auch die meisten Regierungcn gerade ehenso,
müffen sich entschließen, auf wichtige Rechte
undedingt zu verzichten. Manche Verbefferung,
die ihnen in hohem Gradc nützlich schcint,
würde, wenn ein Parlament bestünde, von
diesem beschlvffen werden; jedem Theile wäre
vie Möglichkeit gewährt, seine Gründe — je
eindringlicher destv desser — geltend zu machen.
Ietzt ist selbst jeder Versuch in dieser Beziehung
abgcschnitten. Was es aber heißt, Gesetz-
bücher, die für ein gebildetes Volk bestimmt
sind, ohne entschiedene Milwirkung dieses
Volkes selbst abzufaffcn, wird flch später, im
praktischcn Leben, oft störend genug zeigen.
Die Zeiten sind vorüber, in denen vic Regie-
rungen überhaupt auf die Anschauungsweise
und dic Gewöhnung der Angehörigen ihres
Landcs keine Rücksicht zu nehmen brauchten,
sondern fordern durften, daß die „Untertha-
nen" sich in Alles fügten, was von Oben
dictirt ward. Ein Gesetzbuch, deffen Znhalt
nicht vollkommen mit dem Nechlsbewußtsein
des Volkes übereinstimmt, trägt von seinem
Entstehen das Zeichen fracter Ünvollkvmmen-
heit an sich unb im Augenblick scines Zns-
lebentretens schon gibt sich das Bedürfniß
seiner Abänderung kund. Em die ganze Ra-
tion vertretendes, srei gewähltes Parlament
könnte nicht nur, sondern würde unfehl-
bar wenigstens diejenigen Bestimmungen ab-
ändern und verbeffern, welche sich mit dem
allgemeinen Volksbewußtsein im Widerspruchc
besindcn.

Das. Vorkoqimniß, von dem wir reden, ist
Übrigens keineSwegs ein vereinzeltes, welches
sich blos auf den Fall des Handelsgesetzbuchs
beschränkt. Es wiederholt sich namentlich bei
allen Fragen der Zollgesetzgcbung in
sämmtlichen Staaten deS Zollvereins. Hicr
bringcn zwar die Regierungen — nicht die
Landtage! — oft genug ihr Veto zur Anwen-
dung; allein has Ergebniß ist nur ein desto
kläglicheres. Wir fönnen unter den jetzigen
Vcrhältniffen nie und nimmer zu einer, den
fort und fort auf's Mannigfachste sich umgc-
staltenden Anforderungen des Lebens und Ver-
kehrs cntsprechenden, immer dicsen wechselnden
Anfvrderungen sich svgleieh anpaffenden Zoll-
gesetzgebung gelangcn. KZn Wunder, daß
unser auswärtiger Handel keineswegs in dem
Maße empvrblüht, wie es bei befferer Ein-
richtung in der bezeichneten Hinsicht geschehen
würde; kein Wunder, daß dieser Handel bei
weitem nicht dic Ausdchnung erlaugt, wie der
anderer Culturstaaten, in welchen das gleiche
Hinderniß »icht besteht. Fragen solcher Art
können nicht in ctlichen dreißig Regierungs-
collegt'en und fast noch einPal so viel Land-
tagskammern entschiede» werden. Zhre Ver-
hanvlung und Entscheidung muß sich an einem
Orte concentrircn, an wclchem aber Alle ver-
tretcn sein müffen. Die Nothwcndigkeit eincs
gemeinsamen Parlamentes wird jedem Unbe-
fangenen klar sein. — Das Gleiche gilt von
der immer unentbehrlicher werdenden gcmein-
samen Gesetzgebung über Ansässigma ch ung,
da cs nicht von ber Gnade — der Wiükür
und Laune — einer Polizeibehörde abhängen
darf, ob cin „deutscher Auslünder" da oder
dors geduldet werden will; ob er daselbst ein
ilidüstrielles Unternehmen begründcn darf, und
selbst, wenn ihm dieses gestattet worden,
ob man ihn nicht im nächstcn Jahre aus-
w e i st.

Man hat vorgeschlagen, dem Mangel eines
Parlaments durch freie Zusammenkünfte von
Mitgliedern der Einzelnlandtage zu begegnen.
Solche Zusammenkünfte werden jevenfalls shre
guien Früchte tragen^ ste vermögen jedoch
nicht, dem Bcdürfniß zu entsprechen. Dics
fühlend, hat man wohl auch schon empfohlcn,
cine allgemeine Volksvertretung in ber Weise
zu erstreben, daß die einzelnen Landtage je
eine verhältnißmäßige Änzahl ihrer Mitglieder
zu gemeinsamen Beraihungen und Entschei-
vungen in Zoüungelegenheiten delegirten.

Es würde dies zwar jedenfalls gegen den
jetzigen Zustand, also relativ, ein undestreit-
barer Fortschritt sein, allein die gcrechten aü-

gemeincn Fvrderungen dcr Nation können da-
mit nicht befriedigt werden. Wollte man die-
selben darauf beschränken, dann müßtcn wir
uns gegen die Maßregel erklären, weil sie
alsdann nichts weiter, als cin neues Hinder-
niß dcs Zustandekommeus einer wahren all-
gemeinen Vertretung des beutschen Volkes sein
würde.

Die dermaligen Landtage sind »icht nur die
Productc äußerst von einandcr abweichender
Wahlgcsetze, die Wahlen selbst sind nscht nur
meistens in einer Zeit der tiefsten Erschlaffung
des Volkes vollzogen, — sondern es hat stch
gcrade in der jüngsten Zeit in Oesterreich recht
augenschemlich gezeigt, wie derartige Ernen-
nungcn aus dcr Mitte der Einzelnlandtagc
und durch diese nur zu einem kläglichen Co-
terietreiben führen, unv im letzten Gli'ede zur
Bildung von Bersammlungen, welche die Än-
sichten und Gcsi'nnungen ber Urwähler eben
nicht ausdrücken. Zst es übel genug, daß vr'ele
Regierungen an dem Spsteme der indiröcten
Wahlen festhalten zu sollcn glauben, so führt
ei'ne Fortsetzung dieses SpstemS ia der be-
zeichneten Weise zu Resultaten, die sich ehr-
lichcr Weise wohl kaum vertheidlgen laffen,
wcil man zu einer Repräsentation gelangt,
welche die wirklichc Majorität der Wahlbe-
rechtigten gcrade nicht repräscntirt, sondern in
wichtigcn Fragen sogar das entschiedene Ge-
geniheil ihrer Ansichten vertretcn wirb. Das
Beispiel des Landtags von Niederösterreich lst
wahrlich sprechend genug!

Unsere sämmtlichen Regierungen stehen noch
immer in einer alten Schuld. Mögen sie flicht
glauben, daß die Forderuflg des.VolkeS durch
Zögerung zur Vcrgeffenheit gebracht werdc.
DaS Bedürfniß mahnt iminer auf's Ncue, und
die Eri'nnerungen wcrden voraussichikich ün-
mer dringender werden. Allc Aürstcn Deutsch-
lands haben in den Märztagen des Zährcs
1848 in zahllosen Proclamationen ihr Wort
verpfändet, daß auch die deutsche Natiou das-
jenige erlange, was ihr naturgcmäß, nach ih-
rem Btldüngsgrade und ihren politische» und
wirthschaftlichen Bedürfnissen nach Jnnen ünd
Außen gebührt: eine sreigewählte ällgcmeine
Nationalvcrlrctung. Mag an deM Schcitern
des ersten Versuches die Schüld tragen, wer
wolle: es muß die gedechte Forderung deS
Volkes erfüllt und das verpfändetc Wort end-
lich eingelöst werden! (N: F. Z.)

Das dcutschc Gcschtccht dcr. Müller.

Ein rhcinhessisches Volksblatt cnthielt einc hu-
moristische Beirachtung über das im deutschen Va-
terlande so weit vcrbrcitcte und machtigc Gcschlecht
der Müller, dcren Mittheilung auch dcn Lesern dieses
Blattes willkommen sein dürfte. Wir laffcn sic hier
solgen:

Ein Franzose, welcher Deutschland durchreiSt «ar,
sctzte sich, alS er wicder nach Hause gekonimen, an
seinen Schreibtisch und schrieb ein Buch, daS mit
den Worten ansing: „Dic Deutschen sind ein Volk,
daS Müller hcißt."

Der Mann hatte so Unrecht nicht! — Nach den
neuesten statistischen Nachrichtcn leben in den deut-
schcn BundcSstaatcn dreimal hundcrt sechSundfünf-
jig tauscnd fünfhundcrt achtundzwLnzig Müllcrs.
Dcr drciundsiebenzigftc Mensch in Dcutschland ist
„ein Müller", er mag wollen oder nicht. Dre Wind-,
Dampf-, Wasser- und RoßMller sind hicr nicht
gcrechnct.

llnliingst dedizirte ein Autor'sein Buch einem Karl

Müllcr. Wie kann man nur ein Buch cinem Müller
überhaupt, und noch dazu einem Karl Müller de-
dizircN? Das ist eben so gut als dedizirte cr cs der
dcutschen Nation. —„Znwelcher Nummer bci Ahnen
«ohnt dcnn Hcrr Müller?" fragte ich die letzte Meffc
den Portier im Hotel dc Baviore zu Leipzig. Dcr
Goliattz starrte mtch ganz verwundcrt an. „Herr
Müller", crwiderte er, „das ist eben so gut, als
fragtcn Sie mich: Zn welcher Stube wohnt denn
der Herr Mcnsch; oder in wclcher Stube wohnt denn
der Herr, welchcr Hoscn trägt. Bei unö wohnen
dernialcn vierunddrcißig Müller." Gerechter Him-
mel, wic sollte ich aus diescm Müllergcwühl uici-
ncn Herrn Vettcr herausfinden!

KurchtbarcS Geschlecht! Der Bundcstag wird sich
cndlich gcnöthigt sehen, ein wachsames Augc auf
dich zu richten, denn du bist'cinc'Mächi im Staatc.
Wenn sämmtliche „Müller" einmal auf dcn Ein-
fall kommen, sich zn vcrschwören, so kann es uns
Nichtmüllern schlecht crgchcN! Man bedcnke, wohin
überall Müller gckrochen sind; cs gibt keine Klaffc
der Gescllschaft mthr, kcine Ziisrft und Gewerbe,
kcinc Kunst und kcine Wiffenschaft, kein Batatllon
der deutschcn Bundesapmee, kein Dcpartement im

Staatsdienst, keine Eisenbahneompagnie und Hagel-
schädenversicherung, wo nicht Müller wären, Müller,
Müller, nichts als Müllcr: Ja, ein Detaschement
Müllcr hat sich sogar „adeln" laffen. Man fikht
hieraus den hochstrebenden Sinn der Miiller.
Deutscher Apel, nimm dich vor den „Müllcrs" in
Acht.

Es ist eine festgestellte Wahrheit, daßsich uanient-
lsch in dcn letz.ten drcißig- Zahren das Geschlecht
der Müller auf eine, wahrhaft bcunruhigende Weise
vermehrt hat. Nichts ist natürltchcr. MaN bedenke
die zahllosen Müilerheirathcn, woraus «iederum
zu Tauscnden „kleine Müllerchens" auskriechen.
Was wird die Folgi scin? Dic andern Geschlechter
werden einc so gcfährliche Concnrrenz mit der Zeit
nicht aushalten, düyner und dünner werden, nnd
endlich zum Bestcn der Müllers ganz verschwiüdeN.
Binnen hundertZahren gibt's dann kein deutsches
Reich mehr, sondcrn ein Müllerreich, und „Müller
dcr Erste" wird deutscher Kaiser.

Nun abcr frag' ich einen Menschen, wo fie her-
gekommen sind? Wer hat Lenn zu Luther's und
! Melanchthon's Zeiten von cinem „Müller" ctwqs
! gchört? Sie müffen unmittelbar nach dcmdreißig-
 
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