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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Januar
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Hridtlbergi'r Iritung,



Freitag, ,1. Zanuar N7SL1.5E?» 18SL.

L Die Älloeution des PapsteS

vom 17. December.

Wir die Allocution des Papstes vom 17.
December als eine Rundschau, als eine Art
Rechnungsabschluß über ben gesammten Stand
der katholische» Angelegenheiten des vergange-
»en JahreS zu betrachtcn ist, so kann man
gcwiß nicht sagen, vaß stch die Sache für die
lstirche günstig darstcüe. Jm Gcgentheil, das
Defizit licgt vor aller Welt offen dar, unv,
was das Schvnste ist, man kann im gegen-
wärtigen Augcnblicke kaum Hoffnung haben,
daffelbe auf irgcnd eine Weise zu dccken. Der
HI. Vater spricht zwar den Wunsch aus, daß
Gott sich endlich erheben unv Alle, welche nach
dem Lerverben ver Religion lechzte» und so
vieles Ruchlose gegen die Kirchc unternähmen,
mit ver Kraft scineS Armes zerstreuen und
zermalmen möge. Aber zum Glück der Mensch-
heit gehen eben lange nicht alle Wünsche, die
man in Rom hegt, in Erfüllung, selbst wenn
ste auch nicht so vffenbar von vcn Gefühlen
der Rache eingegeben sind. Doch da der Papst
selber merkt, daß jcncr Wunsch doch allzu»
wenig in christlicher Liebe wurzlc, so corrigirt
er sich selbst dahin, daß Gott dic Feinde sei-
ner Kirche, statt ste kurzweg zu vernichten,
eher mit dem Lichte göttlicher Huld erleuchtcn
und gnävigst auf den Weg ver Gcrcchtigkeit
und Wabrheit zurückführen möge. Abcr stnd
denn nur vie „Feinde ver Kirche" auf den
Weg der Gerechtigkeit und Wahrheit zurück-
zuführen? Setzen sich nur dicse übcr das Recht
und die Wahrheit hinaus? Wenn wir we-
nigstens lesen, was in der päpstlichen Allocu-
tion über die bekannten Vorgänge in Baden
gcsagt ist, so hätten wir gewiß allen Grund,
uns auf vas lebhafteste über vis Einseitigkeit
unv Entstellung, womit dieselben erwähnt
werden, zu beklagcn. Doch wir wiffen ja
längst, daß i» Rom Recht unb Wahrheit ge-
genüber ven vcrnieintlichen oder wirklichen Jn-
rcreffcn der Kirchc von jeher gering geschätzt
worden sind. Oder hat man vaselbst von der
Bcrechtigung des mvbernen Skaatcs auch nur
eine Ahnung? Alles, was nicht canonisch,
nicht ultramontan ist, rührt, nach den An-
schauungen Roms, von „jcner perkchrte» Doc-
trin her, vie aus den unseligen Principicn der
Reformation hcrvorgegangen, gewiffermaßen
dic Kraft eincs öffentlichcn RechteS erlangt
habe." Aber wie? Wenu die vem Ultramon-
tanismus feinvseligcn Grunvsätze wirklich in
bcm Wesen vcs Protestantismus wurzeln, ge-
steht man dann aiicht selbcr ein, daß nicht

* Endr gut, Ällcs gut.

Novellete aus dem Leven eines berühmten Malers von

Mar Lrmy.

(Fortsetzung).

2.

Am anderen Lage meldetc der Bediente dem
Grafen den Besuch dcs Herrn Gerhard. Der Graf
murmelte etwaS zwtschen den Zähnen und winkte
dem Dicner, dcn Herrn eintrcten zu laffen.

Obwohl in den fünfziger Jahren, war der Graf
ein Mann vo» kräftiger, hohcr Statur; setnem ge-
bräunten Gesicht gab der stattliche Schnurrbart ein
militärisches, stolzcs Anschen. Er lag, in einen
prächtigen Schlafrock ringcwickelt, in seincm sammte-
nen Lchnstuhl und blies aus einer zierlichcn Pfeife
dichtc Wolken des türkischen TabakS.

Gerhard trat cin, sich tief verbeugend; der Graf
erhob sich einen Augenblick, jedoch nur, um es sich
sofort «ieder in der oorigen Lage bequem zü machen,
.und schien den Anfang des Gespräches von dem
jungen Manne zu erwarten.

„Ercellcnz", begann vieser nach übcrwundener
Mrlegenhcit, „werden es mir gewiß verzeihen, «cnn

der Katholicismus, sondcrnder Pro-
testantismuS dieHerrschaft derWelt
führe? Jn welchen Ländern stnd die Leh-
ren VeS UltramontanismuS siegreich? Droht
ihnen sogar in Oesterreich ver Boden unter
Ven Füßen wieder weggezogen ;u werden.

Wenn aber in Baden die verkchrten Doc-
trinen des Prvtestantismirs schuld an der Ver-
werfung der Convention stnv, so ist die jüngst
in Paris erschicncne Broschüre: „1,8 ?upe et
1'Lwpereor" geradczu ans Ruchlosigkeit unv
Finsterniß entsprungen. Aber fvnderbar! Zst
vas Schriftchen, wie die Allocution sagt, wirk-
lich so unwahr, ungereimt und widersprechend,
daß es mehr der Bcrachtung vnd äußcrsten
Geringschätzung als der Wiverlegung werth
erscheine, sollte man da nicht meincn, der
Papst HStte cs eher ignorirrn, als direct be-
achten und so weitläufig widcrlegen sollen?
Abcr das Ganze beweist wohl hinlänglich, daß
man in Rom der Broschüre einen vurchaus
officicllen Character beilcgt, ste für den Aus-
drnck der evrntuellcn Jntention des KaiserS
ansieht. Odcr enthält die Stelle, wo die Al-
locutio» von Denjenigen spricht, welche sich
zwar dir „Söhnr der katholischen Kirche nen-
nen, in Wahrheit jedoch Söhne der Finster-
niß genannt werden sollten", nicht geradezu
eine ziemlich deutliche Anspielung apf ven
Kaiser, ver stch in dcr That bei rnehr als
Einer Gclcgenheit ven Sohn der katholischen
Kirche zu nennen bcliebte? Uebrigens be-
zcichnet drr Papst die Abstcht nnd ven eigcnt-
lichen Sinn der Broschüre mit Recht dahin,
vaß die französische Kirche der Autorität Roms
gänzlich entzogcn, also im Schisma bewerk-
stelligt werdcn solle. Daber erfahren wir ge-
legentlich, vaß nicht nur die geistlichc,
sondern auch vie weltlichr Herrschaft der
Kirche eine gehciligtr gcnannt wrrd. Ob
aber die Römer, wenn sic sich die Grausam-
kciten und Ungerechtigkeiten jener Herrschaft
vor den Geist rufen, mit der hier prätendir-
ten Heiligkeit dieseS Regiments wohl einver-
ständen sein werden?

Wenn aber ber Papst sich schon übcr die
Ereigniffe in Baden und über die so eben be-
sprochene Broschüre so lebhaft beklagt, welchc
Wortc reichen hin, um seincn Abscheu über
daS auszudrückcn, was in Ztalien, was sozu-
sagen unker dcn Augen des hl. VaterS vor-
geht? Es »st freilich mehr als schrecklich!
Dcnn nicht nur, vaß man daselbst Irbcralc
Schriftcn verbreitet, daß man Schulen unv
Lehrstätten errichtet, die statt wie bisher, uu-
ler bcr Kirche, nunmehr unter dem Staakc

ich mich nach langem Zögern cntschloffcn habe, in
eincr Angelegcnheit, in welcher Sie die größtc, dic
entschcidende Stimme haben, mich an Sic selbst zu
wcndcn."

„Und diese Angelegenheit —"

„Zch licbe Jhre Tochter

Der Graf »crzog keine Mienc, sondern entgeg-
ncie sehr ruhig: „Und sinv Sie der Gegenliebe so
gewiß?"

„Zch habe", erwidertc Gerhard leiscr, „ich habe
ihr vor nicht ganz zwei Monden mein Herz er-
schloffen; der Druck ihrer Hand und ihre in Thräncn
erstickendc Stimmc gaben mir die Antwort."

„Sehr kühn! Sic hätten beffer gethan, sich zu-
nächst an mich zu wenden, als das erste Aufflam-
mcn eines unerfahrenen, aber allzu leicht bewegten,
achtzehnjährigen Gcmüths zu nähren."

„Ercellenz werden vcrzeihen", sprach Gerhard
fester, „die Liebe bedarf kciner Vermittelung odcr
jcdenfalls doch vergißt fie, daß sie ihrer bedürfcn
könne."

„Wie alt find Sie?"

„Zwei und zwanzig Jahre."

Sir sind durchaus nicht in den Verhältnissen, wie

stehen, daß man Lehrer beruft, die nnr vke
Resultate der Wissenschaft vorkragcn, vaß
man die heiligeZmmunität verletzt, Vaß
man dke Geistliche», welche nch den Gesctzen
nicht fügen wollen, znr Strafc zieht, daß man
die unnützen, »der beffer: die fchädlichen geist-
lichen Körperschaftcn aufhebk und vcren Ver-
mögcn zum Besten des Staates einzieht, son-
dcrn man ertheilt sogar den Protcstanten die-
selben Rechtc, wie den Katholiken: man er-
öffnet protestantische Tempcl, errichtck prote-
stantische Schulen, man erläßt ein Decrct,
wonach die Ehe nur uach weltlichen Gcsctzen
zu behanveln ist; man verbreitet um ffch sclbst
Bibcln, mit denen doch bas officielle rv-
mische Kirchenthum schwcrlich immer harmo-
niren dürfte, und entreißt dem Papste vie
geheiligte weltliche Herrschaft. Wcnn abcr
auch dics Früchte protestantischcr Dvctrinen
sind, ei, warum hat vcnn bcr Klcrus kie Jta-
liener nicht katholisch gezvgc», ihncn nicht
katholischc Gesinniingcn und Gefühle bei-
gebracht? Hatte cr vicllcichi nicht vic erfor-
derlichcn Mittel und Privilcgicn? Herrschte
er doch ganz unumschränkt, bcsaß er voch,
was er in seinem Herzen nur wünschen mochte!
Einen ganz eigcnthümlichen Einvruck macht
dahcr jencr PaffuS der Allocution, wo ver
Papst di« Ucberzeugung zu wecken sucht, vaß
Va, wo die Religion beseitigt sck, kei'n Boll-
werk mehr für Bestänvigkeit unv dic Ruhe
der menschlichen Gescllschaft erübrigc. Denn
wiederum müffen wir fragcn: warum hat Venn
der Klerus jenes BvUwerk in Jtalien vernich-
ten laffen? Klagt er auf viesc Weise nicht
seinc cigene Ohnmacht an? und constatirt er
nicht wiedcr auis Ncue vie Lchre, daß gegcn
die nationalcii Bcvürfniffc unv ven Geist vcr
Zcit sclbst die unbeschränkteste Hcrrschaft des
canonischen RechtS »ichts vcrmögc? So sehr
läßt sich diesc Allocution gegcn ven Klcrus selbst
wendeu, und kann dahcr nur von der aller-
bcscheidensten Wirkung sein. Was ist, das
ist doch, wie auch immcrhin der Papst Alles
für unwirksam, ungiltig und für null erklärt,
„was gegen die Rechte und das Erbgut der
Kirchc, gegen geistliche Personen uad ihre Bc-
sitzthümer bis jetzt gcschehcn kft, oder noch spä
ter geschchen solltc." Und mag der Papst im-
merhin di« Uebel in Ztalien namentlich Den-
jenigen zur Last legen, welchr, um ihre Herr-
schaft über ganz Jtalien auszudehncn, frcchen
Muthcs gegen alle menschlichen und göttlichen
Rcchte freveln, sich dabei als Urheber allge-
meinen Wohlcs preisen, obwohl sie überall,
wo sie hin gcvrungen, nur Spuren der Wukh

ich sie von dem erwarte, der meine Tochter züm
Altar führen will. Entschlagcn Sie sich des Ge-
dankcns, bis Sie eine tüchtige Stellung eingenom-
men haben."

„Zhre Tochtcr wird darüber zu Grunde gehen."

„Das laffen Sie meine Sorge stin. Sie sind
Maler? Nun ja, Sie haben cin gewiffes Talcnt
und sind ein strebsamer junger Mensch. AbcrSie
wiffen, Vic Kunst hinkt. Das Talcnt ist mir kcine
Empfehlung für's Leben. Wer weiß, wie weit Sic
komme»? Wic Vicle fangcn mit gutem Erfolg an,
und schon in der Mittc deS Weges blciben sie siehen
und »erkommen! Welchc Bürgfchaft können Sre
mir geben für die standesgemäße Erhaltung der
Familie, die Ihr Hitzkopf wo möglich schon heute
gründen möchtc? Schlagen Sie sich die jugendliche
Liebeständelci auö dem Kvpf und leisten Sie rtwas
TüLtiges, das Sic meiner wcrth macht."

„Etwas Tüchtiges -zu lcistcn, ist mein höchstes
Streben und ich fühle die Kraft dazu in mir, aber
die Liebc zu bekämpfcn, find meine Waffen zu schwach,
und so find mir alle Hoffnungen genommen?" —

. „Zwei Bedingflngen find es", fuhr der Grafnach
eincr Pause fort, „die ich an den Besitz meiNcr
 
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