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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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April
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Dedeutung zu unterlegen. Jn so fern hatte
denn auch die Reaciionspartei in Preußen,
Oesterreich und andern Staalen Unrecht, wenn
sie an jenes Ereigniß glänzende Hoffnungen
knüpfte, >n der Meinung, Kaiser Alerander kl.
würde >n das alte rnssische Unterdrückungs-
spstem wiever einlenken. EtwaS ganz ande-
res ist es, ob bie Polen selbst nicht die Ab-
sichten der russischen Regierung für jetzt zu
Nichte machen, wie es beinahe den Anschein
hat, Die Bewcgung in Polen nimnil näm-
lich, wie nicht zu laugnen ist, immer weitere
und größere Dimcnsionen an: Von der Haupt-
stadt pflanzte sie sich, einem elektrischen Strome
vergleichbar, nach Lublin, Kalisch und andern
Prvvinzialstävten, selbst in kleinere Orte und
auf das flache Land, ja bis in die cntlegen-
sten Winkel des alten Sarmatcnreiches fort.
So melven die Blätter von unruhigcn Auf-
tritten in Kiew, in der fernen Ukraine! Seldst
unter dem Landvolke beginnen die altpolnischen
Spmpathicen Wurzel zu fassen, hauptsächlich
wohl durch die Gcistlichkcit veranlaßt, welche
nicht vcrabsäumt, in die neue Bewegimg das
religiöse Elcmcnt hineinzutragen, um der na-
tional-politischen BewegUng einen moralisch-
religiösen Anstrich zu vcrleihen. Es ist sehr
zu bezweifcln, daß die Führcr und Leiter der
Bewegung, sowie der bcsonnene und intelli-
gcnte Theil der Polen überhaupt, wenn sie
auch wider die große Tragweite der Bewe-
gung an und für sich nichts haben mögen, mit
den jcpt schon nahez» in offener Empörung
aufflammende» revvlutioiiären Zuckungen ein-
verstanden sind. Es wirft sich die schr nahe
liegende Vermuthung auf, daß ein großer Theil
der Polen mit gewohntem heißblütigem Unge-
stüm, von dem Plane der Führer, die Hoff-
nung einer nationalen Revrganisativn nach
dem Vorgange vorerst aus RußlandS Hilse
unb Frankreichs UnterstüKung zu bauen, nichts
wiffen, ja kaum irgend ei» weiteres weller-
schütterndes Ereigniß abwarten will, vielmehr
in allzu dreister Zuversicht gesvnnen ist, ledig-
lich der eigcnen Kraft z» vertrauen! Wenn
ein Gelingen der Absichten dieser letzteren Par-
tei überhaupt denkbar wäre, so hätte man wohl
unter den jcßigen svcialen und sonstigen Ver-
hältniffen in Polcn die Aussicht, anstatt des
frühcrn aristocratijch-anarchischen Neiches ein
demvcratisch-anarchisches entstehen zu sehe».
Möglicherweise liegr jedoch dcn unruhigen
Vorsällcn in einem grvßen Theile von Polcn
nicht die berechnende Adsicht irgend einer zu
ertremen Schritlcn geneigten Partei zu Grunde;
dieselben kvnncn vielleicht auch das Werk ei-
ner in etwas unklarer Weise sich Luft ma-
chendcn ausgeregten Stimmung der niederen
Klaffen des Volkes, uub deßhalb mehr vor-
übergehender Natur sein. Sei dcm, wie im-
mer, burch diese Vorfälle wurden die Absich-
tcn ker jcßige» russischcn Politik und die Ten-
denzen der besonncnercn und intelligentercn
Polen für jetzt gleichmäßig durchkreuzt, und
es hängt hauptsächlich von dem Ab- odcr Zu-
nehmen der großen Nusregung in dcm König-
reichc ab, wclche Entwicklung die äußerc Lage
der Dingc für die nächste Zeit dort überhaupt

gen vermag, das jencs drs Bräutigams vicücicht
noch bci «eitem übcrtrifft; abcr schwcr, unendlich
schwer halt es, ohnc Vermögcn rin Geschäft zu
gründcn und einc Ehe cinzugchcn, dic nur Mangcl
Und Sorgen im Gefolgc habcn kann, wcnn die
Gattcn nicht, von hcißcr Licbc durchdrungen, ge-
meinschaftlich zusammcnwirken, dicscn Ucbeln vor-
zubcugen. Darum aber kommt cs auch so häustg
vor, daß junge Männer, wenn diescr Moment hcran-
gcnaht, unbedenklich Psticht und Wort verlctzen,
dtc einst so hciß Gelicbte wcgcn ganzlicher Mittcl-
lostgkeit verlaffcn^und sich irgcndwo ein andcres
Mädchen zur Gattin wählen, wenn sie nur mit
einigen hundcrt Gulden ausgcstattct ist, um da-
mit den ersten Anfang bestreiten zu können, unbe-
kümmcrt darum, sich und sie für die ganze Lebcns-
zeit in's Unglück zu stürzen. Nur der Liebe heiligc
unauslvschliche Flammc vermag dcr Ehe Dornen-
pfad zu glättcn und ihn mit Blumcn auf's reichstc
auszuschmücken.

1.

Es mochte so im Anfange dcr zwanziger Jahre
sein, als cin kräftiger jungcr Bursche, das Fellciscn
auf dem Rücken, den dickcn Knotenstock in der Rechten,

nehmen wird. Jm Tm'lleriencabinete abcr,
wie am PcterSburger Hose sollen Vie Ansich-
tcn übcr das Verhalten in der polnischen
Frage zur Zeit getheilt sein. Möge biese aber
eine Gestalt gewinnen, wie immer, so ist wohl
jcdem, mit den Verhältniffen in Polcn und
dem Gange grvßer weltgeschichtlicher Ereig-
nisse überhaupl halbwegs Vertrauten, ein-
leuchtend, daß an eine Wiederherstellung Po-
lens gleichsam über Nacht nimmermehr zu
denken ist. Deffen Nationalität ist nach lan-
ger Grabesruhe wieder erwacht. Dies ist
an unv für sich schon viel; mehr aber ist bis
jeßt nicht gcschehen. Nur von einem Wieder-
erwachen konnten daher auch wir in unserer
frühcren größeren Abhandlung über dicsen
Gegenstand sprechen, unv so gern wir gewünscht
hätten, dem Untergange Poiens, schvn um ves
logischen Gcgensatzes halber, etwa das Wort
„Wiederauferstehung" deizugcben, so unterlie-
ßen wir bieses, weil hiczu die Lage der Dinge
dortselbst noch lange nicht reis ist. Der wah-
ren und wirklichen Aufcrstehung eines selbst-
ständigcn Polens wirb, wie wir frühcr gezeigt,
zunächst ein etwas lange währendes Morgen-
roth vorhergchen müffen.

Dresden, 20. April. Das „Dresdner
Journal" theilt mit, daß die Regierung ge-
stern die Wahlresormvoilage eingebracht habc.
Das ständische Princip wird festgehalten.
Fvlgende sind die wesentlichsten Modificativ-
»en. Dic Wahlfähigkeit der Nichlangeseffe-
nen wird eingeführt, der Census wird auf
drei Thaler Steuer fcstgesctzt, das Verbot
der Wahlversammlungen ausgehoben. Die Ab-
gcordnetelikammer erhält statt füns, zehn Ver-
treter aus dem Handelsstande. Die crste
Kammer wird um drei vom Könige ernaunke
Mitglieder vermchrt.

Berlin, 17. April. Jm Hinblick auf die
ncuerdings wiederholt vorgekommenen Militär-
erceffe forderl die „Magdeb. Ztg." „immer und
immer wieder" als allcin wirksame Abhülfe die
„Aufhebung der Militärgerichtsbarkeit für aüe
nicht rcin disciplinaren Vergehen." Untcr allen
Umständcn bedürfe die Militärstrafgewält der
dringendsten Resormen, iasbksondere der Oef-
fentlichkeit.

Berlin, 20. April. Der Abg. Seuff hatte
bekanntlich beim Abgcordnetenhause, in Ver-
bindung mit der erlaffenen Amnestie den An-
trag gestcllt, die Staatsregicrung auszusordern,
einen Geseßentwurf vvrzulegen, dnrch den die
Nicderschlagung derjenigc» Üntersuchungcn er-
möglicht wird, welche wegen dcr in Nr. 1
des Gnadenerlaffes bezcichnetcn Verbrechcn und
Vergehen bereits eingcleitet sinv. Die Com-
mission für das Justizwcsen hat übcr dicscn
Antrag soeben Bcricht erstattet und es ist ber
Abgcordnete Strohn Referklit darüber. Mit
7 gegen 3 Stiminen ward beschloffen, dem
Abgeordnetenhausc zu enipfehlen, über diesen
Antrag zur einfachcn Tagesordnung überzu-
gehen, und schlägt ebenso bie einsache Tages-
orvnung über eine Anzahl von Petitivnen
(daruntcr z. B. die des hiesigen RechtSan-
walts Lervald) vor, dic denselben Gegenftand
behandeln.

muthig des Weges daher schritt, voll heißer Sehn- ^
sucht, die hcrrlichen Ufcr des RheincS zu crreichen, ^
von dencn er in seiner Heimath, im ferncn Norden, !
so viel gchört und gelesen, und bei dünnem Bier,
in heiliger Begeisterung, so oft gesungen hatte:
„Am Rhein! am Rhcin! da wachsen unfre Rebcn!"

Mit frohem Muth und leichtem Herzcn hattc der-
selbe dic Heimath verlaffen, ihn band noch nichts
Liebes dort, und scine Bcstimmung war, in der
Frcmde scin Glück zu suchcn, dcnn die Eltcrn, mit
zahlreicher Familie gcscgnet, warcn nun nicht mchr
im Stande, weitcr für ihn zu sorgen; abcr das
brauchtc er auch nicht mchr, hatte cr ja etwas Tüch-
tiges gelernt, und stand ihm nicht dic ganze Welt
jetzt offen?

Karl Brenner, so hicß der junge Mann, hattc
schon in der Schule cntschiedencs Talent zum Lcrnen
entfaltet, darum hattc flch auch sein Vater, dem cs
frcilich nicht möglich war, ihm cine höhere Ausbil-
dung gcben zu können, dennoch entschloffcn, ihn in
Gcometrie und Zeichnen unterrichtcn zu laffen, und
hjeses kam ihm schr zu Guto, als er, der Schule
entlaffen, zu cinem Mcchanikus in dic Lehre trat
und dort mit Auszcichnung seine Lehrzeitbollendcte.

Berlitt, 22. April. DäS Abgeordneten-
hgus hal heute den Commissionsbericht ia
Betreff der Zinsengarantie der Rhein-Nahe-
bahn-Priori'täts-Aclien angenomme», mit dem
Zusatze des Abgeorbnetcn v. Vincke, welchem
der Handelsminister zustimmke, daß zuvor
das Gesellschaftsstatut bem Gesetzenlwurf ent-
sprechenb geändert wcrde.

Die Zeitung sür Norbdeutschland sagt: Die
Erccffe von Osficieren haben iu allcn bürger-
lichen Kreisen eine unangenehme Sensaiion
gemacht. Noch mchr aber als der jugendliche
Uebermuth dieses odcr jcnes Lieutenants, der
vielleicht ebcn von ber Champagncr-Flasche
kam, cmpört die überlegte, perfide Agitalion,
welche in der Kreuzzeitungspreffe, namentlich
in ben „Militärischen Blättern", erhvben
wird, um baS Heer als eine geschloffene, auf
sich selbst beruhende Körperschaft darzustcllen
und wenigstens in den Officieren unb Unter-
officiercn zum Bewußtsein zu dringcn. Solche
von dem Volke loSgeriffene bewaffnete Mann-
schaft läßt sich natürlich g;anz beliebig von
denen benutzen, die dcn meisten Einfluß auf
dic Führer ubcn. So gesährlich ein solches
Spicl auch ist; die militärischen Junker sind
die verblendetstcn und faffen nur den nächftcn
Zweck ins Auge. S>o stacheln sie jetzt in der
schamloste» Weise die Soldaten gegen das
Ministerium und die Zweite Kammer aus,
weil diese die zur würdigen Ausstattung deS
Herres nöthigen Mittcl vcrweigerten, obgleich
sie doch gar nichts vo» der Sache verftänben.
Dabei wird denn immer, wie gesagt, der
Standpunkt festgehalten, als sei das Heer
nicht ein der Slaatsgewalt unterworfener
Thcil des Landes, sondern eine für sich be-
stehende Macht mit ihren vvllig gesonderten
Jntereffen.

Wien, 16. April. Die Wiener „Preffe"
äußert sich über dcn Toast bes Hrn. v. Dal-
wigk bei Eröffnang ber Kehler Rhcinbrückc
wie folgt: „Man traut fürwahr scinen Oh-
ren kaum, wenn man heute. solche Worte aus
dem Munde eines deutschen Staatsmannes
vernimmt! Wir wiffen wohl, was das Cer-
moniel bei dergleichen Feierlichkeiten ersorvert,
und haben gegen cilien Toast auf den Kaiser
ber Franzoscii gewiß nichts einzuwenben.
Abcr es gibt gär manche Art von Trinksprü-
chen, und cs war um sv wenigcr Grund zu
irgend ciner enthusiastischen Mvtiviiung veS
Trinkspruchs auf Napoleon U1. »orhandcn,
als ja der Trinkspruch, der auf sranzösischer
Scite zn Eyren dcs Großherzogs von Baden
ausgebrachl wurde, mit keiuem Worte über
die Anfvrderungcn der gewvhnlichsten Etikette
hinausging. Für derlei seinere Unterschei-^
dung scheint jevoch bcm hcssischen Staatsmi-
nister jedeS Verständniß abzugehcn. Jn an-
geborener Untcrwürfigkeit vcrgaß er alle ber
Würde der dcutschen Nation, in deren Namen
er den blinkenden Römer schwcnkie, schuldigc
Rücksicht, und erging er sich Napoleon ge-
gcnüber in den Nekensarten einer platten
Schmcichelei, wie Ler Kaiser ber Franzoscn
sic vo» scinen Präfecten und Senatoren ge-
wohnt sein mag, wie er sie aber gerade bci

f Nur ungern hatte ihn der Mcister von sich gelaffen,

! bei deiy er noch eine Zeit lang als Gchilfe gear-
! beitct, um sich cin tüchtigcs Neiscgeld zusammen-
zusparcn; als dieses aber nun geschehen war, da
zog cs ihn fort mit unwiderstehlicher Gewalt, das
Zicl seiner Wünschc zu crrcichcn! Ohne sich irgend-
«0 lange aufzuhalten, hattc cr bcreits die Städte
Leipzig, Naumburg, Weimar, Erfurt und Gotha
durchwandert, immer nur die herrlichen Gestabe
des Rheincs vor Augen; allein in Eisenach ange-
kommcn, konnte er sich dennoch nicht enthalten,
hinaufzustcigen auf die waldbcdecktc Höhe, von wcl-
chcr herab die alte Wartburg auf die düstcren Tan-
nenwälder schaut, um dort die Waffcn und Denk--
mälcr aus längst entschwundenen Rittcrzeitcn, und
die gcwcihtc Stätte, wo cinst Lutherdic Bibelüber-
setztc, in Augcnschcin zu nchmcn; dann abcr zog
cr muthig wcitcr, in's düstere Heffenland hinein,'
dcffen unwirthbarer Bodcn, mit Wald und Haidc
bedcckt, kein Verlangen in ihm wcckte, länger dort
zu wcilen, als eS nöthig war, ihm den llcbergang
vom Norden zum Süden auf's deutlichste zu ver-
anschaulichen.

(Kortsetzung folgt.)
 
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