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Heidelberger Zeitung — 1861 (Januar bis Juni)

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Juni
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Mit dem I. Juli begiimt «ntf -ie
„Heidelberger Zeitung" ei« neues
Adonnement; wir ersnche« unsev«
Leser, ihre Bestellungen frühzeitig
zu mnchen.

Das Berliner Wahlprogramm.

Als dcr Nalioiialvercin iii Äoburg den SaH
auistellie, daß das deulsche Bolk die Ueber-
tragung der Üeiitralgcwalt an den grvßle»
reindeulichen Staat wunsche, saud er fur nö-
lhig, dic,en ÄZunsch noch niancher inhalls-
schwercn BorausicHung unierzuordnen. Dciin
ist auch die Machi,rage bei dcr Hcrstellung ei-
ncr Nationalciiihcit von überragender Bedeu-
tung, so kouiuien doch, so lange cs stch um
die ireiwillige und sriedliche Uutcrordnung dcr
Nativn unler cinen Slaak haiivelt, vor Allem
die iiiuerrn Negieruiigsloiliieii dieseS Staatee
in Berracht, uud das Bolk wiro dic Gcbote
dcr Pvlilik nichl hvren, lvcnn sic nicht zugleich
eiuc sehr Hohe nioralische Äerechtigung aus-
wcisen koiiiien. Wo die Svnne der Freihcit
und Gcrechiigkcil stelkeulos schcint, dahin wen-
dct sich als e»ie wahre Sonnciibluirie die Bor-
licbe bcr Nalion, und dauiit sie sur ihre po-
lirische Große Lpser zu dringen wiuig sei,
muß erst ihre Phantasie und ihre Berchrung
gewonnen scin.

Der Natioiialverein erkamite als die wich-
tigsten Borbcdingungen z:i seinen erstrebten
Zivecten: daß das deutsche Bolk sich der dcut-
schen Ccntralgewalt und VolkSvertretmig un-
lerordne, und die preußische Regieruug die
unkrlaßlichen Schritte zur Herstcllnng der beut-
schen Machl und Einheit thuc. Aber was in
beiden Bczlkhungen bis jetzt wirklich gcschehen
ist, laßl sich in ein kleines Wort zusainincn-
sasien: Nichts. De» haiiptsächiichsteu Werth
wurde die deutsche Naiivn aus bie Stimuie
des preußischen Bolks selbst legen; denu weun
dieses sich erst die rechte iLrkennlniß zu eigeu
gemacht und bie rechten Mitlel zur Lrreichung
der nationalcn Zwecke angcwendct hat, so
wird es der Regierung nichr lange Zeü mög-
lich bleibcn, bem Audrange ihres kigenen Bol-
kes unb bcm Rus der ganzen Nation uoch
länger sene Passivitär cntgegeiijusteUen, bie
sich mit wackeren Vorsätzen und inneriichen
Wünschen begnügt.

Da aber dcr Volkswille nur in dem Abge-
ordnetenhause seiucn gesetzliche» Ausdruck stn-
den kanu, so muß man wohl sagen, daß das
prcußischc Volk selbst es verschuldet, wenn
seinem größeren Anspruch auf die Führerschast

in Deutschkand bssher eine grvßere Bcreit-
willigse.it bcs der dcutschen Nation nicht ent-
gegenkaw. Es ist nicht geiiug, daß die Be-
rechnung der Politiker es ausfindig mache, daß
Deutschlanb ohne die „preußische Spitze" nicht
zur nationalcn Einheit gelaugen könnc; denn
nicht politische Gebankcn vermögen die deut-
schcn Stämme bis zu bem Punkle zu begei-
stern, daß sie ihre gewohnte Selbststäiidigkeit,
ihrc Local-Hoheit (wenn wir uns sv aus-
drücken dürfenst gegcn dic Unierordnung unter
eincn niächtigeren Bruderstaat ausgeben. Die
Deutschen wolle» sich uicht einem vergrößcr-
tcn Preußen opfern, fle wollen sich nur einer
deutschcii Reichegcwalt hingebrn; und dainit
dicse willig unb freudig der preußischen Re-
gierung in dic Hände gelegt werdc, müßte
eine wahre, vvn Hctzen kouimcnde, durch Uebcr-
zcugung gekrasligte Begeistcrung für Preußcn
da >ein, sür Preußkns Vcrsaffung, sreiheilliche
Entivickelung, Gesctzlichkeit; Prcußens Volks-
veriretung müßte an der Spitze des Fvrtschritis
einhergeheii, wcnn Preußen bas Haupt Deutsch-
lancs werden sollte. Abcr wie wenig hat das
preußische Abgcordneterihaus seine Ausgabe be-
griffen, cine Ausgabe, dic zwar schwicrig sein
mochte, aber zu deren llvsuug deniioch nur
Erkenntiiiß ber Zeit und muihige Enischieden-
heit gehörle! ES hat sich kein hvhcrcs Ziel
'zu setzcn verstanden, als stets nnd in Allcm
bem Ministerinm dcn Willen zu thun; es hal
die „reblichen Absichten" der Mimster sür die
That gelten iaffen, dic das Vatcrland ver-
iangte; es hat die Poiitik der Halbheit nnd
Unklarheit nach Jnnen und Außen unterstützt,
in der eiteln Furchl, baß ein Rücktritl dieses
Cabinets die Zunkerpartei an das Steuer ber
Gewalt rufen könne, und hat dabei nicht be-
dacht, daß es beffer ist, gegen entschiedene
Feinde im Bunde mit dem Hatz des BolkS den
Kamps zu wagen, als das Unrichtige und Ber-
kehrre burch schwache Nachgiebigkeit zum
daueriiden Zustand werden zu laffeu; cs hat
schweigend zugesehen, wie die Krone ihren Eui-
fiuß ausbol, um die Bedingungen ver Heer-
verstärkitng, an der ihr AUcS lag, im Hcrren-
haus burchzus'ktzen, während dieser Einfiuß
schiumuiernd blicb, wenn es sich um Gesetze
hairdelte, aas dic das Bolk scine Hoffnungen
gesetzt hatte. Das preußische Abgeordnelcn-
hauS hat dic Rolle jeneS Schwächlings ge-
spielt, ber sich um die sehcnben Augen frei-
willig eine Bind« wersen läßt, weii aus das
Sehen mögiicherweisc auch ein Thun folgen
müßtc. Es war eine Versammlung, bie allen-
falls sür eine kurzc Uebergangsperiobe gecig-

net sein mochte; sie war dazu gut, eine Re-
gierung, die bem Namen ciner freisinnigen nur
Wenigcs zu vpfern sich cnkschlicßcu kvnnte,
zu untersiützen, ader nicht der Regierung den
Weg zu zeigcn, auf dem sie voranschreiten
sollte. Es war einc Vcrsaiiimlung von Män-
nern, die sich in frühzeitig gealterten Begrif-
fen wie im Krcis herumbewegten, uNd i» der
Uebcrzeugung, daß sie das Gute wollre», un-
terließen das Gute zu thun. Statt der beuk-
sche» Nation voranzuleuchtcn, der dcutschen
Nation, die nichts innigcr wünschte, als sich
Preußcn gänzlich anvertkauen zu koiincn, blie-
ben ste hinter den mäßigstcn Erwartuiigen zu-
rück, unsähig als Poliiiker unb vhne Ber-
standniß iyrer Stellung a!S Volksmäiincr.
Das Abgcvrvneteiihaus Preußens tragt die
Schuld, kaß bic gesitzlichcn Zustaiide im Jn-
ncrn sich »och nicht beffcr do;cstigt, baS Ge-
wicht des StaateS nach Außen sich nicht ver-
mehrt hat unb bie deurschc Naiion sich vvn
bem, noch vör einciii Zayr als Deuischlands
Schwerk uiib Gcsetz herbe>gc>ehnteii Preußcn
wieder mehr unb nuhr abzuweiiben broht.
Nach einer Verdefferuiig kes Abgeordueten« ,
hauseS, nach wurbigcrcn Wahlen, uach tüch-
tigercn und trastigeien Bcrlrckcrn ergchr bcr
laute, nicht mchr mißzuvcrstehenbe Rus des
preußischen Bolkcs. iss sragt sich nun, ob
dieseS so vick pvlitische Rcife hat, vaß es aus
sich selbst eine Verlrerung schaffen wrrbc, bie
der noch immer das üanb höhnenven Gcwalt
bes Junkerthums cin Ende zu machen, an bie
Stelle ber Halbheit tlare Enischiebenheit zu
setzen und Prcußcn bie willige Huldigung der
deutschen Nation zu erwerben im Stande sei.

Die Partci dcs Fortschritts in Preußen hat
stch endlich zu ciner offcncn Knndgcbnng ihrer
Grundsatze ermannt und ist Mit einem Wahl-
programm hervorgelreten, dcffcn Zieie diescl-
ben sinb, wic die bes Nationalvcreiiis. Sic
stellt an die Spitze die leioer zu lang von
der Bcrliner Selbststbcrschätzung verkaniite
Wahrheit, daß PrcußcnS Eristenz unb Größe
adhängt von einer seslen Einignng Deutsch-
lands; diese, spricht sie aus, könne ohnc cine
starke Centralgcwalt in den Hündeu Preußcns
und ohne gemeinsame dentschc Voiksvertrelung
nicht gedacht werden. DieS ist unzweiseihast
die unerläßliche Bedingung dcr preußischen
Machtstcllung nach Außen; over fie wäre un-
ersüllbar, wenn die innere ffage dcS Staäts
den Ansorderungcn der Nation nicht entspräche.
Das Programm fordert daher „eine seste li-
berale Regierung, welche ihre Stärke in der
Achlung der verfaffungsmäßigen^Rechtc der

Durch Nacht zum Licht.

LebenSbiid von.Joseph Rank.

(Fortsctzung).

Aus dem offene» Aenster dcs Bedrentenzimmers
schallte hciteres Lachen, eine vornchme Damc, in
rauscheude Seidc gckicidct und gefolgt von eincm
zicrlrchcn Kammermädchcn, ging über die Gallcrie
und baid darauf sprangen thr zwci Kinder nach,
Mädchen, im Aiter von Eduard's Schwcstcrn, dte
ihrer Mutter nichtsoglcich nach dcuZimmern folgtcn,
svndcrn erst nvch cinc Wciie iachcnd hin uud hcr
jagteii und durch das Gallcricgitter beobachtetcn,
was nntcn im Hofraume vorging.

Sic ahnten nicht, daß der schüchterne Kngbe unter
der Thorfahrt einst auch, wie sic, in feincn Klei-
dern, harmios und giückiich, die Wohithai des Rcich-
thums gcnoß, tausend Male dieselbc Gallerie hin
und wicdcr stürmie und ohne Ahnung seines künf-
tigen Falles dort seinen Spiclen und Tkäumen
nachhing.

Züpr Glücke crschien die alte Pflegerin endiich
wiedcr und entführic dcn Bedrängtcn einer Stelle,
die ihm so vieie Erinnerungen weckie, die Biider

der EAern icibhaftig «or die Seele rückte und ein
tieses Hcimweh nach dcn kicinen Schwestcrn wach
riof.

Ungcwöhniich behcnde, m!i gerötheier Siirn und
gegcn Ednard Lußcrst freundiich ging nun die Aiie
die iange Straße weitcr, kaufte an eincr Eckc der-
sclbcn dcm Knaben einen Wcck und bog dann in
dic Straße etn, welche nach dcm Thore sührt.

„So, jetzt wollen wir auf's Land, die erftc Ge-
Icgenheit, dic wir finden, wird benützt, um nach
Ludwigshagcn zu fahren", sagte dic Pflegerin am
Thor, und ais sie gleich darauf einen Omnibus
erbiicktc, dcr im Begriffe war, nach Ludwigshagen
abzufahren, stieg fic mit Eduard ein und dic Fahrt
ging rasch von Statten.

Man hatte bald die ietzten HLuser dcr Stadt und
auch dcr Vorstadt hinter sich und sahLudwigShagc,i
vor sich ltegcn.

Einc bange Ahnnng hatte Eduard ergriffcn, daß
die Pficgerin es auch hicr auf einen Besuch deS
cinstigcn BesitzthumS sciner Eitcrn abgrsehen habe,
«nd die Ahnung täuschte ihn auch «icht.

Der OmntbuS war noch kaum bts an das Thor
Ler väteriichen Villa gekommen, ais die Pfirgcrtn

dcm Kutscher klopfte, daß er halten möge; es ge-
schah und sic sticg aus, indem sie auch Eduard bat,
ihrem Beisptcle zu folgen.

Als sie Bcibc auf der Straße standen und der
Wagen seines Wcges suhr, sagte die Pflegerin mtt
vericgencr Mtcne iacheind:

„Hier hätte tch wieder zwci Worte mit Aemand
zu reden, kommen Sie mii mir, Eduard!"

And schon hatic fie dte Thorglvckc in bek Hanb
und gab ein kräfiiges Zcichen.

Baid auch öffnete ein Diener däs Thor und fragic
nach dcm Beücben; dic Alie nahm ihn aber bei
Scite und sagte ihm cinige Wvrte in's Ohr, woraüf
jcner verwundert ausrief: „So?" und Evuard mit
Bückrn vvll Mitleid »kd Neugierdc ansah.

„Jch habe Richts dagegen, die Herrfchaft ist nicht
zu Hause", fügie cr dann hinzu und nicktc dcr
Pflegcrrn: „Nur inuß ich bitten, nicht zn langc !"

Dicse Worte warcn kaum gesprochen, ais dic Akte
dcn Knaben eilig an drr Hanb nahni uttd mit sich
nach dem Hofraum und Gartcn der Villa führte.

Mit der Mienc dcr höchstcn Neugierde, die nach
und nach in Bewunderung iiberging bei dem An-
bück der Drdnung und Pracht der Gänge, Lauben,
 
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