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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [2]
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0122

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MODERNE KUNST.

25

'nW'as memst Du, Winand, wird es
^ egen geben? Wir wollten doch noch
2u den Mähern und nach Amalienruh!“
„Es ist ja keine Wolke am Himmel!“
Abermals zwei Minuten. Dann fuhr
Ilerr von Rochoil plötzlich auf.

„Herrgott, die Schweine!“ rief er
2°i'nig. Warum erinnerst Du mich nicht
atl die Schweine? Glaubst Du, ich hätte
■Lust, einen Thierarzt zu bezahlen? Was
^ er kann, kann ich auch! Kommen Sie,
^rechtling! Und — es könnte sein, dass
lch ihnen etwas verschreiben müsste! —
Uehmen Sie das Tintenfass und die
eder mit! Behalten Sie die Geldtasche
Uur um. Es dauert sonst zu lange. Dalli!
ballü«

Er schob den Oberinspector vor
sich her hinaus. Frau Amalie hätte bei-
nahe laut aufgejubelt. Mit ein paar
Schnellen Schritten war sie an der Glas-
thür, mit zitternden Händen öffnete sie
hieselbe und mit mühsam unterdrückter
Stinime rief sie in den Park hinein:

,,Leo! Schnell! Er ist bei den
Schweinen!“

Dann eilte sie zum Schreibtisch und
hob das Taschentuch auf.

An der Thür des Schweinestalles
hlieb Herr von Rocholl einen Augenblick
stehen, und etwas wie ein Lächeln flog
hber sein melancholisches Gesicht.

„Wissen Sie auch, Brechtling, warum
'ch Sie bat, Tinte und Feder mitzu-
Uehmen? Weil ich die Vollmacht da
hrinnen gleich lesen und unterschreiben
'vill, damit sie dann sofort durch einen
reitenden Boten zum Rechtsanwalt zu-
''ückkommt. Ein famoses Recept gegen
hen Rothlauf, was?“

Der Oberinspector spitzte in unend-
hcher Bewunderung die Lippen.

„Brillant, Herr Baron! Ich wäre nie
auf so etwas verfallen! — Wenn der
Herr Baron mir das Tintenfass für einen
^ioment abnehmen möchten? Ich würde
hinen die Vollmacht sogleich geben!“
Herr von Rocholl wehrte hastig ab
und öffnete die Thür.

„Noch nicht! Meine Frau könnte
v°m Fenster des Comptoirs aus . . .“ Er
bi'ach jäh ab und fuhr herum. „Zum
bonner, Amalie, was . . .?

Sie stand hinter ihm mit grossen,
diränenerfüllten, vorwurfsvollen Augen
und hielt ihm das Taschentuch ausge-
hi'eitet entgegen.

„Oh, Winand“, stammelte sie, „hast
bu es genommen?“

Sie hätte es nicht sagen sollen: Es
. ar kein Wölkchen am Himmel, 'aber es
Sewitterte dennoch. Ueber ihrern Haupte.

Wenn sie wenigstens noch gesagt
Hätte: verwahrt! Aber — genommen?
^Var er ein Dieb? War das Geld
n>cht sein Eigenthum? Jawohl, er liatte
ts Verwährt. Es war nöthig.

G. van der Straeten. Hollunder-Blüthen.

„Denn die Zeiten sind schlecht!“
schloss er düster. „Wenn das so fort-
geht, werden wir Alle Hungerleider sein!
Und sind wir’s nicht schon? Frage
Brechtling!“

Brechtling liess einen kläglich ver-
wunderten Blick über die räthselhafte
Fülle seines Leibes gleiten und machte
sich so dünn, wie möglich.

„Zu Befehl, Herr Baron!“ bestätigte
er dann. „Auf' Ehre, gnädige Frau,
Hungerleider! — Leider!“

„Deshalb“, fuhr Herr von Rocholl
fort, „ich will Dich ja keineswegs in
Deinen Rechten beschränken und ich
mache Dir auch absolut keinen Vorwurf,
aber ich werde die Geldangelegenheiten
für den Haushalt selbst in die Hand
nehmen. Ich habe bereits einen passen-
den Modus ausfindig gemacht und mit
den Kaufleuten in der Stadt besprochen.
Brechtling wird Dir Bons ausstellen und
diese Bons werden von den Kaufleuten
effectuirt werden. Bons für Zucker,
Kaffee, Pfeffer, Salz, Mehl und Alles.
Rede nichts dagegen! Es wäre ein Ver-
brechen an unseren Kindern, wenn wir
nicht Alles versuchten unsere Lage zu
verbessern. Bedenke nur, was Du mit
den armen Wtirmern anfangen wirst,
wenn ich einmal todt bin und Ihr auf
dem Trockenen sitzt. Wenn ich einmal
todt bin — weisst Du, dass mir das im
nächsten Augenblick passiren kann?“

Er starrte auf die Stallthür, als wäre
sie der Sarg, der ihn aufnehmen sollte.
Frau Amalie war wie betäubt.

„Oh Winand! Winand!“ schluchzte
sie. „Ich bitte Dich . . wenn Du es
wiinschest . . . nein, ich verstehe auch
wohl von Geld nichts und das mit den
Bons ist ja auch . . .“ sie folgte einem
plötzlich in ihr auftauchenden Gedanken.
„Wenn Du es daher erlauben wiirdest. . .
wir kommen wohl spät nach Haus . .
und ich habe allerlei Kleinigkeiten
nöthig . . wenn Herr Brechtling mir die
Bons gleich jetzt ausstellen könnte?“

Sie wagte nicht ihn anzusehen. Er
opferte sich für sie und die Kinder!

Er war so gut! Und sie — wenn er
gewusst hätte . .!

„Jetzt gleich?“ fragte er zurück.
„Aber Brechtling sollte doch mit zu den
Schweinen. Das heisst — hm! — ge-
wiss, es geht auch ohne ihn. Geben Sie
mir nur Ihre Geldtasche, lieber Freund,
damit ich eine Unterlage beim Recept-
schreiben habe. Und das Tintenfass
setzen Sie nur da auf die Thürschwelle!
So, ich danke! — Eilt Euch nur ein
wenig; es ist die höchste Zeit, dass wir
nach Amalienruh kommen!“

Er nickte noch einmal in die leere
Luft und verschwand nrit der Geld-
tasche in den Stall, dessen Thür er
hinter sich verriegelte. [Fortsetzung folgt.J

ix. 2. III.
 
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