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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [5]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0169

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MODERNE KUNST.

75

^pital

s v°n 125 000 Mark, erhalten als Gewinn des Looses No. 27 618 der
sten Classe 80. Herzogl. Braunschweigisch-Lüneburgischen garantirten

atldeslotterie.“

n Herr von Rocholl rechnete die ganze Nacht und machte Bilanz.

§ erade, als da draussen am Himmel die Sterne erblassten und die

h llllerwölkchen am Rande des Horizonts sich mit dem ersten schwachen
l'°sa a

^j. ner Morgenröthe färbten, trug er die letzte Summe in das Buch ein,

^otalsumme, das Facit der 18 Jahre: 261 513 Mark und 18 Pfennige.

Das Grundkapital hatte sich mehr als verdoppelt.

q einen Augenblick flog ein freundlicher Schein über sein blasses

k Slcht, um gleich darauf einer seltsamen, düsteren Hofifnungslosigkeit

2U machen. Und während er das Buch und die Papiere wieder in

hieheimfaeh d es Schreibsecretärs verschloss, seufzte er tief auf.

I h>ann schlug er die Vorhänge von den Fenstern zurück und starrte
«Hr- -

. hinaus. Er kämpfte einen schweren Kampf, bis sich die Sonne in
§ieicher Majestät über die Dächer der gegenüberliegenden Wirthschafts-
äiide erhob und die alte Erde mit ihrem warmen Lichte verklärte.
A-Uch dem einsamen, alten Manne am Fenster wurde es warm um's

sPit:

Entschlossen wandte er sich um und schritt hinaus auf den Fuss-
. 2en, durch den dämmernden Corridor bis in das kleine Erkerstübchen
n dem Garten zu, in dem Otti schlief.

An ihrem Lager blieb er stehen und betrachtete sie lange. Wie bleich
|j zart sie geworden war m der kurzen Zeit ihrer jungen Ehe!
^ tvie schmerzlich ihre Lippen sich verzogen hatten, selbst jetzt im
^Ufnmer.

.. ^ 1' nickte traurig vor sich hin. Er kannte das. Hatte Frau Sorge
tiicu ö ö

, lc oft genug auch an seinem Bette gesessen und ihm die Federkissen
uart

semacht, härter wie Holz und Stein?

^- r beugte sich zu ihr herab und küsste ihre Stirn. Und eine Thräne
aus seinem Auge.

^tti fuhr auf.

»Oh, Papa!“

war bereits wieder an der Thür. Und durch das Halbdunkel klang
e Stimme weich und tröstend zu ihr herüber:
h Ach habe es mir überlegt, Otti! Es geht auch mit fünf Procent, Kind!
Onf Procent!“

iic)

Viertes Capitel.

k „E’nd p)u willst wirklich heute wieder zur Stadt zuriick, Otti?“ fragte
r von Rocholl am folgenden Tage beim Mittagessen.

- /r-v

Chinesisches Wohnhaus.

„Ichmuss,Papa!“
entgegnete Otti.
„Erich kommt.heute
Abend und . .

Herr von Ro-
choll blickte starr
in seinen Teller.

„Was meinst
Du“, sagte er plötz-
lich, wie widerstre-
bend, „wenn ich
mitführe? — lch
habe nämlich bei
Getreidehändler
Wichers zu thun
wegen — weshalb
lachst Du, Leo?“
Leo hatte nicht
gerade gelacht. Es
war nur etwas wie
ein Blitz freudiger
Ueberraschung
tiber ihrGesicht ge-
zuckt, und dann
hatte sie Mia scharf
angesehen. Aber
Mia hatte den Blick

nicht gefühlt. Sie
sass in tiefesSinnen
versunken neben
Herrn von Rocholl
Leo gegenüber.

Auch dass Leo ihr
unter dem Tische
heimlich auf den
Fuss trat, erweckte
sie aus ihrer Träu-
merei nicht.

,,Es trift’t sich
gut“, fuhr der alte
Herr nach einer
Weile fort, ,,dass
ich den Phildoctor
so wie so wegen
einer Besprechung
herbestellt habe. So
kann er mich hier
vertreten und wir
können bald fahren.

Oder hast Du etwas
dagegen, Leo?“

,,Aber nein, Pa-
pa!“ murmelte Leo
verlegen und ärger-
lich. Auch der zweite
Fusstritt eben hatte
keine Wirkung auf
Mia ausgeübt.

,,Es ist zwar ein
wenig viel zu thun!“
überlegte Herr von
Rocholl weiter. „Zuerst muss der Rest vom vorjährigen Roggen ausge-
droschen werden, aber wenn der Phildoctor die Maschine in Gang ge-
bracht hat, könntest Du, Amalie, vielleicht die Aufsicht übernehmen, damit
er zu den Rübenhackern auf Schlag sieben — zum Henker, Leo, was hast
Du denn?“

Er sah sie zornig an. Sie hatte sich auf ihrem Stuhl lang ausgestreckt
und den Absatz ihres derben Schuh’s drei-, viermal mit voller Wucht auf
Mia’s Fuss niederfallen lassen. Ohne Erfolg. Nun schnellte sie erschreckt
zurück.

„Ich, Papa?“

Er schob seinen Stuhl zurück und schaute unter den Tisch.

„Ja, Du! Unverschämt lange Beine hastDu! Wahrhaftig, bis hierher!
Sie trampelt mir auf den Füssen herum, als wenn sie von Holz wären.
Ueberhaupt, was ist das für eine Manier, sich beim Essen so herum-
zuflegeln? Wenn Du mir zu jungenhaft wirst, Mädel, dann“ — er warf
einen Blick durch das Fenster auf den Hof und erhob sich. „Da kommt
der Phildoctor! Ich werde ihn . . ja, was ich noch sagen wollte! Hast Du
viel Butter im Hause, Otti? Du könntest sonst ein Zehnpfundkübel mit-
nehmen. Zum Engrospreis. Ja? — Pack’ sie also ein, Leo, und lass Dir
von Mia dabei helfen, damit es schneller geht. In einer halben Stunde
fahren wir!“

Als der erste sausende, surrende Ton der Dreschmaschine von der
Scheune her in die Molkerei drang, richtete sich Leo von dem Zehnpfund-

Strasse in China.

kübel auf.

„Wirst Du allein fertig werden, Mia?“

Mia sah ihre Cousine erstaunt an.

„Allein? Warum?“

Leo machte eine Bewegung der Ungeduld.

„Warum? — Herrgott, wandle doch nicht immer wie geistesabwesend
herum! Natürlich hast Du wieder nichts davon gehört, dass Papa mit Otti
in die Stadt fährt, und dass der Phildoctor ihn hier vertreten soll und
nun drüben in der Scheune bei den Dreschern ist!“

Mia’s Gesichtchen tauchte sich plötzlich in rosige Gluth.
 
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