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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Trojan, Johannes: Vögel im Winter
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0178

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§4

MODERNE KUNST.

Das neue Hoftheater in Wiesbaden.

gefliigelten Sänger aus dem Süden zurückgekehrt. Als sie der Bliithen-
pracht in der alten Heimath ansichtig wurden und dazu des jungen glänzen-
den Grüns, waren zumal diejenigen unter ihnen, die das zum ersten Mal
sahen, auf’s Angenehmste überrascht und mussten gestehen: Etwas
Schöneres hat auch der Süden nicht. Nun ging ein grosses Jubiliren los
in den Lüften und auf den Zweigen. Nester wurden gebaut, und iiberall
wurde gesungen. Mitunter freilich klang der Jubel ein wenig gedämpft.
Es gab ein paar kalte, recht kalte Tage. An solchen Tagen zogen die-
jenigen, die auf Bäumen wohnen, sich zum grössten Theil an geschützte
Orte zurück und verhielten sich still; die in Häusern Wohnenden heizten
noch einmal wieder den Ofen, stellten sich mit dem Rticken daran und
rieben sich die Hände. Manche aber von der zuerst genannten Art sangen
unverdrossen und unverfroren weiter, und aus ihrem Gesange heraus er-
klang es; „Das thut nichts! Es ist nur ein Uebergang. Morgen, sollt ihr
sehen, scheint die Sonne wieder und weht milde Luft.“ Als die Menschen
das hörten, gewannen sie neuen Muth, und sogar die Winzer, denen der
Frost einigen Schaden angerichtet hatte, sagten: „Im Ganzen ist es nicht
viel. Ein warmer Sommer kann alles wieder gut machen.“

Der Blüthenschnee zerging wie der Schnee des Winters zergangen
war, aber ein anderes Blühen, ein vielfarbiges, buntes entfaltete sich,
überall, auf den Wiesen, auf den Angern und Rainen und in den Gärten.
Silbergrau wogte das Kornfeld, und zwischen den Halmen schimmerten
blaue und purpurrothe Blüthen. Nun fing das Blühen der Rosen an, der
wilden in den Hecken, an den Berghängen und auf der Heide und der
vollen prächtigen Gartenrosen. Leider fielen gerade in diese Zeit einige
recht unholde Tage, an denen es mehr regnete als nöthig war und heftiger
wehte, ais für die blühenden Rosen erwünscht schien. Der Wind ging
wie ein ungeschickter, tölpischer Liebhaber, etwas ungestüm und unsanft
mit ihnen um, und der Regen schlug ihnen manchmal so arg in’s Gesicht,
dass sie nachher ganz verweint aussahen. Aber die Nachtigall, die um
diese Zeit am hellsten und lautesten sang, versicherte unaufhörlich, dass
es die schönste Zeit des Jahres sei, besonders für Liebende und für die-
jenigen, die fliegen können, und das glaubten am Ende alle, auch die
nicht verliebt waren und nicht fliegen konnten.

Die Rosenzeit war vorbei, die Hauptrosenzeit wenigstens, denn
Herbst bringt ja noch eine zweite Blüthe in den Gärten wenigstens*
aber doch nur als ein schwacher Abglanz der ersten erscheint.
Schmelz der Wiesen war unter der Sense gefallen, das wogende

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der Saatfelder verwandelte sich allmählich in lichtes Gold. Indessen

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es draussen im Gezweige recht still geworden. Man hatte zu viel
Aufzucht der Brut zu thun, und darüber vergass man das Singen. v

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bei den Menschen etwas Kleines im Nest ist, dann fängt die Mutte 1

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singen an wie noch nie vorher; die Vogelmutter thut das nicht und K''
es nicht thun, weil sie überhaupt nicht musikalisch veranlagt ist.

Ja, es war still geworden draussen. Im Walde hörte man nut' se
noch eine Vogelstimme. Am Dachfirst aber sang noch lange die Sch" ^

ihr bescheidenes Liedchen, und bis gegen Ende Juli erklang ab un
noch der Ruf des Kuckucks. So lange das Korn noch nicht gemäht
liess sich darin noch, wenn es Abend wurde, bald hier bald dort
Geschnarre des Wachtelkönigs vernehmen,' das mehr eigenthün:li c^

schön klingt. Ueber den Feldern aber jubilirten, als schon das

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Aehren vor der Hand des Schnitters sank, immer noch die LercheU
trösteten den Landmann. Einen Trost konnte er brauchen, denü
Sommer hatte nicht gehalten, was der Frühling versprochen hatte.
guss auf Regenguss, Hagel und Sturm hatten manche Hoffnung g e

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und vernichtet. Die Weinbauern machten schon sauere Gesichter im
geschmack des neuen Jahrgangs, den sie bereits zu kosten glaubten- f
der Acker hatte nicht so die auf ihn gewandte Mühe gelohnt, w‘ e j.
Landmann gehofft und erwartet hatte. Aber tröstend schallte es hei a
zu ihm: „Nur nicht den Muth verloren! Gar so wenig ist es arn
doch nicht, ünd ein Jahr hilft dem andern aus. Nächstes Jahr, na
Jahr wird es besser!“

So wurde es Herbst, und das musste man dem Herbste nach s<lr

den Tisch der wilden Vöglein hatte er reichlich gedeckt. Ueberall 111

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Hecken, in Gebüschen, in Baumkrommen schimmerte es von glä nZC 5
Beeren. Aber auch für den Nachtisch der Menschen und für d aS’ ^
den Kleinen unter ihnen besonders mundet, hatte der Herbst ungewbh j
gut gesorgt. Tief herunter neigten sich die Zweige der Fruchtbäum e
 
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