Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Trojan, Johannes: Vögel im Winter
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0179

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
MODERNE KUNST.

85

Erdboden, an den Zweigen der Bäume und Büsche trotzen dem Winter.
Dazu so viel warmblütiges Leben hält draussen, in Schlupfwinkeln ver-
borgen oder auch frei sich regend, die harte Zeit aus. Davon begegnet
uns nichts so häufig und spricht uns so sehr zum Herzen wie die Vogel-
welt. Schlimme Tage für sie haben angefangen, und viele dieser kleinen
Wesen legen ein Theil der Schüchternheit ab, die sie sonst uns gegen-
über befangen macht. Sie kommen herangeflogen auf die Futterplätze,
die ihnen bereitet sind, nicht draussen nur, sondern auch in der unmittel-
baren Nähe unserer warmen Häuser. Goldammern und Zeisige suchen
die ländlichen Gehöfte auf und bitten sich bei den Bauern zu Gast. Die
Haubenlerchen, die etwas so Hausfräuliches in ihrem Wesen haben, wagen
sich in die äusseren Strassen der grossen Städte hinein und spazieren
geschäftig auf ihnen umher, als hätten sie Besorgungen zu machen oder

<ii,

zu rufen: „Kommt und pflückt und erleichtert uns! Wir können

£ T

ast nicht mehr tragen.“ Nun, ihnen wurde geholfen, und die Zweige,
Slch tief herabgesenkt hatten, hoben sich wieder.
k _ die Zeit, als das letzte Korn eingebracht wurde, leuchtete die
^ lcle in rothem Glanz auf. So blieb sie einige Wochen, dann erlosch
^lanz, und alles lag wieder fahl da. Auf den leeren Feldern hatten

s>ch •

^edliche Stoppelblümchen angesiedelt. Die vertrieb der Pflug, und

i. er ging auf dem Acker der Sämann auf und ab und warf die Saat-

^ 1 l6lri ' n au^ erlssene Erde. Als die Tage immer kürzer wurden

, ^ le Lüfte immer rauher, als das Laub der Bäume sich zuerst gelb
Und ...

lil fä rbt e unci d ann herunterfiel, da begann eine böse Zeit für die

tf Utllen im Garten. Einige stellten schon früh ihr Blühen ein, andere

^ten lange Zeit noch der Ungunst des Himmels. Aber allmählich

rden ihre Gesichter kleiner und kleiner und endlich schrumpften sie

h 2 zusammen. Von den Vögeln, die ia zu ihrem Glück nicht auf dem

ÖOf)

k, etl angewachsen sind und auch nicht, wie wir schwerfälligen Menschen,
B‘ Seilbahnen oder Postkutschen und ausserdem, grösstentheils wenigstens,
.^^aubung und Geld zum Verreisen nöthig haben, ging ein Theil schon
^ etl ersten kühleren Herbsttagen nach dem Süden ab. Recht früh
empfahlen die Thurmschwalben sich. Auch der Storch wartete

, Cllt erst ab, dass ihm im Sumpfwasser die Beine froren. Ziemlich lange
bllebr - - • - •• -.

dar;

rde

en die Rauchschwalben und noch länger die Staare. Endlich reisten
sie ab und riefen, indem sie sich empfahlen: „Auf Wiederseh'n
lasst’s euch gut gehen so lange!“ Es blieb aber doch ein ganz Theil
^ JS el im Lande, entschlossen zum Ueberwintern. Die sagten zu einander
s lässt sich nicht leugnen, dass jetzt die Tage kommen, die uns nicht
aHen werden. Mit der Herrlichkeit draussen geht es furchtbar rasch
^ ^ nde. Ein wahres Glück, dass wenigstens die Tannen grün bleiben.
ei111 aber die durchkommen, kommen wir auch durch. Verlasst euch
adf, es geht.“

Nun ist wieder Schnee gefallen, auf dem Gebirge zuerst und hie und

auch schon in der Ebene. Bald wird er reichlicher fallen und die

bedecken. Er fällt auf die schon sprossende Wintersaat, auf die

° Sen des Gartens, die sorglich warm eingehüllt sind, auf die frierenden

i
*

H,

Stf«

dUcher der Heide, auf den Wald, auf die Gräber des Friedhofes, zu

. etli seit der letzte Schnee gefallen, so viel neue wieder hinzugekommen

• Dann scheint alles erstorben und todt zu sein, und überall doch
>$t

Schlafendes und auch wachendes Leben zu finden. Unter dem Schnee
die Saat dem Frühling entgegen, zahllose Keime und Knospen im

6. II

G. Eberlein. Panthergruppe auf dem Giebel des Hoftheaters in Wiesbaden.
 
Annotationen