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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Mann, Heinrich: Irrthum: Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0199

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MODERNE KUNST.

wärme, cin Tischchen gerückt, an dem ich niederschreiben will, wovon
auch das Herz noch einmal warm werden mag.

Und zucrst das Geständniss, das zwischen uns unnöthig und das mir
doch von der Seele will.: dass ich allein an Allem Schuld, was Sie und
ich selbst erlitten; dass ich Ihre Güte verkannt und mit Undank gelohnt
und den edeln Schmerz, den Ihnen mein Zustand bereitete, auch noch
durch meine Handlungen ungerecht vermehrt liabe. Denn Sie waren gütig
und mitleidig und das Mitleid herrschte in Ihnen in einem Maasse vor,
wie ich es in keinem anderen Geschöpfe je wiedererkannt. Sie fürchteten
sicli nicht vor meinen brennenden Augen, als ich mich Ihnen das erste
Mal näherte, ich, der ich schon bei Ihrer ITochzeit von fern meine Flüche
in den Segen hineingeschleudert hatte, der in der Kirche ausgesprochen
ward. Freundlich plauderten Sic mit mir und schonten, mit der Sorgfalt
einer Mutter, meine Empfindsamkeit, die in der Luft jener Zeit gedieh.
Ich fühlte mich als Dulder Ihnen nah, glaubte unter dem gleichen Joch zu
leiden wie Sie, deren Herr und Gebieter auch mein Vorgesetzter und I lerr
war. Seine Strenge gegen den Niederen und Armen und die Nichtachtung,
die er dem gleichwohl nur wenig Jüngeren bewies, vergüteten Sie. So ward
seine Ueberhebung zur Gefahr für mich, denn er sandte mich häufig genug an
Abenden, wenn er Sie allein liess, aus dem Contor zu Ihnen hinauf, um Ihnen
aufzuwarten. Wenn Sie dann dem Venvaisten von seiner einst angeschenen
Familie sprachen, so träumte ich mich unter Ihrem trauten Lächeln als Page,
der das Garn, das er Ihren schlanken Fingern hielt, auch wohl noch um sie
Beide, um ihn und die Prinzessin, zu winden hoffte, fest und unauftrennbar.

Wohl hielten Sie mich stets in meinen Schranken zurück, die mehr
mein Gefühl als meine Worte oder Bewegurigen zu überschreiten. drohten.
Sie ahnten meinen Zustand, allein, wie hätte Ihr übermächtiges Mitleid ihn
so behandeln sollen, wie es kühle Klugheit gethan hätte? Zuweilen empfing
ich eine Gunsterweisung von Ihnen, die mich taumelnd von Glückshoffnungen
herumgehen liess, bis jedesmal der Umsehlag zur tiefsten Verzweiflung
erfolgte, wenn ich Sie beim nächsten Wiedersehen ruhig und gütig wie
immer fand. Einmal aber gönnten Sie mir einen Trost, der mich des
Restes von Kopf beraubte und uns Beiden verhängnissvoll ward.

Es v/ar an einem Gesellschaftsabende. Ihr Heim war voll duftig er
Frauentoiletten, jeder Herr bemühte sich, nach unserer guten Sitte vori
damals, galant um seine Schöne. Ich sehe Sie in ihrem weissen mädchen
haften Kleide, das sich so unvergleichlich um Ihren zarten Ilals schlosSi
in dem Kreise, der sich um den Theetisch gebildet hatte. Schweig sarn
und sinnend schienen Sie auf die Worte Ihres Nachbarn kaum zu achten,
vielleicht eine Laune, vielleicht Langeweile? Ich aber suchte Jhren Blich
und war nicht einmal überrascht, ihn zu treffen, voller und tiefer den' 1
je zuvor, wie mich däuchte. Wie sehr ich da gewünscht hätte, Jubelnd
emporzuspringen, so überkam mich doch alsogleich wieder das Gefühl des
gemeinsamen Elends, dem ich Ihre schmerzliche Haltung zuschrieb-
Empfindsam Ihrem Gram gegenüber, versank ich nur noch trüber in
mich selbst.

Nach dem Thee ward ein Pfänderspiel gema-cht, das mein Schicksal
entschied. Bei der Auslösung eines Ihrer Pfänder ward Ihnen aufgegeben,
untcr einer Anzahl Herren einen mit einem Kusse in Ehren zu beschenken.
Sie standen lächelnd da, Ihr Blick suchte, da traten Sie auf mich zu.

Warum erzähle ich alle diese Einzelheiten, die Sie selbst nie beachtU
und lange, lange vergessen haben?

Ach, Elisabeth, Sie haben mit all' Ihrer Seelenfreiheit nie geahnt, "' a3
für den Jüngling dieser Ivuss war, dessen noch der Greis nicht gedenD
ohne den Hauch Ihres Mundes, den Duft Ihres Gesichtes — und ein heissc»
Brennen in den eigenen Augen zu spüren. Sie haben ihn unachtsam t n
der Eingebung Inres Mitleids ertheilt, und für mich ist er das Einzige, d aS
ich nie habe vergessen können. Sie gaben ihn wie ein Almosen, und ich
habe nie grösseren Reichthum kennen gelernt. Glauben Sie nicht, dass
ich Sie anklage! Ich höre, so lange ich kann, nicht auf, Ihnen über Z elt
und Raum meinen Dank hinüberzurufen für die kostbaren Einbildung e11'
die wundervollen Gefühle, mit denen ich in Ihrer Nähe leben durfte und
die nicht zu theuer erkauft sind mit allen Leiden welche nachfolgten.

Jener Kuss hatte mich wie mit dem Hauche des Wahnsinns berühi'b
so dass ich nur von jedem Tage das Ungeheuerliche, Unmögliche el"
wartete. Es war mir, als müssten Sie endlich einmal meine Hand nehm en
und so, Hand in Hand, müssten wir geradeaus schreiten, wie in ellie
rosige Luft hinein bis an die Schwelle eines Märchenlandes, das uns g e"
hören müsste — und hinüber. Täglich mehr ward ich von einer nagendem
rastlosen Ungeduld verzehrt, Ihnen das alles zu sag en>
Sie zu fragen warum Sie zögerten? Aber jener Kus-
schien mir zugleich auch jede Kraft aus der Se e^ e
gesogen zu haben, dass ich nicht mehr das Wort an
Sie zu richten, Ihnen kaum in's Angesicht zu blicke n
vermochte.

Die Qual dieser innern Widersprüche stieg alD
höchsten, als Ihr Gatte, kurz vor Weihnacht durch eiri e
Geschäftsreise einige Tage entfernt gehalten, mich al s
Ihre alleinige Gesellschaft zurückliess.

Der Entschluss, vor Si e
hinzutreten und das ellt'
scheidende Wort zu spi' e"
chen, rang in mir ohne doch
durchdringen zu können. Kh
verlor was mir von Schlaf
noch geblieben war. W elin
ich Ihnen mit fieberglänz en"
den Augen gegenübersasS)

so fragten Sie wohl lT,,t

Ihrer lieben theilnehmende 11

Stimme, ob ich mich krari-'
fühle. „Nur ein wenig müd e
antwortete ich. Sie schlug en
mir vor, Sie auf Ihren Weh 1
nachtsgängen zu begle lte11'
Alles in mir lechzte danachi
an Ihrer Seite durch die eI"
frischende Winterluft dahi' 1
zugehen, doch lehnte lCh
Ihre Auffordcrung ab.
 
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