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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Mann, Heinrich: Irrthum: Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0201

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io8

MODERNE KUNST.

Mein Zustand in jenen Augenblicken entgeht der Erklärung. Mag ich,
um ihn mir zurückzurufen, meiner getäuschten Eloffnungen, meines Zweifels
selbst und Ihrer Worte, dass Sie Ihren Gatten liebten, gedenken, so bleibt
doch stets Eines, dessen Verständniss sich dem Greise, der allgemach das
Meiste verstehen gelernt, entzieht und das er auf Treu und Glauben von
seiner Erinnerung hinnehmen muss: ich meine die unmittelbare Gewalt
der Leidenschaft.

Sie blickten in mein verzerrtes Gesicht, das Sie mit Ihren Händen,
als wollten Sie es glätten, streichelnd bedeckten. Bei Ihrer Berührung
brach ich los. Aus einer wankenden hinfälligen Gestalt ward ich urplötzlich
zum wilden Thier. Ich warf meine Arme um Ihre Schultern.

Sie aber hielten auch noch jetzt mein Gesicht mit Ihren Händen um-
fasst, und von Ihren Händen ging es wie der Strom Ihres Willens aus,
den auch Ihr tiefer, unverwandter Blick mir mittheilte. Ein Augenblick
und mein Haupt sank schluchzend auf Ihre Brust, da Sie es denn ruhen
liessen. Ihre Arme hatten sich um meinen Nacken gelegt. Unsern Thränen
hingegeben, wie vergessen standen wir so, bis wir plötzlich die Gegenwart
Ihres Gatten fühlten.

Ich habe noch die Empfindung der kalten Härte, die da unser weiches,
hingegebenes Gefühl berührte. Sie hatten ohne Bestürzung ruhig und
gelinde meinen Kopf aufgerichtet und mich sanft fortgeschoben.

„Du scheinst nicht überrascht!“ rief er aus und seine Stimme war so
hart wie seine dunkle Gestalt und seine Miene. Seine Züge erhielten den
Ausdruck verschlossenen Hohnes, als er den Blick durch das Zimmer
wandte, auf den Weihnachtsbaum und dann auf uns zurück.

Und als Sie schwiegen: „Du vermagst nicht einmal Deine Unehre zu
fühlen!“ rief er.

„Wenn Du Dich“ so sprach er nach einer Weile schneidend fort
„jetzt mit Deinem Liebhaber auseinandersetzen willst — an uns wird
später die Reihe sein.“

Er war hinaus wie er gekommen und ich stand wieder Ihnen gegen-
über, nur ganz vernichtet von dem so jäh geweckten Bewusstsein dessen,
was mit mir vorgegangen. Ohne einen Rest von Trotz, in einer Wahren
Knabenangst suchte ich nach einem Mittel, gutzumachen was ich verbrochen.
Zaghaft genug wandte ich mich wie zum Gehen.

„Wohin!“ herrschten Sie mich da an.

„Um ihm alles zu erklären, um meine Vermessenheit und Ihre Unschuld
zu bezeugen.“

„Sie bleiben!“ riefen Sie noch strenger.

Tch starrte Ihnen in das Gesicht, es schien mir hart wie das seine
geworden und bei diesem Anblick wurde ich von dem Schauer der Er-
kenntniss berührt, dass Ihre Milde und Ihr Mitleid, weil sie aus der Selbst-
sicherheit und Ueberlegenheit Ihrer Natur hervorgingen, dort abgestossen
wurden, wo sie Härte und Mitleidlosigkeit fanden; dass Sie den Hohn und
den Zweifel, den ihr Gatte ausgesprochen, zu überwinden Mühe baben
würden.

Sie werden ihn dennoch schnell genug überwunden haben; Sie werden,
als die seelisch Grössere, den Mann zu Ihrer Höhe emporgezogen, ihn
gebildet haben. Waren Sie doch so gütig, auch noch in jener Stunde,
auch noch gegen den Urheber all’ Ihres Schmerzes.

Ihre Stimme ward wieder weich, als Sie mir Ihre Hand entgegen-
streckten.

„Ich werde trotz Allem niemals aufhören Ihre Freundin zu sein.“

„Trotz Allem was noch geschehen mag?“ wagte ich zu fragen.

„Niemals!“ wiedei'holten Sie.

So sehe ich Sie, das lichte Kleid faltig um den schlanken Arm, den
zarten Ilals, eng geschmiegt um die Hüften, eine mattgelbe Rose in Ihrem
dunkeln Haar, um den Mund und in den Augen Ihr wunderbares Lächeln
und Ihre weisse kleine Hand mir entgegen gestreckt. So sehe ich Sie,
wenn ich des Glückes gedenke, das mir das Leben geschenkt.

Denn so viel Gutes ich in einem langen Leben erfahren habe von
Gattin, Ivindern und Freunden, so ist doch hier die Erinnerung, die mir
mein Leben wahrhaft lebenswerth erscheinen lässt.

Nur eine Erinnerung! Sie, Elisabeth, haben das Glück gewiss täglich
in Ihrem Arm gehalten, es hat sich Ihnen in der Wirklichkeit erfüllt, und

für mich hat seine Erfüllung stets nur in meinem tiefsten Gedanken vef
borgen gelegen. Aber ist dieses, in Jedem von uns, nicht unsere eige n5tC
Wirklichkeit?

Alles was in meinen Gefühlen für Sie ehemals so wirr und leidv°
war, hat sich in der Erinnerung zu einem verschwiegenen sanften GU C^
geglättet, das sogar ganz frei von Reue sein darf, da es ja einst Ihn c[1
gestattet hat, sich für immer meine Freundin zu nennen.“ .

* *

*

Von neuem hat das Papier in der Hand des Alten auf dem Canap ee
geraschelt und diesmal ist auch der Mann nicht ohne Regung gebliebet 1'
Ob sie durch die letzten Worte des Briefes hervorgerufen ist, die D 111
durch das Gedächtniss geglitten' sind? Wenn er nach dem, was jene'
Andere seine eigenste Wirklichkeit nennt, in sich selbst sucht, wie sieh
sie aus, diese Wirklichkeit, in dem neuen grellen Licht, das der Bri et
über sie wirft! Mit einem schwachen müden Stöhnen ist sein Kopf zU
Seite auf das Kissen geglitten und trifft sich wunderlich genug in diese'
Bewegung mit dem der alten Frau. Vielleicht, dass sie derselbe Gedank e
berührt hat, vielleicht dass die Reue, die das Glück des durch ihre Vef'
einigung Enterbten nicht kennt, sie selbst an ihrem Ende heimsucht. D' e
Köpfe der Greise mögen, an einander gelehnt, von dem gleichen lang'
samen Gedankenstrom durchzogen werden, dessen Quelle um fünfzig Jaln e
rückwärts liegt.

Zuerst die Auftritte, die jenem des Weihnachtsabends gefolgt sind-
Die rücksichtslose Ueberzeugung des Mannes von ihrer und seiner Unehr e>
seine gebieterischen, harten Worte, die die Frau mit Trotz und Vef'
achtung erfüllten, dass sie keine Erwiderung der Mühe werth hielt und
überzeugt blieb, den verloren zu haben, der solchen Zweifel zu fassef
fähig war. Es sollte Alles zu Ende sein, so hatte er gesagt, und si e
mochle nicht widersprechen.

Dann eine kalte förmliche Vereinigung. Sie wollten beisammen
bleiben, sie wollten der Welt kein Schauspiel geben. Sie waren aU s
einer Zeit, die straffe, bürgerliche Zucht aufrecht hielt, und oftmals spätei
blickten sie geringschätzig auf die jungen Leute herab, die wegen ähß'
licher Ursachen auseinandergingen.

Und in diesem äusserlich correcten Dasein ein heisser Kampf dei
inneren Triebe, bevor sie aus dem Stromschnellengebiet der Liebe, Trot2>
Verachtung, Mitleid allgemach in den breiten Fluss der Gewohnheit g e'
trieben waren, in dem nichts mehr sie bewegte.

Bis sich nun am Ende gezeigt, dass all’ ihr Leben ein Irrthum g e'
wesen, den s i e unaufgeklärt gelassen und dessen Aufklärung e r durch
seine Haltung vereitelt.

Irrthum! Ist-.es denn möglich, ist es denn von Gott erlaubt, dass eiP
Irrthum diese Folgen habe! Es geht jetzt nicht mehr sie, die beiden Altem
an, sie denken daran, dass schon eine Generation über diesen verjährteH
Irrthum hinweggestorben. Er, der sie für das Kind eines Andern gehalteU
und sie, die seinen Glauben nicht zerstört, sie denken ihrer Tochter.

Das Alles ist Vergangenheit, an der nichts mehr gut zu machen. Wa s
ihnen an Kraft bleibt, geloben sie der Zukunft zu widmen, die sie in deifl
jungen Kinde, ihrer Tochter, sehen.

Die Thür geht auf, und sie sehen sie, die ihnen in’s Speisezimmer 2 U
kommen winkt.

„Das lichte Kleid faltig um den schlanken Arm, den zarten Hals, eng
geschmiegt um die Hüften, eine mattgelbe Rose in dem dunkeln Haar, uH 1
den Mund und in den Augen ihr wunderbares Lächeln und ihre weiss e-
kleine Hand mir entgegenstreckt“ so murmelt der Alte. So war ja auci 1
sie einst. Sie fühlt, was er meint und streichelt seine Hand mit ihreU
leichten, leis zitternden Greisinnenfingern.

Beide blinzeln schweigend zu dem jungen Mädchen hinüber, die
der Lichtwelle. der offenen Thür steht und das Halbdunkel der GrosselterU
schwach unterscheidet.

„Die meisten Kerzen am Baum sind herabgebrannt,“ sagt sie.
wird dunkel; kommt herein.“

Als sie keine Antwort erhält, bleibt sie stehen und lächelt dem Friedei 1
des Alters zu.

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