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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [8]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0224

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MODERNE KUNST,

133

^' ch in die beste Gesellschaft kommen. Und da er furchtbar reich ist
l"id der junge ungeheuer verwöhnt sein soll, so wird Papa wohl seinet-
Wegen . .

Leo lachte grimmig.

„Aha, darum die Tapezierer und das Blumenmuster! Na, mir soll’s
rpcht sein. Ich nehme ihn doch nicht!“

„Aber Du hast ihn doch noch gar nicht gesehen!“.

„Ganz egal! Ich heirathe überhaupt nicht!“

„Oh, Leo, wenn Papa es wirklich will ..."

„Lass ihn wollen! er wird schon sehen, wer nicht will. Darum ängstige
^' ch nicht, Mama. Das geht Dich gar nichts an. Lass den Tapezierer
rUhig kleben; gleichgültig, warum Papa ihn kleben lässt. Wenigstens
"'erden wir bei der Gelegenheit ein paar anständige Stuben . . .“

Sie vollendete nicht. Mia kam um das Haus gerannt, ein dampfendes

fj

ernd in der Hand tragend. Denn heute war Herrn von Roeholls Leib-
' väsche an der Reihe.

„Tante!“ rief sie schon von Weitem. „Die Tapezierer haben die
'ttimer ausgeräumt, und nun ist Möbelhändler Mertens mit einem grossen
^agen voll Möbel gekommen. Er fragt, wohin er sie stellen soll.“

Frau Amalie fuhr zu ihr herum.

„Möbel? Was für Möbel?“

„Nussbaum, Tante! Mit prachtvollen Säulen! Er sagt, Onkel habe
Sle selbst ausgesucht!“

Frau Amalie erwiderte nichts. Sie biss mechanisch in die Birne, die
s' e noch immer in der Hand hielt. Die Birne war sehr saftig und sehr
shss, dennoch schmeckte sie Frau Amalie saurer, als der-sauerste Apfel.
^' e warf sie fort. Dann richtete sie einen verzweifelten Blick nach der
^Pitze des Birnbaums.

„Oh, Leo, was soll ich thun? Was kann ich thun?“

Leo glitt eilig am Stamm des Baumes herunter zur Erde.

„Was Du thun kannst?“ wiederholte sie spöttisch. „Du kannst die
^öbel vorläufig in eine leere Scheune stellen lassen. Oder noch besser,
' ch werde es selbst besorgen. Biin so wie so doch neugierig, wie hoch
^ apa Herrn Wichers'junior taxirt hat!“

„Du glaubst also wirklich, dass Papa es deshalb . . .?“

Leo lachte kurz und bitter auf.

„Was kümmert’s mich? Und was machst Du Dir unnütze Sorgen
h^i'um? Die Tapezierer sind da, die Möbel sind da, basta! Nimm, was
u kriegen kannst!“

Sie schritt voran. Frau Amalie folgte mit gesenktem Haupte. Dann
mit dem Hemde des Onkels.

Eine Viertelstunde später kehrte Leo in den Garten zurück. Sie ging
'U langen, wuchtigen Schritten, geballten Händen und finster zusammen-
Stzogenen Augenbrauen. Die Möbel waren entschieden prachtvoll, mit
e'nem Worte luxuriös. Papa hatte Herrn Wichers junior zweifellos sehr,
Sehr hoch taxirt. Aber Leo hatte er dennoch zu niedrig taxirt. Niemals
' vP''de sie nachgeben, niemals in das Lächerliche, Dumme, in das Ab-
!s°heuliche willigen. — Heirathen? Niemals!

Plötzlich stutzte sie und blieb stehcn. Unter dem Birnbaum sass ein
ensch. Sein Gesicht wurde durch einen hellgrauen, breitrandigen Filz-
völlig verdeckt, seine Beine lagen lang im Grase ausgestreckt, und
^üe behandschuhten Hände liessen Birnen in eine unsichtbare Oeffnung
erschwinden, fast maschinenmässig.

Leo war heute nicht sonderlich zu Liebenswürdigkeiten aufgelegt.

Mif-

1 ein paar Schritten war sie bei ihm.

„He, Sie!“ schrie sie ihn an. „Wer hat Ihnen das eigentlich erlaubt?“
Die Beine im Grase fuhren zusammen, und unter dem Filzhut tauchte
ltle blaue Brille und ein brauner Vollbart auf. Er war sehr schön, dieser

:Vo

hut

S,

°Mbart. Leo bemerkte es trotz ihrer Missstimmung. Er glänzte in der
° nne wie Dukatengold.

I „Wer es mir erlaubt hat?“ wiederholte der Fremde, ruhig sitzen
e'bend. „Es war Niemand da, den ich hätte fragen können. Aber trotz-

ertl -— die Birnen sind gut. Selbst in Californien habe ich nicht so
Saft;

'ge gegessen. Eine gefällig?“

Er suchte eine besonders i'eife aus und hielt sie ihr hin. Seine Zähne

schimmerten beim Sprechen durch den Schnurrbart. Sie waren sehr schön,
diese Zähne. Sie blitzten in der Sonne wie polirtes Elfenbein.

Leo musste unwillkürlich lachen.

„Danke!“ entgegnete sie weniger abweisend als vorhin. „Auch für Ihre
Anerkennung. Aber haben Sie sie in Californien auch so gegessen, so . . .?“

Sie ahmte die Bewegung eines Menschen nach, der heimlich etwas in
die Tasche steckt. Der Unbekannte nickte gleichmüthig.

„Mal so, mal so!“ erwiderte er kauend. „Hatte man Geld, so bezahlte
man, hatte man keins, so . . .“

„So stahl man!“ fiel Leo spöttisch ein. „Augenblicklich haben Sie
wohl keins, wie?“

Er streifte langsam den Handschuh von der Rechten und griflf in die
Brusttasche. Sie war nicht sehr schön, diese Hand. Sie war zu breit
und zu nervig dazu. Sie sah aus, wie ein eiserner Hammer.

„Ah, Sie wollen Geld!“ sagte der Fremde nachlässig. „Richtig, ich
bin ja auf dem Territorium des Herrn von Rocholl. Ich habe sieben
Stück gehabt. Kosten?“

Seine Ironie trieb Leo das Blut in’s Gesicht.

„Hier ist kein Jahrmarkt!“ rief sie, zornig aufstampfend. „Und wenn
Sie tausendmal auf Papa’s Territorium sind! Ueberhaupt, wenn man an
Jemandes Tische gesessen hat, — und Sie sitzen an Papa’s Tische! — so . . .“

„So macht man hinterher das Essen nicht schlecht!“ vollendete Jener
mit unerschütterlicher Gemüthsruhe, während er langsam die Brille abnahm
und das junge Mädchen lächelnd betrachtete. „Sie haben vollkommen
Recht, mein Fräulein. Aber ich thue das ja gar nicht, was Sie mir vor-
werfen. Die Birnen sind wirklich ausgezeichnet. Würden Sie mir nicht
noch einige schenken?“

Leo starrte ihm wüthend in die Augen. Sie waren blau, diese Augen.
Etwas Weiches, Gutmüthiges, Träumerisches war darin, das seltsam zu
seinem Spott contrastirte. Aber was kümmerte sich Leo um Männeraugen?

„Bitte!“ sagte sie höhnisch. Wenn Sie noch Hunger haben — be-
dienen Sie sich, wie in Californien! Genügt ein halbes Dutzend? Na,
dann stören Sie mich gefälligst nicht länger. Ich habe zu thun. Mahlzeit!“

Sie machte ihm einen spöttischen Knicks, warf ihm das halbe Dutzend
in den Schooss, drehte ihm dann ostentativ den Rücken und begann eifrig
Birnen aufzulesen.

Er stand auf und holte dienstbeflissen den Waschkorb herbei, der am
Rande des Rasenplatzes stand.

„Sie gestatten doch, dass ich Ihnen ein wenig hehilflich bin?“ fragte
er dann mit einer chevaleresken Verbeugung, die Antwort auf ihren Knicks.
„Das Bücken wird mir gut thun. Mein Arzt behauptet ohnehin, dass ich
zu stark werde!“

Leo fuhr zu ihm herum, um ihm das Kräftigste an den Kopf zu
werfen, das sie auf Lager hatte. Unwillkürlich schweifte dabei ihr Blick
über seine Gestalt, die Gestalt eines Mannes ungefähr Mitte der Dreissig.
Leo erinnerte sich nicht, selbst unter den Gai'deoffizieren, die im vorigen
Jahre auf Rochollshof im Quartier gelegen hatten, eine so manneskräftige,
reckenhafte Gestalt gesehen zu haben. Aber was kümmerten sie Männer-
gestalten?

Dennoch erwiderte sie nichts. Sie behielt ihr Kräftigstes auf Lager.
Kam’s daher, dass sie wicder seinen Augen begegnet war, diesen Augen,
die sie eben so seltsam treuherzig, fast bittend angesehen hatten?

Sie sammelten eine Weile schweigend Birnen in den Waschkorb.

„Sind Sie immer so böse, Fräulein?“ fragte der Fremde dann, da sie
Beide nach derselben Birne griflfen. „Ich finde es sehr nett. Es steht
Ihnen gut und für mich speciell ist’s eine frische, reizvolle Abwechselung
nach dem raffinirten Flirt der Modedamen über dem grossen Wasser.
Ich komme nämlich direct aus Amerika!“

Leo hatte sich eigentlich fest vorgenommen, ihn consequent zu
ignoriren. Dennoch weckte seine Bemerkung ihr Interesse.

„So?“ sagte sie möglichst gleichgiltig. „Haben Sie da vielleicht meinen
Onkel kennen gelernt? Er soll vor ungefähr achtzehn Jahren nach Amerika
ausgewandert sein!“

„Ah! Und wie hiess er? Was war er?“

Leo zuckte geringschätzig die Achseln.

„Ein durchgebrannter Lieutenant; eine Art von Taugenichts! Er hies§
Fritz von Rocholl!“

IX. 9. II.
 
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