Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

DOI Artikel:
Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [8]: humoristischer Roman
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0225

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
134

MODERNE KUNST.

Sie sah ihn gespannt an. Er dachte einen Augenblick nach, dann
wiegte er bedauernd den Kopf.

„Keine Ahnung! Wer kann auch in Amerika alle Taugenichtse kennen!
Es giebt dort eine ganze Menge. Aber es ist mir trotzdem interessant,
es gewährt mir einen kleinen Einblick in die Verhältnisse hier. lch werde
nämlich mit Herrn von Rocholl, also Ihrem Papa, zu thun haben, vielleicht
nur geschäftlich, vielleicht auch familiär, und da ich so lange ausserhalb
Deutschlands war, so würde mir eine kleine Information ganz willkommen
sein. Man stösst dann nicht so leicht an, wissen Sie, und man findet sich
schneller in einander! Herr von Rocholl ist wohl sehr reich, wie?

In Leo dämmerte eine Ahnung auf. Der Mann da war lange ausser-
Iialb Deutschlands gewesen, er hatte in der ganzen Welt nicht so saftige
Birnen gegessen, und er wiirde mit Papa vielleicht familiär zu thun haben!
Und drinnen im Hause klebten die Tapezierer das Blumenmuster auf, und
in der Scheune standen die prachtvollen Nussbaummöbel mit den Säulen!

Gewiss, auf den ersten Blick erschien der Mann als ein geborener
Aristokrat; aber seine Hände verriethen ihn, diese breiten, nervigen
Arbeiterhände des Parvenus!

Ein boshaftes Lächeln flog über Leo’s Gesicht, dann wurde es wieder
ungeheuer ernst.

„Reich?“ entgegnete sie mit einem tiefen sorgenvollen Seufzer. „Ganz
und gar nicht. Wir sind arm, wie Kirchenmäuse. Papa nennt uns selbst
,elende Hungerleider 1!“

Er machte ein erstauntes Gesicht. •

„Was Sie sagen! Aber er hat doch, soviel ich gehört habe, seinen
Besitz bedeutend vergrössert, indem er Templin und Amalienruh zum
Rochollshof hinzugekauft hat!“

Leo seufzte noch tiefer.

„Das ist ja gerade das Unglück! Den Rochollshof allein hätte er gut
und gerne durchgebracht; aber da kam sein altadeliger Familienstolz dazu.
Er musste alles in seiner Hand vereinigen, was den Rocholls früher ein-
mal gehört hat, und nun geht’s bei den schlechten Zeiten natürlich nicht
so weiter; nun pfeifen wir auf dem letzten Loche. So!“

Sie stiess einen schrillen Pfiff aus und wandte sich dann plötzlich mit
einem mühsam unterdrückten Schluchzen von ihm ab. Nie zuvor war ihr
das Hungerloos der Rocholl’s in einem so schmerzenden, grellen Lichte
erschienen, als jetzt, da sie zu ihrer Vertheidigung gewissermaassen ge-
zwungen war, mit ihm zu renommiren.

Der Fremde trat theilnehmend ein wenig von ihr zurück.

„Oh! Oh! Das thut mir aber sehr leid!“ sagte er nach einer kleinen
Weile mit seltsam weicher Stimme. „Lässt sich denn da gar nichts thun?“

Leo fuhr empört auf.

„Thun? Oh, Papa thut gerade genug! Aber es gelingt ihm nichts.
Erst hat er Otti — meine Schwester! — an den Amtsrichter Martius ver-
heirathet. Er hielt ihn für einen reichen Mann, war er doch der Sohn
des Geheimen Commerzienraths Martius, des Grossindustriellen. Aber
nach der Hochzeit machte der Herr Geheimrath Pleite und mit dem vielen
erhofften Gelde war’s nichts. Und nun — nun hat der aristokratische
Freiherr von Rocholl auf Rochollshof, Templin und Amalienruh heute
Tapezierer und Möbel geschickt, um möglichst wohlhabend zu erscheinen.
Denn er hat ja noch eine Tochter; jawohl, mein Herr, eine Tochter Leo!
Das bin ich!“

Sie machte ihm abermals einen wüthenden Knicks. Er zog höflich
den Hut.

„Sehr angenehm! Und eine reizende Tochter! Hauptsächlich, wenn
sie zornig ist!“

Sie hörte nicht auf ihn.

„Und da ist nun in der Stadt solch’ ein reicher Parvenu, der gern in
die vornehme Gesellschaft kommen möchte. Weiss Gott, was er früher
war; jetzt ist er ein Herr Bankier. Gott, was nennt sich heutzutage alles
Bankier! Aber er ist reich, und das geniigt für den Freiherrn von Rocholl.
Und er hat einen Sohn, der ihn einmal beerben wird. Der Sohn hat eine
sogenannte feine Erziehung erhalten und ist wie ein Zigeuner durch die
ganze Welt vagabundirt — wie Sie, mein Herr! Und nun kommt der Herr
Sohn zuriick und will heirathen. Natürlich ein recht adeliges Fräulein —
wie mich. Er beredet sich also rnit den Alten und da er gehört hat, dass
das Fräulein ihren Kopf für sich hat und überhaupt nicht heirathen will,

so denkt er sich e;anz fein einen Roman aus und arrangirt ein g an"

. . c;e 11,1

fälliges, höchst romantisches Zusammentreffen mit ihr, wissen ’ ,

I ],.rr-

Freien, beim Obstpflücken, unter'm Birnbaum — auch wie Sie, mem ^ ^
Aber das Mädel ist nicht ganz so dumrn, wie er es sich wahrschein ^
vorgestellt hat. Sie riecht Lunte und da sie absolut keine Anlag e
Romantik hat, so . . wissen Sie, was sie thut?“

Sie ballte die Hände und lachte ihm höhnisch in's Gesicht.

„Nun?“

„Sie theilt ihin höflichst mit, dass sie kein Sack Roggen ist, den 111

beliebig verschachern kann; dass sie für jetzt und immer daraut '

und

zichtet, seine innigst geliebte, angebetete Frau Gemahlin zu werden,
dass sie ..." Sie erstickte das übrige durch eines ihrer Zopfenden'- ^ al
fuhr sie ungeheuer ruhig fort: „Na, und nun steht er da, der romanti 5
Herr Weltumsegler und Ritter vom Geldschrank! Wissen Sie, wie el
steht? Wie Sie, mein Herr . . . mein Herr Anton Wichers in r 11

lass efl

crUt'

Wichers & Sohn, Bankhaus und Getreidehandlung! — So! Und nun

sich

Gesi cht

Sie sich diese saftigen und süssen Rochollshofer Birnen weiter s
schmecken! Mahlzeit!“

Sie liess ihre Augen mit spöttischem Triumph über ihn hinblitz e
machte ihm abermals einen tiefen Knicks, — den dritten — drehte
schroff auf dem Absatz herum, dass ihre Zopfenden ihm um
flogen, hob den Waschkorb mit beiden Händen auf und ging lang s
Schritt vor Schritt mit hocherhobenem Haupte in’s Haus.

Fünf Minuten später sass sie in der Obstkanuner auf einem nn’V^
stülpten Apfelkasten und lachte . . lachte . . Und dennoch — seltsä 1’ 1
Es war ihr nun doch nicht mehr so triumphirend zu Muthe.

aiiu

a&'

„Leo! Leo! Aber eben warst Du doch noch hier, und nun . • ■“

Frau Amalie ging rufend und suchend durch den Garten. Aus ^ e
versteckten Gaisblattlaube an der Rückwand des Hauses trat ein Manfl*

„Leo ist vor ungefähr fünf Minuten mit dem Waschkorb in's H aU
gegangen!“ beschied er. „Sie wird wohl in der Obstkammer sein!“

fl

Frau Amalie wandte sich mechanisch zu ihm und ihre Augen strei'
wie. traumverloren sein Gesicht, auf dem die blaue Brille thronte.

„Ja, das wird sie wohl!“ erwiderte Frau von Rocholl ohne eine Sp 11
von Verwunderung über die Anwesenheit eines Fremden. „Oh, eS 1
schrecklieh! — Hm, dann werde ich sie wohl in der Obstkammer such el
müssen!“

Sie strich sich zerstreut über die Stirn und wandte sich dem Ha l1
wieder zu. Der Frernde sah ihr einen Augenblick nach, dann nahiu
die Brille ab.

„Malchen! Malchen Lehnhardt!“

...te

Frau Arnalie zuckte zusammen. Und fuhr zu ihm herum. Undsta 11
ihn an.

„Fritz!“ schrie sie plötzlich auf. „Fritz, Du?!“

Sie stürzte in seine Arme. Und Fritz von Rocholl hielt sie 'fest atl
seine Brust gedriickt und führte sie schnell und ein wenig scheu 111 lh
Laube auf eine Bank und setzte sich neben sie.

Frau Amalie brach in Weinen aus.

„Oh, Fritz! Denke Dir, er hat Tapezierer herausgeschickt, sie reis sCl

die Tapeten ab. Und prachtvolle Möbel mit Nussbäumsäulen, sie steh el

in der Scheune. Und eben ist auch noch Fräu Müller, die Daff el1

schneiderin, mit zwei Nähmädchen gekommen, um uns allen Kleidef 3,1

Me

zumessen. Winand hat die Stoffe selbst ausgesucht, — oh Gott,
theuersten, die es giebt! Wo soll ich sie nur alle unterbringen?“

Siebentes Capitel.

Trotz aller Bitten Frau Amalien's war Fritz von Rocholl nicht
Rochollshof geblieben.

„Wi.nand soll es überhaupt noch nicht wissen, dass ich zut‘ u

iP»

:h

ll

gekommen bin!“ hatte er beim Scheiden gesagt. „Nicht, dass ich 111111

zu scheuen hätte, so, wie ich bin, vor ihn zu treten. Es ist mir persöiih 6

in letzter Zeit sehr gut gegangen. Ich darf mich sogar einen wohlhab e' llh "

Mann nennen. Aber ich will Rache an Winand nehmen. Eine Ra chC

*

nach meiner Art. Du weisst, wie er mich damals behandelt hat, wi e
sich iiber meine Leidenschaft ftir die Naturwissenschaften lustig g ernaL
 
Annotationen