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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [10]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0255

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MODERNE KUNST.

165

kalt zu stellen; denn man „tafelte“ jetzt auf dem Rochollshof. Als er in
das Speisezi nmer trat, legte Frau Amalie gerade die neuen Mcsserböckchen
zurecht. Sie schaute ein wenig ängstlich aus dem Lidwinkel zu ihm auf
und sah, dass er lautlos in sich hineinlachte.

„Oh, Winand,“ stammelte sie mit leise durchschimmerndem Vorwurf,
„Du lachst?“

Er machte ein beinahe schadenfrohes Gesicht.

„Nattirlich lache ich!“ entgegnete er und berichtete ihr dann die kleine
Scene. „Du hättest ihn sehen sollen, wie er dem Mädel auf dem Leim
ging und wie verblüfft er dann aussah. Dumm, einfach dunnn!“

Frau Amalie sah nun ebentalls ein wenig verblüfft aus.

„Du glaubst, dass er dumm ist?“

Er nickte.

„Stockdumm!“

Sie staunte ihn an.

„Mir machte er auch den Eindruck!“ meinte sie zaghaft. „Und dann
schien’s mir auch so, dass er . . . ich dachte, er . . .“

„Nun?“

„Oh, Winand, er . . . ist er nicht auch ein Bischen so . . . so geckenhaft?“
Wieder nickte W'inand schmunzelnd.

„Ein completer Geck!“

Frau Amalie wich unwillkürlich von ihm zur Seite.

„Und doch hast Du ihn . . .?“

Er sah ihr ruhig in die verwunderten Augen, dann zuckte er gleich-
müthig die Achseln.

„Mein Gott, ich hatte es eben dem Alten schon lange versprochen.
Eine gute Partie ist der Junge ja. Aber selbstverständlich kann Leo frei
wählen. Gefällt er ihr, bon; gefällt er ihr nicht, auch bon. Mir ist Alles
recht. Meine Mädel brauchen nicht nach Geld . . .“

Er verschluckte das Uebrige mit einem pfiffigen Augenzwinkern. Er
dachte an den Inhalt des Geheimfachs in dem alten Secretair. Dann
schlich er sich leise hinter Malchen, die sich wieder mit den Messer-
böckchen beschäftigte, und küsste. Er küsste sie jetzt überhaupt bei
jeder Gelegenheit.

Und dann legte er den Rothwein auf's Eis und stellte den Rheinwein
in die Sonnc.

Zur Mittagstafel erschicn Leo in ihrem gewöhnlichen Nesselcostüm.
„Aber, Lco, Mädel!“ rief Herr von Rocholl mit strengem Gesicht
und lus.tig blinzelnden Augen. „Das ist denn doch zu stark, dass
Du . . .“

Herr Anton Wichers küsste ihr bereits die Hand.

„Ich bitte Herr Baron, hochvornehm ist's!“ entgegncte er an ihrer
Statt. „Und magnifiqüe Iiebenswiirdig. Man empfängt seine Gäste en petite
tenue, um ihnen anzudeuten; dass- sie sieh ganz en famillc fühlen sollen.
Nicht wahr, mein gnädiges Fräulein?“

Leo erwiderte nichts. Sie sprach während des Essens überhaupt kein
W’ort. Es war, als ob das Monocle auf dem Stuhl neben ihr gar nicht
vorhanden wäre. Erst beim Dessert horchte sie auf. Herr Anton Whchers
erzählte von seinen Weltreisen. Er hatte halb Asien zu Pferde durch-
streift und war Dank seiner Reitkunst allen Verfolgungen von Arabern,
Tscherkessen und Tartaren entronnen.

In Leo’s Augen blitzte es auf.

„Sie lieben den Sport?“

Er reckte sich hoch empor.'

„Nur den Sport, Gnädigste! Durch ihn allein unterscheidet sich ja
ein Gentleman von Sonntagsreitern, Sonntagsjägtrn, Sonntagsruderern
und Sonntagstouristen!“

Leo lachte kichernd und betrachtete seine weissen, weibischen Hände
mit den langen Nägeln.

„Ja ja, durch nichts sonst! Gott sei Dank, dass heute nicht Sonntag
ist! Wie wär's Papa, wenn Du uns zum Nachmittag Deine beiden Reit-
pferde liehest?“

Herr von Rocholl nickte zustimmend, und Herr Anton Wichers fuhr
enthusiasmirt in die Höhe.

„Sie reiten, gnädiges Fräulein?“

Sie schlug vor seinem Monocle die Augen nieder.

„Nur ein ganz klein wenig! Äber wenn es hübsch langsam ginge, und
Sie mich ein Bischen anleiten würden . . .“

„Mit Vergnügen! Kenne Reitsport ganz genau! Habe ja in Amerika
berühmtesten Cowboy um drei Nasenlängen geschlagen!“

Eine Stunde später fitten sie neben einander zum Hofthor hinaus:
Herr Anton Wichers im Frack, Cylinder und glanzledernen Reitstiefeln
mit silbernen Sporen auf Herrn von Rocholl’s jungem, feurigen Rapp-
hengste Rhadamant, und Leo in dem ehemaligen Reitkleide ihrer Mutter,
das seit deren erstem misslungenen Versuch in einem Ivoffer geschlummert
hatte, auf Lisa, der englischen Halbblutstute.

Herr Anton Wichers lächelte fortwährend, überlegen, selbstbewusst
und pädagogenhaft, während er Leo anleitete. Bis sie an eine Biegung
der Strasse gelangten. Ein schmalcr Graben trennte sie von einem harten
Stoppelacker, der seine kräftigen Erdwellen bis zu einem fernen Walde
hinzu, bergauf, bergab, thalein, thalaus.

Leo kitzelte Lisa's Flanke mit dem Absatz und Lisa begann zu
tänzeln.

„Nur reclit vorsichtig und hiibsch langsam, Gnädigste!“ sagte Herr
Anton Wichers zusammenschreckend. „Ich würde es nie verantworten
können, wenn Ihnen ein Unglück zustiesse!“

Um Leo’s Lippen zuckte ein boshaftes Lächeln. Sie richtete sich im
Sattel auf und hob die dünne Reitgerte.

„Wenn nur die infamen Bremsen nicht wären!“ stiess sie in einem
weinerlich ängstlichen Tone heraus. „Sie machen die Pferde ganz auf-
geregt. Da ist wieder eine; auf Rliadamants Schenkel! Willst Du wohl,
Du Blutsauger!“

Die Gerte sauste klatschend nieder. Es war der erste Schlag, den
Rhadamant seit langer Zeit empfangen. Schnaubend stieg er vorn in die
Höhe und Herr Anton Wichers rutschte kreidebleich nach hinten. Dann
nahm der Rappc den Graben mit einem gewaltigen Satze und Herr Anton
Wichers rutschte wieder nach vorn mit einem unartikulirten Aufschrei.
Und das Stoppelfeld flog unter ihm dahin, bergauf, bergab, thalein,
thalaus.

„Bravo!“ schrie Leo und klatschte in die Hände. „Grandios! Nur
recht vorsichtig und hübsch langsam, Gnädigster! Ich wtirde es nie ver-
antworten können, wenn Ihnen ein Unglück zustiesse!“

Herr Anton Wichers drehte sich nicht um, sondern umklammerte
Rhadamants Hals mit beiden Armen.

Leo aber bearbeitete Lisa mit Reitgerte und Absatz, und Lisa nahm
das Rennen auf; bergauf, bergab; thalein, thalaus.

„Heissa! Hussa!“

I'ort von dem Kleinlichen, Verhassten des Tages, von dem jämmer-
lichen Einerlei des Rochollshofes in die blaue, lachende, weithin sich
dehnende Welt hinein!

„Heissa! Hussa!“

Vorüber an Rhadamants Spuren: an dem verknüllten, geplatzten
Cylinder, an der eleganten, zerbrochenen Reitpeitsche, an dem verbogenen,
silbernen Sporn! Um die Ecke des Waldes! Vorüber an dem zweiten
silbernen Sporn, an Rhadamants verlorenem Sattel!

Nun über weichen, frischgepflügten Acker, auf die glitzernde Linie
dort zu, den Fluss!

Der Fluss!

Leo fuhr zusammen und erblasste jäh. Sie hatte nicht an den Fluss
gedacht, der sich quer durch das Gelände zog in breitem Bett und steilen
Ufern. Und Rhadamant raste gerade auf ihn los.

Sie stiess einen Ton des Entsetzens aus. Dann sauste die Gerte
nieder, auf Lisa's Schenkel, Flanken, I Ials und Kopf.

Vergebens; die Entfernung zwischen ihr und Rhadamant verkürzte
sich kaum; die glitzernde Wasserlinie rückte näher und näher.

Leo biss die Lippen blutig und schloss die Augen. Sie wollte das
Entsetzliche nicht sehen. Erst der Ton ein£r fremden Stimme liess sie
wieder aufblicken.

Aus dem kleinen Gebüsch kurz vor Rhadamant stürzte ein Mann her-
aus und fiel dem Pferde in den Zügel. Der Kopf des Thieres bog sich
herab, die hohe Gestalt des Mannes mit sich fortschleifend.

„Arme und Hacken los!“ tönte es zu Leo hinüber. „Und herunter . .
hinten . . von dem Gaul!“

[Fortsetzung aut Seite 168.J
 
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