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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Schumacher, Heinrich Vollrat: Das Hungerloos, [12]: humoristischer Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0288

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MODERNE KUNST.

99

' v’ enn er erfährt — ja so, das Ehrenwort! Willst Du nun einsteigen
0(Jer nicht?“

Wieder erröthete Mia.

„Ich . . Könnte der HerrDoctor nicht kutschiren und ich hinten mitDir..?“
Leo kicherte vergnügt.

„Unmöglich! Der Doctor hat bereits seine weissen Glacöhandschuhe an
l|nd ausserdem — in meinem Leben gebe ich kein Ehrenwort wieder! Steig’
^’f, oder — mein Ehrenwort! ■—ich breche es, jetzt, hier, auf der Stelle!“
Mia gehorchte endlich und setzte sich zaghaft zu dem Phildoctor in
(Hn Fonds. Und so sassen sie neben einander, er ganz links und sie
§änz rechts, und des Doctors dicker Winterhavelock mit dem Otterpelz-
' iragen — über einen Sommerüberzieher verftigte er nicht — lag zwischen
'hnen, wie einst die Mauer zwischen Pyramus und Thisbe.

Dann fuhren sie weiter, nur ganz langsam,, Schritt für Schritt. Und
^•eo kicherte fortwährend in sich hinein, und die Sonne brannte sengend
vom Himmel herab und Niemand sprach ein Wort.

Bis Leo ärgerlich wurde. Sie hielt das Pferd an, schauerte ostentativ
D sich zusammen und klapperte noch ostentativer
’hit den Zähnen.

„Ich weiss nicht“, hüstelte sie, „mir ist mit
®inem Male so . . ich glaube, es zieht! Möchten
Sie mir nicht Ihren Havelock ein wenig borgen,

^octor?“

Mia und Hans Seegebusch schauten ihr ver-
'Vundert in das ihnen zugeneigte, ungeheuer ernste
'Jnd ungeheuer erhitzte Gesicht. Leo aber wartete
die Antwort nicht ab, sondern ergriff den Havelock
l'nd zog ihn an. Und den schweren Otterpelzkragen
^chlug sie in die Höhe.

„So! Ihr könnt’ nun schwatzen, was Ihr wollt!

^ch höre keinen Ton! — Immer langsam voran,

^rauner!“

Doch sie schwatztcn nicht; sie waren furchtbar
Verlegen. Der Doctor starrte steif auf das Rüben-
ield links und Mia auf den Stoppelacker rechts.

Als das steinerne Hofthor von Rochollshof in
Sicht kam, hielt Leo zum dritten Male an, zog den
Havelock aus und warf ihn unmuthig über den
Hutschbock.

„Wissen Sie, Doctor, was Sie sind?“ fuhr sie
Plötzlich herum. „Ein Ekel sind Sie! Glauben Sie,
dass es ein besonderer Genuss für mich ist, mich
bei vierundzwanzig Grad im Schatten wie in einem

Die letzten Gäste.

^ochtopf schmoren zu lassen? Ja, wenn noch was

dabei herauskäme! Aber Sie reden ja kein Wort. Herrgott, wenn ich an
ihrer Stelle wäre, ich wollte dem Mädel da neben Ihnen schon sagen, dass
ieh . . Na, ja! ja! ja! Ihr habt mir den Mund schön zugepflastert mit
Eurem Siegel der Verschwiegenheit. Meinetwegen! Thut, was Ihr wollt!
Aber das sage ich Euch, nicht einen Schritt lasse ich den Braunen von
der Stelle gehen, bis es klipp und klar ist! Ich habe Zeit!“

Sie steckte die Peitsche in das Futteral und setzte sich brcitspurig
^Urecht. Der Doctor wurde roth und sah Mia schüchtern von der Seite
än. Und auch Mia wurde roth und wusste nicht, wohin sie blicken sollte.
„Oh Leo“, stammelte sie, „Qnkel erwartet uns doch!“

Leo zuckte auf.

„Papa! Gut, dass Du rnich an ihn erinnerst! — Wissen Sie, Doctor“,
führ sie mit einem verschmitzten Lächeln fort, „was Papa glaubt? Er
Slaubt, dass wir, Sie und ich, in einander bis über die Ohren verschossen
s>nd. Sind wir das?“

Hans Seegebusch hüstelte verlegen.

„Aber Fräulein Leo!“

„Ja oder nein?“

„N—nein!“

Leo nickte triumphirend.

„Hörst Du’s, Mia? Nein hat er gestottert! — Wie aber nun, werden
S*e sich nachher von Papa kaltlächelnd mit mir verloben lassen? Denn
^as will Papa. Was werden Sie dann sagen?“

Hans Seegebusch sah Mia ein wenig kühner von der Seite an und
rückte ihr ein wenig näher.

„Dann werde ich ihm sagen ..." sagte er; weiter nichts. Denn
Mia hatte sich noch ängstlicher in ihre Ecke gedrückt.

Leo sah Beide eine Sekunde lang gross an. Dann riss sie jählings
die Peitsche aus dem Futteral und hieb dem Braunen eines über, dass er
einen entsetzten Satz nach vorn machte. Die Beiden hinten im Fonds aber
fuhren mit den Köpfen gegeneinander, und Doctor Hans Seegebusch wurde
mit einem Male ganz kühn.

„Mia!“ sagte er leise und hielt ihre zitternde Gestalt fest. „Fräulein
Mia, darf ich . .?“

Mia brach in Schluchzen aus, aber sie rutschte nicht wieder in ihre Ecke.

„Oh, Leo!“

„Urisinn!“ lachte diese und hielt gerade vor dem Thorbogen den
Braunen zum vierten Male an. „Oh, Hans! heisst’s. Natürlich dürfen Sie,
Doctor! Ich seh's nicht!“

Dann, nachdem ein gewisses Geräusch — die Liebeserklärung des
Phildoctors — an ihr Ohr gedrungen, sank sie wie
erschöpft auf den Kutschbock zurück.

„Uff! Das hat schwer ge —“

Sie vollendete nicht. Wie aus dem Pflaster
des Thorwegs gewachsen stand die Gestalt des
Herrn von .Rocholl neben dem Wagen.

„Leo!“ rief er. „Nein, Mia! . . Doctor! Was . .?“
Leo war mit einem lustigen Gelächter bereits
vom Wagen gesprungen.

„Ja, Mia! Du wunderst Dich, Papa? Mein Gott,
damals in der Teufelshöhle war’s ein Irrthum,
während heute — heute ist’s Wahrheit. Denn
Doctor Hans Seegebusch und Mia Lehnhardt haben
sich eben verlobt. Steig’ aus, Mia und fall’ Deinern
Onkel um den Hals!“

„Ja, steig’ aus!“ wiederholte Herr von Rocholl
tonlos und seine Augen blickten melancholischer als
je. „Und Sie, Herr Doctor, bleiben Sie sitzen. Und
fahren Sie nach Amalienruh zurück. Es . . es . .“
Seine Stimme versagte, und sein Haupt sank
ihm auf die Brust.

„Papa!“ rief Leo bestürzt und eilte zu ihm hin.
„Aber es ist doch . . Du sagtest doch vorhin selbst. . .“
Er wehrte sie müde von sich ab.

„Frage nicht! Ich könnte es Dir jetzt docli
nicht sagen. Und Du, Mia, verzeih’ mir! Aber
es geht wirklich nicht. Es kann nichts aus dem
werden, was Ihr vielleicht gehofft habt. Und so . . .“ Er richtete sich
gewaltsam auf, fasste den Braunen am Kopfe, wendete den Wagen und
drückte dem erstarrt dasitzenden Phildoctor die Zügel in die Hand.
„Zürnen Sie mir, Herr Doctor; aber ich kann nicht anders. Ich muss Sie
sogar bitten, Ihre Stellung bei mir schon morgen zu verlassen. Nicht,
dass ich Ihre Dienste nicht zu schätzen wiisste. Aber unter diesen Um-
ständen . . es wird uns Allen leichter werden . . . Weine nicht, Mia!
Vielleicht, dass Du mich später verstehen wirst, wenn — mit Gott, Doctor!“

Er gab dem Braunen einen sanften Schlag, und der Wagen rollte
davon. Herr von Rocholl aber seufzte tief auf, warf noch einen scheuen
Blick über die beiden Mädchengestalten im Thorweg und schritt gesenkten
Hauptes querfeldein.

Leo aber hielt die weinende Mia fest an ihr Herz gedriickt und ballte
die Hand hinter ihrem Vater her.

„Als ob man ein Stück Holz wäre! Oh! Und sie sollen sich dennoch —
nun gerade!“

* *

Unmittelbar nach Herrn von Rocholl’s polnischem Bettelgange hatte
Oberinspector Brechtling den Rochollshof unauffällig verlassen, war in
sausendem Galopp nach Templin gefahren und hatte dort in fliegender
Hast die vier grossen Kisten, die seine Habseligkeiten enthielten, auf den
eigenhändig aus der Remise geschobenen leichten Jagdwagen geladen.
Dann hatte er das jüngste und schnellste Pferd aus dem Stalle davor-
 
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