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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Ewers, Ludwig: Lübeck
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0305

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214

MODERNE KUNST.

eins dieser Häuser betreten und staunend auf der mächtige 11 1111
Steinfliesen gepflasterten Diele verweilen, die von der Decke he 1^
in schweren Ketten hängende Waage, die breite Treppe mit d elfl
safrangelben Geländer bestaunen, die in der Höhe des erste' 1
Stockes herumlaufende Galerie, die in's Geviert einen freien P 3
zum zweiten Stock reichenden Raum abschliesst, durch den b lS
dicht iiber den Estrich der Diele das durch die sieben Böd el1
gehende, unterm Dach über ein Rad laufende Tau der Speich eI
winde herabhängt, mag man das aus dem Jahr 1478 stammenu e
Holstenthor mit seinen massiven Thürmen bewundern, das sein s°
vielfach auf Ltibecker Marzipanen abgeformtes Bild alljährlich 111
die Welt sendet, in seinen Inschriften — Concordia domi foris P aN
auf der Aussen-, S. P. Q. L., dem römischen ,Senatus populusq u
Romanus' nachgebildet, auf der Stadtseite — wie überall offenba’
sich der selbstbewusste Bürgersinn, der unter Sorgen und Arb el
ein warmes Sicherheitsgefühl stets zu nähren wusste, und den em L
ruhmreiche Geschichte adelt. Sie redet nicht aus rauchgeschwärz tel1
Trümmern, aus sentimentalen Epheu umrankten Ruinen, sonde 111
aus lebenden, noch heute von thätigen, durch Verständniss utl^
Kunstgeschmack geleiteten Händen bearbeiteten Denkmälern.

Daraus folgt naturgemäss, dass sich aus dem Gemisch t' 011
Stilen aus allen Jahrhunderten ein Stil der Stillosigkeit, aber e’ n
ganz eigenartiger, charakteristischer und kerngesunder Stil h iel
entwickelt hat. Besonders zeigt sich dieser in den Kirchen, ur^
unter ihnen am schönsten in der Marienkirche, diesem Klein 0^
nordischer Baukunst (1218—1304). Hier ist nicht, wie etwa bei 111
Strassburger Münster, ein Theil romanisch und ein Theil gothiscbi
sondern die Stile, hauptsächlich Gothik und Renaissance, wirke' 1
bunt durch einander. Die drei in Spitzbögen sich verlierend en
Schiffe sind schneeweiss getiincht, doch die Eintönigkeit wird unte 1''
brochen durch die Epithaphien an den Pfeilern, die Gemälde ufld
Bilderschränke an den Wänden, den reich verzierten Chor, d e|1
prachtvollen Hochaltar und das mächtige Pfeifenregister der gross el1
Orgel. Der Blick in das Mittelschiff, etwa von der Messcap e^ e
unter der Orgel, vor der das alte Taufbecken steht, sucht 3,1
Grossartigkeit seines Gleichen. Prächtige Werke neuerer Kun s
sind die beiden Gemälde „Die Grablegung Christi" und „Der EinzUn
in Jerusalem“ von Friedrich Overbeck. Dagegen birgt der P o!l1
in seinem Altargemälde von Hans Memling ein Prachtstück.

Markt mit Rathhaus zu Lübeck.

geschmückt, von . dieser gothischen, im rechten
Winkel auslaufend die prächtige Renaissance-
Front, die den Eingang zum Börsensaal und zum
Rathskeller durch einen Bogengang vermittelt,
der sich nach der Breitestrasse zu in ein auf
dicken Pfeilern ruhendes Arcadengewölbe fort-
setzt. In der Mitte des von Linden umrahmten
Platzes steht ein kleineres, altes, düsteres Back-
steingebäude: der Kolk, auf dem in alten Zeiten
die Verbrecher ausgestellt und der Spottlust
der Menge preisgegeben wurden, und ihm gegen-
über der gothische 1873 errichtete Kaiserbrunnen.
Gen Norden aber erheben sich über einen vor-
gelagerten Häuserblock die gewaltigen Thürme
und das hohe von Strebepfeilern gestützte Dach
der Marienkirche.

In diesem Schmuckstück einfacher Gross-
artigkeit offenbart die Stadt ihr Herz, hier
zeigt sich der hanseätische Bürgersinn, der dem
praktischen Ernst die Liebe zur Kunst zu ge-
sellen weiss und dieses harmonische Ineinan-
dergreifen zweier Bedürfnisse verleugnet sich
nirgends. Mag man durch die Strassen gehen
und die alten Häuser betrachten, an deren
Giebeln und Fronten Gothik und Renaissance
klar zum Ausdruck gekommen sind, mag man


In der Kriegsstube (Liibeck).
 
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