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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Ewers, Ludwig: Lübeck
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0306

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MODERNE KUNST.

215

Ki

noch kernigerer Gestalt, als in den
Uchen, kommt der Kunstgeschmack des
Ueien Bürgersinns da zumAusdruck, wo er

Slch seine Stätte für das selbstherrliche ireie
^ egitnent geschaffen hat: im Rathhaus. Hier
' Var es, wo der „königliche Kaufmann“, der
^ es Königs Schutz für schweres Geld er-
^ aufen musste und Leibeigener des Königs
VVa,'i zum souveränen Kaufmann erstarkte.

^ ter tagte der Rath, dem Ivaiser Karl IV. als
er fflnf Jahre nach dem Stralsunder hrieden
mit seiner Gemahlin in Lübeck weilte,

‘ tchtungsvoll zugestand: „Hi sint Heren!“

An diesem Rathhaus, dessen Erbauung
^ le Jahre 1260 und 1+42 bezeichnen, wurde
n° ch bis in die jüngste Zeit gearbeitet
Ürth wiederherstellend, verbessernd, ver-
Schönernd die Hand gelegt. Die prächtige
^‘Haissancehalle ist von 1570, das l'reppen-
aus in den letzten Jahren vollendet, ebenso
^ te Front nach der Marienkirche; und der
lttUe Bürgerschaftssaal empfing noch un-
v°hendet seine Einweihung durch ein Ban-
<|Uett, als 1891 der deutsche Kaiser die Stadt
esüchtc und sie für einc dcr deutschesten
'^Sdte erklärtc.

Vor der Vollendung des Bürgerschaftssaales tagte die Bürgerschaft
lrt der Kriegsstube. Dieser Raum ist wohl der eigenthümlichste des
^ a,1zen Hauses; er birgt an seinen Wänden einen der werthvollsten Schätze
des deutschen Kunstgewerbes der Renaissance. Lübeckisches Handwerk
' Var es, das ihn in den Jahren 1595—1608 mit reichen Intarsien schmückte,

llt1h auch die herrlichen I+olzschnitzereien der Eingangsthür zeigen, auf
etner

wie hohen Stufe damals das Kunstgewerbe stand. Als man das
^ erk in unserem Jahrhundert in seiner ursprünglichen Schönheit wieder

?ttr Geltung brachte und dem Raum eine würdige Gestalt verlieh, war es

eüfalls ein Sohn der Stadt Lübeck, der Architekt Carl von Grossheim,
der • • •

rnit Meisterhand die Ausstattung vollendete und besonders durch den
senial entworfenen prunkvollen Plafond dieses Denkmal lübeckischen
uüstsinns krönte.

Ger vornehme Kunstgeschmack, der diese Räume erstehen liess, zeigte
auch in den Wohnungen der hanseatischen Kaufherren. Von diesen

s‘ch

'st

itie

statt,

üns ein Muster erhalten: die Wandtäfelung, mit welcher der Bürger-
ister Fredenhagen in den Jahren 1573—85 sein Arbeitszimmer aus-

ete. Inmitten dieser üppigen Renaissance-Bildnereien in Holz und
^abaster kann man thatsächlich einen Hauch aristokratischen Bürgerlebens
ergangener Zeit spüren, und bei genauem Studiren der ungeheuer reich-
^ akigen Schnitzereien, die biblische Vorgänge, allegorische Darstellungen
Uttd wieder seltsame Arabesken bieten, belauscht man den einstigen Be-
MtZer dieses Zimmers und mit ihm auch wohl einen grossen Theil gleich-
gesmnter Zeitgenossen, im intimsten Privatleben.

Dieser Humor, von dem das Aussenantlitz der Stadt nichts aufzuweisen
ü^ag, offenbart sich um so klarer, je mehr man in ihr Inneres eindringt,

ver;

ünd

er wirkt um so prächtiger, weil er im Herzen wohnt und von Herzen

*°üimt.

ffurnor und Gemüthlichkeit allein konnten ein so entzückendes Lokal
tSchaffen, wie das der Schiffergesellschaft. Hier thut man einen tiefen

ß]

ick

'n die ehrliche derbe Seele des hanseatischen Seefahrers, der Jahr-

im alten Schifferamtshaus beim schäumenden Gerstensaft sich s
aglichkeit und Zufriedenheit wohl sein liess. Sonst hätte er dieses

üderte lang durch seinen Namen die Länder des Nordens und auch

1 1 hei] des Südens in Schrecken setzte und der, in die Heimath zurück-
^ ekehrt
iu BehE
f.okai

^ nicht so frequentirt, dass eine noch heute an ihrem Platz hängende
he-^ e ^lausverordnung, mit einem Hinweis auf die Streitereien um die Plätze
^ tchk^ ertl Un^ e^ euren Andrangj und auf die daraus entstandenen Unzuträg-
eiten, genau vorschreibt, welche Gesellschaft den Vofrang haben soll.
Bcr + remde wird beim Eintritt sogleich mit einem Schreckschuss

5tuPfi

angen, denn wohl jeder, der das erste Mal diesen Raum betritt, fährt

Im Schifferhaus. Originalzeichnung von A. Westphalcn.

zurück, wenn ihn die grossen blauen Augen des Matrosen anglotzen, der
in weiten gelben Pluderhosen arn Eingang steht und gebieterisch mit der
Hand auf die Sammelbüchse zur Unterstützung der Schifferwittwen weist.
Es muss wohl der Genius Loci sein, der hier Jeden bestrickt und die
Blicke selbst alter, seit Jahren dort verkehrender Stammgäste von Zeit
zu Zeit immer wieder nach der Decke lenkt, von der die seltsamsten
Schiffsmodelle herabhängen.

Abgeschlossen wird das Lokal durch eine mit Schnitzereien gekrönte
Holzwand, hinter der der Hochsitz liegt. Jedenfalls werden die Ehren-
gäste, für welche dieser Platz reservirt wurde, auch Meister im Trinken
gewesen sein, denn eine dreifache auf ganze, halbe und viertel Stunden
(natürlich Feierstunden) eingestellte Sanduhr deutet diesen Meistern jeder
Flüssigkeit, s,ei’s Meer.wasser, Feindesblut oder Gerstensaft, lautlos die
Stunde an, die ja dem Glücklichen nicht schlägt.

Der Hochsitz an der Strasse erhielt seinen Namen als Geibelplatz
nach dem Dichter, der hier gern sass, der wohl wie kein Zweiter hansisches
Wesen und hansische Stimmung begriffen und ausgedrückt hat, den es
immer bei aller Liebe für Griechenland und Italien nach der Heimath
zurück zog.
 
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