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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Lenbach, Ernst: Der Glücksmops
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0327

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MODERNE KUNST.

„Ja, und. hast Du gehört, was unser Mädchen heute erzählte?“ fing
Clara trotz aller Liebkosungen wieder an, „die Pedellsleute, die Küppers,
haben mit ihrem Loos dreihundert Mark gewonnen. Wenn wir nun das
Loos behalten hätten —“

„So hätten wir das Geld gewonnen, meinst Du, nicht wahr? O Du
unfrommes, kleines Schnurcks, wer giebt denn das Geld, die Lotterie oder
der liebe Gott? Hatte er es den Pedellsleuten zugedacht, oder der
Nummer —“

„Elftausenddreihundertsechsundsiebenzig Littera A“ ergänzte Clara
traurig.

„Schön, das hast Du behalten, also freue Dich, dass wir mit dieser
klangvollen Loosnummer dem lieben Gott ein wenig geholfen haben, seine
Extraspende von dreihundert Mark bei den armen Leuten schonend an-
zubringen, sie verdienen es wirklich, sie haben sieben lebendige Kinder
und wir sollen erst —“

„Aber Ben!“ flüsterte Clara erröthend und barg ihr Köpfchen an der
Brust des Gatten, der sie zärtlich auf den braunen Scheitel küsste.

„Uebrigens tröste Dich, Kind,“ sagte er nach einer Weile, „abgesehen
von all seinen anderen Vorzügen ist auch dieser altersschwache Mops
noch eine Goldgrube für uns —■ nämlich eine Fundgrube von Motiven für
Deinen schriftstellernden Gatten. Seine Verwickelungen mit unseren Mit-
menschen, die den tieferen Sinn seiner kindischen Spiele nicht einsehen
wollen, haben mir für meinen demnächst zu schreibenden humoristischen
Roman mehr Stimmung und Motive gebracht, als der arme Kerl Haare im
Gesicht hat.“

Eines Tages aber fand Benedict seine Gattin in Thränen, während
Murcks ersichtlich niedergeschlagen hinter dem Ofen, lag und an den
Pfoten sog — seine gewöhnliche Beschäftigung, wenn er Strafe empfangen
hatte. Schreckliches hatte er diesmal verübt: Die Schwiegermutter des
Hausherrn, die bei diesem zu Besuch weilte, hatte er in den Strumpf ge-
bissen — tiefer drangen seine Vorderzähne nicht mehr — die alte Dame
drohte sogleich „aus diesem Hause voll wilder Thiere“, wie sie sich aus-
drückte, wieder abzureisen — und ihr Testament zu ändern, wenn der
Schwiegersohn es nicht durchsetzte, dass „die Leute mit dem Hund“ noch
diese Woche auszögen.

„Herrlich!“ rief Benedict, „Schnurcks und Murcks, lasst Euch umarmen!
Nun kann ich es Dir ja gestehen, Schatz — jenes Gartenhaus hinter der
alten grossen Villa draussen am grünen Weg — es stach Dir immer so
gut wie mir in die Augen — aber die Miethe war zu hoch, und das alte
Fräulein Triller, die Besitzerin, stellte Bedingungen von einer unglaublichen
Art. Heute früh versuchte ich noch mal mein Heil. „Nein,“ sagte sie,
„Sie haben gewiss zu viel Anhang, Sie sehen gerade so aus, und ich
liebe die vielen Menschen nicht in meinem Garten. Und dann könnten
Sie ja auch erst in vier Monaten einziehen!“ „Na,“ sage ich, „vorläufig
haben wir nur einen Anhang, und der heisst Murcks und ist ein Mops.“
Da springt das alte Dämchen in die Höhe, dass ihr Mädchen ganz er-
schrocken herbeiläuft. „Hörst Du’s Lisette!“ ruft sie, „o Murcks!“ und deutet
in die Ecke nach einem Schränkchen — wahrhaftig, steht da ein ausgestopfter
Mops unter einem Glassturz, dick, fett, dumm, ganz unser Glücksmops. —
„Ach, mein Herr Doctor,“ schluchzt sie, „er hiess auch Murcks! — Und
behandeln Sie ihn denn auch gut?“ „Wie einen Engel,“ sage ich, „er
sieht übrigens aus, wie der Selige da, nur nicht so lieb.“ Na, wir wurden
beide weich — und das Ende war, dass sie uns das Gartenhaus zwei-
hundert Mark billiger lässt, mit freiem Garten, unter der Bedingung, dass
wir sogleich einziehen und ihr den Murcks redivivus zuweilen zu Besuch
schicken.“

„Wenn er sie nur nicht beisst!“

„Keine Angst“, erwiderte Benedict, „das Fräulein ist doch keine
Schwiegermutter. Du sollst sehen, die Beiden finden in einander ihr
Ideal, sie werden einen schönen Lebensabend zusammen verbringen. Aber
ist er nun nicht unser Glücksmops?!“

* *

•JC*

An einem schönen Frühherbsttage zogen sie um. Als Letzter — so
hatte es Benedict Sutorius bestimmt — verliess Murcks die leere Wohnung.
An der Seite seines Herrn schritt er vorüber vor den Fenstern und
Thüren der bisherigen Hausgenossen und Nachbanr, stolz und gefasst wie

ein römischer Triumphator, und wie ein solcher geleitet von ZurufeäF
welche „mit soldatischer Offenheit“ seinen bisherigen Lebenswande’ 1
eidäuterten. Fräulein Triller war leider nicht zu Hause als er einzog-
Sie liess sich aber sogleich nach ihrer Rückkehr von Lisette BericW
erstatten, und als sie erfuhr, dass der lebende Murcks dem ausgestopft etl
an Wiirde, Wohlbeleibtheit und Wesen zum Mindesten nahe komme, auch
wie dieser ein zierliches blaues Schleifchen um den kurzen Hals trag e>
wuchs ihre Achtung für die neuen Miether des Gartenhäuschens um eirl
Bedeutendes.

Unterdess ging Frau Clara ihrem Gatten mit weisem Rathe bei d er
Veitheilung der Möbel in der neuen schönen Wohnung zur Hand. E s
passte Alles vortrefflich zu einander, bis auf ein einziges Ausstattung s'
stück, eine gypsene Büste, die angeblich. Beethoven vorstellen sollte und
auf einem dünnen, wackeligen Säulchen von dunkelgestrichenem Hol z
thronte. Bisher hatte „die ungerathene Herme,“ wie sich Benedict auS'
zudrücken beliebte, einen verlorenen Winkel im Studirzimmer ausgefüU
aber in der neuen Wohnung wusste keines von ihnen einen halbweg 5
befriedigenden Platz dafür zu finden. Zweimal bereits hatten sie, voo
Murcks begleitet, alle Räume suchend, vorschlagend und verwerfend durch'
wandelt; beim dritten Male blieb Murcks, gefesselt vom Anblicke ein er
auf Beethoven’s Nase schlummernden sommermüden Brummfliege, zurück,
und als die Beiden, von einem plötzlichen Krachen erschreckt, wieder ü 1
den Hausflur stürzten, lagen die Bruchstücke der Gypsbüste um das uiU'
gestürzte Postäment auf dem Steinbelag zerstreut, Murcks aber sass aU'
scheinend ziemlich gefasst daneben und schielte nach dem Flurfenster>
wo die seinem Mördersprung entronnene Bi'ummfliege aufgeregt hin und
her summte.

,,0, der Unglückshund!“ sagte die kleine Frau ärgerlich, der Doctor
aber rief: „O, du Glücksmops! Siehst du nun, Schnurcks, wie er uns auf
die richtige Bahn geleitet hat? Und wie scheinbar theilnahmslos er da sitzh

— etwas verschämt, ja verlegen, wie jeder grosse Erfinder angesichts de r
vollendeten That! Schnurcks, theuerste der Gattinnen, ich will Dir di e
Ahnung nicht vei'schweigen, die sich mir leise im Busen regt: Uns el
Glücksmops empfindet sich reif zur Lösung einer höheren Aufgabe, bish el
hat er unsere Mitmenschen erzogen, nun beginnt er erst uns zu erziehenk

„Das kann schön werden!“ seufzte Frau Clara. Voll banger Ahnung el1
betrat sie eine Stunde später mit ihrern Gatten und dem gefährlichei 1
Hunde das Visitenzimmer Fräulein Triller’s. „Wenn er nur nicht gleiek
nach ihr schnappt!“ dachte sie.

Wie erstaunte sie, als Murcks gegen die alte Dame eine LiebenS'
würdigkeit entwickelte, deren er selbst seine Herrin in besonders weih e'
vollen Stunden würdigte. Fräulein Triller war entzückt; es war wie eirl
Wiedersehen von zwei alten Freunden. Und Benedict blickte seine klein e
Frau an und strich sich den Bart: „Was habe ich gesagt?!“

Die Besuche des Mopses im Vorderhause wiederholten sich in deü
nächsten Wochen sehr häufig, und ganz offenbar übten sie einen wohl'
thätigen Einfluss auf sein ganzes Wesen. „Er hat endlich sein Milieu g e'
funden,“ bemerkte Benedict, „es ist ihm drüben zu Muthe, wie einei 11
Muselmann in Mekka, und wie dieser bringt er von der geweihten Stätte
ein Herz voll Frieden und guter Vorsätze zurück.“

Da that Murcks plötzlich etwas, was seinen ganzen frisch erworben efl
guten Leumund bei Frau Clara vernichtete; er that, was er noch nie gethan>

— er stahl, und zwar gleich ein ansehnliches Stück rohen Schinken. Fm u
Clara war untröstlich, denn der Schinken war für den Gatten zum Abend'
brod bestimmt, sie hatte ihn noch Mittags beim Abschied darauf vorbereit et>
und als sie die schwarze That gewahrte, war es zu spät, für Ersatz zU
sorgen. Immerhin hatte sie die Genugthuung, dass ihr Gatte diesmal d erl
Uebelthäter gründlich abstrafte, „denn,“ sagte er, „muthwillig, ironisck>
ja menschenfeindlich darfst du sein, Murcks, aber stehlen? pfui, schäm c
dich, Murcks, du hast dein Maul mit gestohlenem Gut befleckt, nnd
alle Wohlgerüche Arabiens werden dieses kleine Maul nicht mehr r ein
waschen!“

Murcks sah ihn mit Augen eines Sterbenden an und winselte wehmüthi£-

„Am Ende steckt doch etwas dahinter,“ meinte der Doctor halbla ut>
„wer weiss, was für ein tieferes Motiv ihn leitete.“

<<

„Die Fresssucht leitete ihn, das Motiv liegt tiei genug, unten im Mag en>
vei'setzte Frau Clara ungerührt. Dann setzten sie sich hin und verzehrt el1
 
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