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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Kirchbach, Wolfgang: Der Wein, [8]: Roman
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https://doi.org/10.11588/diglit.32112#0440

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MODERNE KUNST.

353

Er legte den Arm um ihrcn Nacken und führte sie in Spurmann's
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rundstück hinein. Er schwankte nicht vom Rausche; er ging ganz fest
^ nd sicher, seine Augen nur glänzten beseligt, aber es schien von der
^ ebe. Gleich bei einem der ersten Stöcke blieb er stehen, der recht

^ürftig aussah.

„Sieh’ einmal die Pracht, Marthelchen“, sprach er. „Hier hängen
^leich vier oder fünf Träubchen zusammen.“

Er fasste in den Stock hinein, an dessen Reben nur einzelne dürftige
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iräubchen hingen. Er packte mehrere Reben auf einmal, so dass sie
Sleh aufeinanderlegten und man nicht gleich sah, von welchen unter diesen
^ eben die Träubchen sich abschieden. Es konnte einen Augenblick
"'■rklich so aussehen, als trüge eine von diesen zusammengefassten Reben
^chrfache Frucht.

„Siehst Du, Marthchen, da hast Du’s. Soviel Ansatz an einer Rebe!
^nd so steht’s hier herum überall.“

Martha hatte nicht so genau hingesehen. Ach, sie war ja zu sehr
Seneigt, ihm schon auf’s blosse Wort zu glauben. Sie blickte flüchtig in
das zusammengefasste Rebengrün und glaubte einen Augenblick, es
^Önnten die Träubchen, welche sie sah, wirklich an eine Rebe gehören
ütld die andern würde man wohl auch finden, wenn man suchte. Horst
^fängte sie langsam weiter zwischen den Weinstöcken hinab, die alle
Sehr ärmlich aussahen.

„Ja, das ist eine Pracht!“ sprach er. Diese Stöcke geben heuer nur
'''enig Laub, weil all’ ihre Kraft in die Trauben gegangen ist. Es hängt

hier herum alles voll, man kann die Früchte nur nicht sehen, weil sie
al!e hinter den Blättern versteckt sind.“

Martha blickte um sich in die kraftlosen Stöcke und dachte sich auch,
es möchte wohl so sein, dass man die Trauben wegen der Blätter nicht sah.

„Ich habe eben eine and’re Art“, sprach Horst, indem er seinen Arm
um ihren Nacken schlang. „Denn siehst Du, all’ das Wachsthum, was Du
liier an den Stöcken vermisst hast, das schiesst eben in die Trauben.
Sie werden heuer ungefähr fünf und sechs Pfund schwer werden!“

„Was?!“ sprach Martha ungläubig lächelnd. „Fünf und sechs Pfund?!“
Horst schaute ihr auf einmal feuriger in die Augen. „Und die ersten
von diesen Trauben, die man mit zwei Händen tragen muss, bekommst
Du, die ersten, mein Marthchen, mein Schatz, meine Herzallerliebste. Ich
bringe sie Dir selbst auf Deine Kammer und wir essen sie zusammen auf
beim Mondschein, Nachts, ganz auf. Für jede Beere, die ich Dir in den
Mund stecke, giebst Du mir einen Kuss.“

„Das wird wohl nicht angehen“, erwiderte das Mädchen, indem es
sich leise aus seiner Umarmung los machte. „Die Trauben will ich mir
schon selber an Eurer Gartenmauer holen. Meine Schwester und mein
Schwager dürfen’s auch noch nicht wissen, dass wir jetzt zusammen
gehen. Aber wenn erst Deine grossen Trauben reif sind und wirklich so
schwerwerden und so viel Wein geben, werweiss, was da geschehen kann!“
Sie waren unter solchen Gesprächen, dazwischen immer wieder stumm
sich liebkosend, nocli ein weiteres Stück in den Berg hineingegangen, weit
von den Hauptwegen weg, wo man selten hinkam, als mitten im dichtesten

IX. 23. II.
 
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