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Moderne Kunst: illustrierte Zeitschrift — 1895

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Bleibtreu, Carl: Aus Georg Bleibtreu's Leben und Wirken
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366

MODERNE KUNST.

Ein Brief
vom 22. Juni
aus Görlitz,
Hauptquartier
Prinz Fricd-
rich Carls,
enthält wich-
tige Betrach-
tungen:

„Mir ist's
seltsam zu
Muthe. Ge-
stern war ich
in einem Krei-
se befreunde-
ter Officiere,
die theils mit
heldenhafter
Ruhe den Er-
cignissen ent-
gegensahen,
theils mitfreu-
diger Unge-
duld sich nach
dem Entschei-
dungskampfe
mit einem
hochgeachte-
ten Gegner
sehnten.
Heute sind
diese braven
Männer schon

als Avantgarde am Feind und in wenigen Tagen vielleicht gefallen. Aber rneine
Zuversicht steigt mit jedem Tage. Welch seltsames Heer, dies preussische I In jeder
Compagnie feingebildete junge Leute, welche, ohne je Berufsofficier zu werden,
auch ohne kriegerische Neigung von der ungeheuren Zeit, der wir entgegen-
schreiten, fortgetragen, sehr bald unserem Heere den Geist einflössen werden,
der unüberwindlich ist. Die Stimmung des Prinzen, der Generale ist eine sehr
ernste. Er erklärte in einer Anrede, wenn wir geschlagen würden, liege es nur
an seiner Führung, nie an den Truppen. Uebrigens haben Generale wie Voigts-
Reetz etwas in ihrem Wesen, das zu HofFnungen berechtigt.“

23. Juni 1866: „Endlich sind wir in Böhmen eingerückt. So weit das Auge
reicht, heran- und vorüberziehende Colonnen. Beim Ueberschreiten der Grenze
nicht enden wollender Jubel, Gesang „Ich bin ein Preusse“, aber auch „O du
Deutschland, ich muss marschiren“ und „Hinaus in die Ferne mit lautem Hörner-
klang“. Noch klingt mir die Strophe in den Ohren: „Der Freiheithauch geht
mächtig durch die Welt!“ Vor uns, um das herrliche kriegerische Schauspiel
zu vollenden, die einfach grossen Gebirgslinien in scharfen Umrissen sich von
der sonnigen Luft abhebend. Der Prinz sprengt bald von Colonne zu Colonne,
bald hält er und prüft mit Hülfe des Fernrohrs und der Generalstabskarte das
vor uns liegende Terrain. Der Stabschef Voigts-Reetz macht einen ungewöhn-
Iichen Eindruck. Er reitet gedankenvoll in lässig bequemer Haltung. Aus
seinen unschönen Zügen spricht die klarste Berechnung und eiserne Willens-
kraft. Das Hauptquartier des Prinzen befindet sich in einem Besitzthum
des feindlichen Generals Clam Gallas. Vielleicht ist dieser Name ein gutes
Omen für uns, denn vom 30jährigen Kriege an hiessen die Clam Gallas
„Heertrommeln“, weil man nur von ihnen hörte, wenn sie geschlagen
würden.“ Es folgt eine überaus frische und lebhafte Schilderung des
Lagerlebens, des Vormarsches in strömendem Regen unter Blitz und Donner.

In den folgenden Briefen vom 26. und 27. werden kühne Reiterthaten
geschildert, welche die Ueberlegenheit der Unsern über die berühmten
Radetzky-Husaren bekunden, und die Vernichtung der „Eisernen Brigade“
bei Podol durch die Thüringer. Dann am 29. eine hochdramatische Erzäh-
lung des Treffens von Gitschin. „Die Gefangenen sahen gebrochen aus.

Nur die Officiere schritten mit ihren prächtigen Schärpen in finsterm Stolze
daher.“ Daneben aber mischen sich beredte Klagen ein über das herz-
zerreissende Elend des Krieges, Bitten an die Heimath (sie wurden ver-
öffentlicht) zur Linderung des Leids der Verwundeten. „Jetzt bewähre es
Jeder mit der That, dass ihm die Ehre des Vaterlandes, dass ihm seine
eigene Ehre etwas gilt. Schande iiber uns, wenn durch unsere Schuld
Tausende Verwundete, Söhne unseres braven Volkes, hülflos verschmachten
sollten. Hülfe, aber schnelle Hülfe! Vor allem Lebensmittel!“

Und nun kam die Entscheidung. „Wenn Du diesen Brief erhältst,
weisst Du durch Telegraph, ob wir gesiegt oder nicht. Die Schlacht, die ;
jetzt geschlagen wird, ist furchtbarer als die bei Solferino.“ Bleibtreu folgte
der Division Fransecky in den Wald von Maslowed und war naher Augen-
zeuge ihres todesmuthigen Ringens gegen fünffache Uebermacht an dieser \s
entscheidendsten Stelle des Schlachtfeldes, wo ein aufrollendes Durch-

Gcorg Bleibtreu. Studie.

brechen der preussischen, dem Kronprinzen zugekehrten, Flanke zu befürchten
stand Ergreifend erzählt er von einer alten Böhmin, die ihren jüngsten letzten
Sohn — die andern sind bei Magenta gefallen — unter den Leichen sucht und
findet, deren Verzweiflungsschrei das Stöhnen und Röcheln, das Victoriaschiessen
und Jubeln der Sieger übertönt. „Und über qll den Stätten des Schreckens etn
lachender Himmel und Lerchengeschmetter. Poch die grossen Weltereignisse,
die zermalmend über Menschenleben schreiten, gehen vorwärts. Begleiten wir
ihren Gang.“

Und er folgte ihnen. Kaum hatte er „Alsen“ und „Königgrätz“, diese
grossen Bilder der Nationalgalerie, vollendet, als ihn der Kronprinz in sein
Gefolge berief, um den französischen Feldzug mitzumachen. Schon in Spey er
wusste sich Bleibtreu „vor Freude nicht zu lassen“, als er die Bayern vörbei-
marschiren sah. Der Kronprinz warnte die bayrischen Officiere in seiner leut-
seligen Weise vor dem Meisterpinsel, der sie noch alle conterfeien werde. Bald
darauf befand sich der Künstler im Getümmel des Strassenkampfes in Wörth-

In den seither veröffentlichten Kriegserinnerungen eines preussischen
Artilleriegenerals findet sich eine bezeichnende Stelle. Derselbe wurde nU*
einem Auftrag des Kronprinzen in die erste Feuerlinie gesendet und traf hief
unter heftigem Granathagel einen kleinen Mann in Civilkleidung, ruhig die Action
beobachtend. „Ich erkannte Georg Bleibtreu. Er warf mir einen vergnügten
Gruss zu. Später erzählte er mir, wie er sofort nach der Kriegserklärung sich
um die zu erwartenden Trophäen ans Kriegsministerium gewandt habe.“ —
„Sie können keine Ahnung davon haben, dass Sie in der Schlacht bei Wörth
dicht neben mir standen. Kaum hatten Sie diesen Platz in der grossen Batterie
des V. Corps verlassen, als eine Granate meinem Pferde beide Hinterbeine
zerschmetterte,“ heisst es im Briefe eines Majors v. Thadden nach dem Kriege-
Es bildete sich auch eine förmliche Legende. In den Zeitungen stand, dass def
kleine schwächliche Künstler bis zur Erschöpfung beim Fortschaffen der Ver-
wundeten in der Feuerlinie beschäftigt gewesen sei. Nach seiner eigenen An-
gabe schrumpfte diese Mär auf einen einzigerj Fall zusammen.

Aus Nancy heisst es dann: „Während ich hier mit Gustav Freytag d* e
Museen besuche, donnert bei Metz die Hauptschlacht“. Aus Ligny: „Der König
ist jetzt bei der Südarmee mit seinen drei Gewaltigen. Er sprach auch mit fflir
ein paar freundliche Worte. Der alte Herr sah trotz dem Schrecklichen, was
er vor Metz erlebte, so heiter aus wie gewöhnlich, und Bismarck scheint jetzt
wieder ganz hergestellt zu sein. Zu meiner Freude denkt man jetzt immef
ernstlicher an die Lossreissung des Elsass“.

Und nun nach kurzen Feldpostkarten ein Brief aus Sedan:

„Nie, so lange ich lebe, werde ich diesen Tag vergessen, den Tag, der rfflf
von Jugend an vorschwebte. Nun ists vorbei mit der Frage: was ist deS|
Deutschen Vaterland, jetzt sind wir nicht mehr der Dünger Europas. Ich stehe
vor dem Thore von Sedan und sehe stundenlang dem Vorübermarsch def
Gefangenen zu. Das nimmt kein Ende. Mir ist’s dabei wie im Traum und doch
hat mich ja dieser Tag am wenigsten überrascht, ja ich darf behaupten, dass
ich ihn vorausgesagt. Nun gehts auf Paris los, denn die Pariser werden ffl e
in Abtretung des Elsass einwilligen, ohne dass ihnen das Schwert auf die Brust
gesetzt wird . . . Und Dir, mein lieber Sohn, Dir werde ich besonders viel
erzählen von Opferfreudigkeit, Todesverachtung, stolzem Ertragen von Strapazen.
welche Dich anspornen sollen, Deines Vaterlandes würdig zu werden,“ Davon
schrieb der bescheidene Mann natürlich nichts, dass er sich kühn nach Sedan
hineinwagte, ehe noch die Capitulation unterzeichnet war, und nur von franzö-
sischen Officieren vor Massacrirung geschützt wurde; dass er dann mit deffl

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Georg Blcibtrcu. Studie.
 
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