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Der Sturm: Monatsschrift für Kultur und die Künste — 3.1912-1913

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Nr. 123/124
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Scheerbart, Paul: Das Ozeansanatorium für Heukranke: Telegramm-Novelette
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https://doi.org/10.11588/diglit.56300#0132

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Nordpol oder am Südpol leben? Telegraphiere
doch, ob Euch nicht ein guter Rat einfällt. Ich muß
diesen wieder beniesen.
Gruß von Liesen Thakeray, Chikago.
2. Mai 1910.
An Liese Thakeray, Chikago.
Hier auch im dicksten Heufieber. Aber wir
sind aller Welt voraus. Eichkatz, Du hast keine
Ahnung von Weltgeschichte. Wo wächst denn
kein Gras? Mitten im großen Ozean — da wächst
kein Gras — da können Grasblütenpollen nicht
mehr hin. Also: stürzen wir uns in den großen
Ozean — dann ist alle Heukrankheit überwunden.
Eichkatz, sei schlau. Wir machen Tournee zusam-
men.'. Willst Du? Lika.
2. Mai 1910.
An Lika Lee, San Franzisko.
Ich soll mich drei Monate auf Ozeandampfer
langweilen? Mich da totessen? Dackel, Dir rap-
pelt es wohl. Was meinst Du mit Sturz im Ozean?
Sei doch nicht so geheimnisvoll. Tournee mach ich
gern mit. Mit Papa kann ich machen, was ich will.
Der gibt die Banknoten sackweise. Aber — doch
nicht für eine dreimonatige Dampferfahrt — mit
Seekrankheit und ewigem Heißhunger und Kajüten"
gefängnis. Dackel, ich glaube: Das meinst Du auch
garnicht. Du hast ein Geheimnis vor mir, Deiner
treuesten Freundin. Sei offen! Offenbare Dich!
Warum seid ihr weiter in der Weltgeschichte als
Eichkatz? Das versteh ich nicht — wie so vieles
andere. Ich habe die Weisheit nicht mit Löffeln
gefressen. Davon wird man ja korpulent. Nun
entschließe Dich und tu Dein Geheimnis kund —-
sonst ist Dir ewig böse Dein neugieriges Eichkatz
mit dem Heufieber und dem großen Niesen.
2. Mai 1910.
An Liese Thakeray, Chikago.
Du, liebes Eichkatz,,, bist nicht so dumm, wie
Du aussiehst. Gleich merkst Du was. Du weißt
natürlich, daß ich die Dampferzellen im Magen ha-
be, trotzdem sie so viel Magengenüsse bieten. Kurz-
um: hier große Gesellschaft in der Bildung begrif-
fen. Die will schwimmende Inseln bauen — mit
luftigen bunten Glaspavillons. )Papa stark inter-
essiert dabei — viele Glasfirmen ebenfalls.
Schwimmende Städte soll’s geben mit Lawn-Ten-
nisplätzen — mit Seeterrassen und vielen anderen
Dingen. Was weiß ich? Da kann ich den Bau-
meistern nicht so leicht folgen. Ich bin ja auch nicht
so furchtbar gelehrt — sonst wär’ ich ja korpu-
lenter. Sehr gewandte Onkels sind dabei. Mich
wollen sie immer belehren, kann nur nicht so
schnell kapieren. Aber wir kriegen einen Glaspa-
villon erster Güte — mit doppelten Glaswänden
und Aussichtsturm. Die Geschichte wird fein,
Schleppdampfer ziehen unsere Insel. Die Heufrage
ist gelöst. Ich bin ganz weg vor Entzücken und
Dein treuer Dackel.
3, Mai 1910.
Mr. Thakeray, Chikago.
Sie sind von verschiedenen Seiten falsch unter-
richtet. Es handelt sich hier nicht um ein phanta-
stisches Unternehmen. Die Sache hat eine sehr
gesunde Basis. Ganz Amerika wird vom Heufieber
geplagt. Die Pollenblüher, deren Samen meilenweit
herumfliegen, verbreiten ein Gift, das im Menschen
allerdings zunächst nur Schnupfen und Niesen —
aber sehr bald auch asthmatische Beschwerden aus-
löst. Dem muß begegnet werden. Auf dem Fest-
land und auf jeder Insel sind aber blühende Gräser
überall, Wir müssen also mitten im Ozean während
der Blütezeit wohnen — dann geht alles weg. Un-
sere „Ozeansanatoriumsgesellschaft für Heukran-
kranke“ hat das Richtige gefunden: schwimmende
Inseln im Ozean — die immer dort schwimmen

müssen, wo alles Festland und die Naturinseln Hun-
derte von Meilen entfernt sind. Erde auf unsern
Schwimmenden nicht vorhanden. So nur kann die
Heukrankheit überwunden werden. Natürlich muß
man Geld wie Heu haben, wenn man das Heufieber
überwinden will. Darum wenden wir uns an Sie,
Mr. Thackeray. Etwas Apartes muß eine schwim-
mende Insel von zwei Quadratkilometer schon ha-
ben. Darum sind wir für Glasarchitektur. Wir
können daneben auch Glasersatz verwenden —
eine auf Draht gezogene Qelatinemasse, die wie
Leder ist und durchsichtig. Man kann die Masse
immer wieder ausbessern, und jede Farbe nimmt
sie an. Ein guter Ersatz. Wir bitten sehr um bal-
digste Nachricht der Beteiligung wegen; Miß Liese
Thakeray, Ihre Tochter, ist auch begeistert von
diesem Sanatorium. Wir können auf hunderttau-
send reichste Kurgäste zählen. Das Unternehmen
hat eine sehr gesunde Basis und macht auch gesund
Hochachtungsvoll!
Türk, Baumeister, San Franzisko.
7. Mai 1910.
Mr. Türk, San Franzisko.
Meinen Sie: ich kenne das Gründen nicht? Da
sind Sie sehr schief gewickelt. Sie sind ein Phan-
tast Gegen die schwimmenden Sanatorien habe
ich nichts, beteilige mich gern an dem' Geschäft.
Aber wozu denn das Glas? Das ist doch sehr!
schwer. Leichte Gebäude müssen auf den schwim-
menden Inseln verwandt werden. Und ein paar
Blumenarrangements dürfen nicht fehlen. Gar keine
Erde — Unsinn. Glasheller Blödsinn. Also: seien
Sie nicht so phantastisch, und versuchen Sie nicht,
mehrere Fliegen mit einer Klappe zu schlagen,
sonst bekommen Sie gar keine. Das mit idem
Glasersatz aus Gelatine kenne ich ganz genau —■
das ist nur so ein Köder., Nachher kommen die
Glasfabriken und liefern so viel Glas, daß alles
Geld nur für diese Glasfabriken da ist. Das gönne
ich diesen Herren nicht. Hochachtungsvoll!
8. Mai 1910. Thakeray, Chikago.
Mr, Thakeray, Chikago.
Das mit den Blumenarrangements und der Erde
nicht durchführbar. Aerzte sagen: dann nehmen
wir gleich das Heufieber mit. Ueberlegen Sie sich
doch die Sache: Erde und Blumen sind doch im
Heusanatorium das Widersinnigste der gesamten
Weltgeschichte. Für die Blumen aber müssen wir
doch einen Ersatz haben. Das müssen Sie doch
einsehen. Und — wo ist der Ersatz? Doch nun
in den Bunten Gläsern kann er sein. Seien Sie doch
nicht so wütend auf die'Glasfabriken. Wir grün-
den selbst welche. Und dann beteiligen Sie sich
auch bei unseren Glasfabriken. Das mit der
Schwere lassen Sie unsre Sorge sein. Das mit dem
Glasersatz war ganz ehrlich gemeint. Aber wir
müssen doch auch etwas fürs Auge haben. Wir
können doch die Reichen nicht durch ärmliche
Arrangements anlocken. Ohne Glas baue ich die
Inseln nicht. Ich habe nicht Lust, mich durch Knau-
serei zu ruinieren. Ich bitte um Nachricht, ob Sie
überzeugt sind. An Miß Liese Thakeray telegra-
phiere ich gleichzeitig.
Hochachtungsvoll! Türk, San Franzisko.
8. Mai 1910.
Miß Lee, San Franzisko.
Ihr Vater zu umständlich. Verzeihen Sie, daß
ich sehr kurz entschlossen bin: darf ich um Ihre
Hand bitten? Wenn Sie meine Gattin sind, kann
ich der Sanatoriumsgesellschaft mit vielen Millio-
nen unter die Arme greifen. Bitte Entsschlußver-
verkündung binnen drei Tagen.
Hochachtungsvoll!
Borromäus, Glasfabrikenbesitzer, Milwaukee
9. Mai 1910.

Mr. Türk, San Franzisko,
Die Geschichte von der Aermlichkeit ist wirk-
lich einleuchtend. Gut! Blumen sind nicht gut,,
sagt auch mein alter Hausarzt, der sehr viel vom
Heufieber versteht. Glas als Ersatz für die: Blumen
-— buntes Glas — wiie die Glasfenster in den Ka-
thedralen Europas — nicht so übel. Aber — die
Kosten sind da doch sehr beträchtlich. Vergessen
Sie nicht, daß wir überall doppelte Glaswände
brauchen. Und die sollen innen und außen in viel-
farbigen Ornamenten mit bester Verbleiung zusam-
mengehalten werden — außerdem noch durch star-
ke Stahlgerüste. Zwischen, den Wänden sind die
Kühl- und die Heizapparate unterzubringen —-
außerdem das elektrische Licht. Herr! Herr! Herr!
Dazu; ist Geld nötig. Das Geld muß dazu da sein —■
wie Heu — wie Heu! Schwindelt Ihnen nicht?
Festsaal in der Mitte und große Seeterrassen —-
Badegelegenheit in besonderen Badehäusern! Wol-
len Sie die auch aus buntem Glas herstellen, Mei-
netwegen! Buntes Glas in Doppelwänden ist ja
nicht durchsichtig. Automobile müssen auch auf
dieser Bretterwelt vorhanden sein. Und schließ-
lich werden wir nicht umhin können, ganze Lam-
pionalleen anzulegen. Jedenfalls wär’s eine Art
Lichtstadt. Aber — was das kostet! Mein Ver-
mögen .... Na — immerhin — machen Sie’s
doch kurz — heiraten Sie meine Liese — dieses
Eichkatz — dann ließe sich weiter über die Sache
reden. Gruß Thackeray, Chikago.
9. Mai 1910.
An Lika Lee, San Franzisko.
Du, Dackel,, wie sieht Türk denn aus? Er will
mich heiraten, Papa schmunzelt dazu. Mir kommt
die Geschichte etwas konstantinopolitanisch vor.
Schreibe, was ich tun soll. Das Ozeansanatorium
muß jedenfalls gegründet werden. Er schwärmt
jedenfalls ungeheuerlich für die Glasarchitektur und
für die Lichtinsel und die Lampionspäße des Nachts
unterm Sternenhimmel Dein fanatisiertes Eichkatz
11. Mai 1910.
An Liese Thakeray, Chikago.
Für die Idee gehen wir ins Feuer und ins Was-
ser. Ich heirate einen Glasfabrikantenbesitzer.
Mach nicht soviel Umstände. Jedenfalls hab ich
mächtig viel zu tun mit Eisenkonstruktionen und
Verbleiungen. Muß viel lernen. Entschuldige die
Eilej Ganz Dein Dackel.
11. Mai 1910.
Mr. Borromäus, Milwaukee.
Jetzt wird alles gehen. Aber die Hauptsache
ist jetzt die feste Grundlage der Insel. Das Ganze
muß auf großen eisernen Schalen ruhen. Das ist
nicht im Handumdrehen gemacht. Wir können
nicht vor Weihnachten mit dem Gerippe fertig sein*
Aber, wenn alles gut geht, stechen wir übers Jahr
um diese Zeit in See. Sie Mr.. Barromäus, müssen
bis dahin mit den Häusern und Anlagen fertig sein.
Hochachtungsvoll! Türk, San Franzisko.
13. Mai 1910.
Mr. Thackeray, Chikago.
Lieber /Papa! Wir sind also mitten im großen
Ozean und nennen unsere Insel Isle-Thackeray-Lee.
Meine Freundin Frau Borromäus, geb.' Lee,„ gen.
Dackel, hat ihren Papa schon hergelotst. In einem
Jahr sind wir fertig gewesen. Aber die Arbeit!
Der große Saal strahlt. Und des Nachts sieht die
Insel aus! Oh, was werden sich die Walfische und
die Eisbären wundern, wenn wir mal nach Norden
fahren, Die neuen Schattenschirme (ganz weiße)
von Mr, Borromäus sind famos. Die Schleppdam-
pfer drehen die Insel so, daß das Licht der Sonne
immer von der gleichen Seite kommt. Mein Ate-
lier für farbige Glasornamentik ist herrlicher als
alle Boudoirs der französischen Königinnen. Kom-
me bald Papa! Du wirst hier gefeiert — wie ein

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