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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 1 - No. 14 (1. Januar - 31. Januar)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

Freitag, den 17. Januar

1868.

Poste restante.

Amerikaniſche Kriminalnovelle.
Von
John Nobody.

(Fortſetzung.)

James mußte uns haben kommen ſehen und
ſchien von Neugier oder irgend einem Sonderin-
tereſſe getrieben zu werden, bei dieſer Verhandlung
gegenwärtig zu ſein; er trat ſogleich hinter uns
in's Geſchäftslokal und hörte ſeines Onkels letzte
Worte. „Wie, Onkel,“ ſagte er mit finſterer Stirn
und einem böſen Blik auf mich, „Du fühlſt Dich
unwohl und nimmſt doch meine Hülfe nicht in
Anſpruch? Ich würde mich glücklich geſchätzt ha-
ben, Dir Beiſtand zu leiſten; doch es ſcheint, als
ob ich ſeit einiger Zeit gar nicht mehr in Betracht
käme!“ — Mr. Argyll autwortete nur mit einem
milden Lächeln, gleich dem eines guten Vaters über
ein ärgerliches Kind. ö
James bezwang ſich und redete Mr. Burton
zuvorkommend an. „Wir erwarteten Sie nicht ſo
bald, Sir; hat ſich inzwiſchen irgend etwas heraus-
geſtellt?“ — „Nein, aber ich hoffe, es wird ſich
ſehr bald etwas herausſtellen,“ erwiederte der De-
tektive. „Sie ſcheinen ſehr beſorgt, wie ich ſehe,
und es iſt auch kein Wunder.“ — „Nein, in der
That, kein Wunder; wir ſind ja Alle durch die
Angelegenheit völlig abſorbirt, und was mich an-
langt, Sir, ſo blutet mein Herz für meine Ver-
wandten.“ — „Das glaube ich, Sir, und dieſes
Herz blutet für Sie!“ Der Detektive ſprach in
ſeltſamem Tone; was aber ſeine Aeußerung bedeu-
tete und warum James darauf unichts erwiederte,
begriff ich nicht; vielleicht war es nur eine hinge-
worfene Höflichkeitsphraſe. Meine Gedanken be-
wegten ſich in dieſem Augenblicke um Eleanor, nach
deren Befinden ich ihren Vater fragte. — „O, ſie
iſt beſſer als ich zu hoffen wagte,“ antwortete dieſer,
wobei ihm aber die Thränen in die Augen traten;
woch will dieß nicht viel ſagen Richard. Mein
Kind wird nie wieder werden wie ſonſt; zwar iſt
ihr Geiſt ſtark und ungeſtört, aber ihr Herz iſt
gebrochen. Sie hat das Bett nicht verlaſſen, ſeit-
dem Henry fortgebracht worden iſt, obſchon der
Arzt mir verſichert, es ſei, außer der natürlichen

Ermattung nach dem großen Schlage, in ihrem
Unwohlſein keine Gefahr vorhanden.“ — „Ich
wollte, ich könnte all' ihr Leid auf mich nehmen,
es gäbe kein größeres Glück für mich!“ bemerkte
ich. — Mr. Argyll ſah mich verwundert und for-
ſchend an; der Ton meiner Aeußerung mußte et-
was von der geheimen Empfindung meines Her-
zens verrathen haben. „Wir haden Alle unſere
Bürden zu tragen, Richard,“ verſetzte er wehmü-
thig, „und Sie ſcheinen auch nicht davon frei zu
ſein.“
Während dieſes kurzen Zwiegeſprächs war Ja-
mes bereits eifrig beſchäftigt, dem Detektive Auf-
ſchlüſſe über das zu geben, was von den Behörden
des Ortes ermittelt worden ſei. Ein ehrenwerther
Bürger aus einer zehn Stunden entfernten Stadt
ſei, nachdem die Nachricht des Mordes ſich verbrei-
tet, nach Blankville gekommen und habe, als Paſ-
ſagier des Zuges, mit welchem Moreland gekom-
men ſein ſollte, einige von ihm gemachte Beobach-
tungen mitgetheilt und beſchworen. In dem Wagen,
in welchem der Gentleman, den er nach erhaltener
Perſonalbeſchreibung für Moreland halten müſſe,
geſeſſen, ſeien außer dieſem und ihm ſelbſt nur
wenige Paſſagiere geweſen. Ihm und Moreland
gegenüber habe ein gemein ausſehender, ſchwarz ge-
kleideter Menſch geſeſſen, der den Kopf auf die Hand
geſtützt und auf dieſe Weiſe faſt während der gan-
zen Fahrt ſein Geſicht verborgen habe; wohl aber
ſei von ihm, dem Zeugen, bemerkt worden, daß er
zwiſchen den Fingern hervor häufig nach Moreland
geblickt, und der Ausdruck ſeiner kleinen, funkeln-
den Augen habe ihm einen Schauder eingeflößt.
Während Moreland von dieſer Beobachtung nichts
geahnt habe, ſei der Zeuge durch eine geheimniß-
volle Macht gezwungen worden, immer wieder nach
dem ſchlangenartigen Blicke des Schwarzgekleideten
hinzuſehen. Dieſer Menſch ſei, als der Zug in
Blankville gehalten, mit Moreland ausgeſtiegen
und ihm nachgefolgt. Als dem Reiſenden die
Kunde des Mordes geworden, habe der Reiſende
ſich ſofort wieder des Schwarzgekleideten erinnert,
und eine innere Stimme habe ihm geſagt, dieß ſei
der Mörder. Als ein näheres Kennzeichen könne
er bloß angeben, daß der Verdächtige einen röthli-
chen Streifen, wie die halbgeheilte Wunde eines
Meſſerritzes, auf dem Rücken der Hand gehabt
hatte, mit welcher er ſein Geſicht verdeckt. Weitere
 
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