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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 15 - No. 26 (2. Februar - 28. Februar)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 19. ö

Mittwoch, den 12. Februar

1868.

Poste restante.
Amerikaniſche Kriminalnovelle.
Von
John Nobody.

(Schluß.)

Von dem Momente der Erwähnung Thorley's
an hatte ich an James eine auffallende Verände-
rung bemerkt; er war ſehr bleich, ſein Blick ſchweifte
unruhig im Salon umher und haftete mehrmals
auf der Thür, welche Burton's Vorſicht geſchloſſen
hielt. Ich ſah, welche furchtbare Anſtrengung es
ihn koſtete, ſich zu halten.
„Und nun, Mr. Argyll,“ fuhr Burton fort,
„werden Sie den Namen des Schurken wiſſen
wollen, welcher den Mord veranlaßte.“ Die Augen
des Advokaten und ſeiner Töchter richteten ſich un-
willkürlich auf mich; James aber ſprang entſetzt
auf und eilte nach der Thür zum Empfangszimmer,
die meines Wiſſens der Detektive nicht verſchloſſen
hatte. Burton fuhr auf ihn los, hielt ihn an den
Schultern feſt und rief mit ſtarker Stimme: „Dieſer,
Ihr Neffe James war's, der den Morder dingte!“
Einige Augenblicke herrſchte ein ſo tiefes, grau-
enhaftes Schweigen, daß man eine Nadel hätte
fallen hören, dann erhob ſich Eleanor von ihrem
Sitze und heftete, gleich einer Rachegöttin, ihren
Blick ſtarr auf James. „Ja, ich that es, Eleanor!“
ſtieß dieſer hervor und fiel bewußtlos zu Boden.
Die nun folgende Szene iſt ſchwer zu beſchreiben.
Mr. Argyll rang ſtöhnend die Hände, Mary ſtürzte
auf ihre Schweſter zu, ſank an ihr nieder und
barg wehklagend ihr Geſicht in deren Schooß.
Eleanor ſchien kalt und gefaßt; ſie hatte ſich wieder
niedergelaſſen und blickte auf ihre Schweſter, deren
ſchönes, lockiges Haupt ſie mit ihrer ſchmalen, wei-
ßen Hand ſtreichelte. Um den Ohnmächtigen ſchien

ſich Niemand mehr kümmern zu wollen, bis Mr.

Burton ſich daran machte, ihn durch geeignete
Mittel wieder zur Beſinnung zu rufen. Plötzlich
richtete Mary ſich raſch empor, trat auf mich zu
und ſagte, meine beiden Hände faſſend, mit wei-
nenden Augen: „Ich bin nie Ihre Anklägerin ge-
weſen, Richard, ich hielt Sie immer für unſchuldig;
Wum meinetwillen müſſen Sie den Andern ihren

Irrthum verzeihen!“ Ehe ich etwas erwiedern
konnte, fügte ſie mit leiſer zitternder Stimme hin-
zu: „Ich habe ihn nie heirathen wollen, ſondern
ich ward zu dieſem Schritte überredet!“ — „Be-
ruhige Dich, Schweſter!“ verſetzte Eleanor, ſich
uns nähernd. „Wir Alle, Richard, haben Ihnen
ſchweres, kaum verzeihliches Unrecht gethan, und
jetzt können wir ſehen, welch' ein edler Feind Sie
waren.“ — „Ich war nie ein Feind, Miß Argyll,
erwiederte ich; „auch habe ich nichts zu verzeihen,‚
ſondern fühle mich in dieſem Augenblicke reich ent-
ſchädigt für manchen Schmerz.“ ö
Mr. Argyll ſah außerordentlich befangen und
verlegen aus und litt jedenfalls unausſprechlich,
während James, der wieder zum Bewußtſein ge-
kommen war, ſich wie ein Raſender geberdete und
auf's Neue durchzubrechen ſuchte. Burton machte
dieſer peinlichen Szene ein Ende. „Ich rufe jetzt
Ihre Entſcheidung an, Mr. Argyll,“ ſagte er.
„So wie ich, in Verbindung mit dieſem wackern
jungen Manne, bis heute die Entdeckung geleitet
habe, ſteht es noch völlig in meiner Hand, den hier
anweſenden Verbrecher dem Gericht zu überliefern
oder nicht. Beſtimmen Sie ſelbſt, ob Ihr Neffe
dem Tode durch Henkershand, den er verdient hat,
überantwortet, oder ob ihm geſtattet werden ſoll,
zu entfliehen.“ — „Laſſen Sie ihn laufen!“ warf
Argyll hin, indem er James mit Verachtung den
Rücken kehrte. „Gehe augenblicklich und für immer!“
fügte er, zu James ſprechend, heftig hinzu. „Und
merke Dir: wenn ich Dein Angeſicht je wieder
ſehe, oder von Deiner Anweſenheit im Bereich der
Union höre, werde ich ſelbſt Dich dem Strafgericht
überliefern!“ — „Und ich deßgleichen!“ verſetzte
Burton, die Thür nach der Hausflur öffnend.
James entfloh augenblicklich.
Zuvörderſt heiſchte Leeſy's Zuſtand die vollſte
Aufmerkſamkeit; ſie erſchien, vielleicht durch das
Gehörte ergriffen, ſo hinfällig, daß es nöthig ward,
ſie zu Bett zu bringen. „Schlafen Sie ruhig!“
ſagte Burton theilnahmsvoll. „In dieſem Kreiſe
iſt ſicherlich NRiemand, der nicht Ihrer reinen Zuneigung
für den Geopferten die vollſte Achtung zollte. Sie
haben Vieles dulden müſſen und ſind immer eine
brave, ſorgſame Mutter für das arme verlaſſene

Kind Ihrer Nichte geblieben — Gott ſchütze Sie!“

Die beiden Töchter bekundeten durch die zarteſte
Sorge, daß Burton wahr geſprochen; ſie ſelbſt ge-
 
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