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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 144 - No. 155 (2. December - 30. December)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung. ö

M155.

Mittwoch, den 30. December

1868.

Die Wahrheit.

Eine Erzählung.

(Fortſetzung.)
„Ich will mich näher erklären, dann wirſt du
es ihr vielleicht Dank wiſſen. — Wir waren in
unſerer Kindheit Schul⸗ und Spielgenoſſen und
auch jetzt noch intereſſirt ſie ſich, wie ich glaube,
trotz der großen Veränderung, die in ihren äußern
Verhältniſſen ſtattgefunden hat, noch fortwährend
Weie. Wohlergehen auf die freundſchaftlichſte
eiſe.
ſuchung und Gefahr, hat daher der Gedanke an
ſie — der Gedanke, daß ſie meine Schwäche oder
Thorheit erfahren würde, mich vor Schuld und
Unheil bewahrt. Dies, Louiſe, iſt es, was dieſe
Dame für mich gethan hat — nicht mehr und
nicht weniger. Nimm daher deinen Ring zurück
und glaube mir, daß ich dir treu ſein werde ſo
lange, als du meine Treue annimmſt!“ ſagte Karl,
indem er den Ring aufhob und ihr ihn wieder an
den Finger zu ſtecken verſuchte. —
Sie entriß ihm aber heftig ihre Hand, warf
den Ring zum Fenſter hinaus und rief:
„Nein, ein halbes Herz mag ich nicht, ebenſo
wenig als eins aus zweiter Hand!
deiner Unvergleichlichen! Wir haben nichts mehr
miteinander gemein! Ich hatte niemals eine ſehr
hohe Meinung von dir, nun aber weiß ich, daß
auch gar nichts an dir iſt! Eigentliche Liebe fühlte
ich ohnehin nicht für dich und jetzt haſſe und ver-
achte ich dich! Ich bitte Sie daher nochmals, mein
Herr, gehen Sie und verlaſſen Sie das Haus, da-
mit ich nicht erſt genöthigt bin, die Polizei zu
Hülfe zu rufen!“
Dies wurde in ſehr leidenſchaftlichem Tone ge-
ſprochen, aber es lag dabei zugleich in Louiſens
Blicken und Worten ein giftiger, boshafter Aus-
druck, der in Bezug auf ihre wirkliche Meinung
und ihren wahren Charakter in Karl's Gedanken
keinen rettenden Zweifel mehr übrig laſſen konnte.

Der ganze Auftritt war ihm wie eine plötzliche

Offenbarung. Er erhob ſich mit Würde und ſagte:
„Leb' wohl, Louiſe! Du biſt nicht die Louiſe,
für welche ich dich hielt! Ich habe mich in dir
ebenſo ſehr getäuſcht, als du dich in mir getäuſcht
zu haben vorgibſt! Dank ſei dem Himmel, daß

Oft, Louiſe, in mancher Stunde der Ver-

Geh' nur zu

der Irrthum noch zeitig genug ſich herausgeſtellt

hat! Ich danke auch dir, Louiſe, für meine wie-
dergeſchenkte Freiheit! Ja, es iſt eine bittere Lehre,
aber eine heilſame!“ ſetzte er hinzu, wiſchte ſich
raſch einige Thränen der Entrüſtung von den Au-
gen, drehte ſich um und verließ das Hausss.
„Dem Himmel ſei Dank, daß ich ihn los bin!
Jetzt, wo ſein Onkel ihn verſtoßen und er ſeine
Stelle eingebüßt hat, beſitzt er ja gar nicht einmal
die Mittel, um nur ſich ſelbſt, geſchweige denn eine
Frau zu ernähren! Wenn ich ihn jetzt heirathete,
ſo müßte ich ihn ernähren. Das fällt mir aber
nicht ein und ich wäre ſehr albern, wenn ich es
thäte, beſonders da er mit einer Dame bekannt iſt,
die er ſo unendlich hoch über mich ſtellt! Ich
möchte wiſſen, wer ſie iſt! Doch gleichviel — es
kommt nichts darauf an! Ich werde Sorge tra-
gen, ſeinen Freund, den hübſchen Franz, wiſſen zu
laſſen, daß ich nun frei bin; denn der iſt ein
Mann, welcher für mich eine weit beſſerg Partie
wäre als Karl!“
Und während dieſes Alleingeſprächs nahm Louiſe
wieder an ihrem Arbeitstiſche Platz, um den Pari-
ſer Hut vollends fertig zu machen.
Mittlerweile ging Karl, noch ganz erfüllt von
ſchmerzlichem Erſtaunen über die Selbſtſucht, Härte
und Falſchheit in Louiſens Gemüth, wie dieſes ihm
ſich jetzt auf einmal gezeigt hatte, ſeines Weges
weiter. In ſeinem tiefen Hinbrüten gewahrte er
nicht, daß ein Mann von dem enigegengeſetzten
Ende der Straße auf ihn zukam, ſodaß er beinahe
an ihn angerannt wäre. ö ö
„Hoho, Karl! Biſt du wirklich ſo toll gewor-
den, wie die Leute ſagen?“ rief der Begegnende
raſch ausweichend.
„Ach Franz, du biſt es?
übel!“ ö
„Rein, nein, durchaus nicht! Nun wie ſteht's?“
„Ach, lieber Franz, ich habe noch nicht ſieben
Stunden lang die Wahrheit geſprochen und ſchon
habe ich mich mit meinem Onkel, mit meinen Prin-
cipalen und mit meiner Verlobten entzweit!“
„Sagt' ich's dir nicht?“ entgegnete Franz.
„Wenn du dich nicht derb zuſammennimmſt, ſo
ſitzeſt du, ehe noch weitere ſieben Stunden verge-
hen, im Irrenhauſe! Deine gute alte Tante iſt
ſchon bei Schulze, Müller und Meyerheim geweſen,
um ſich nach dir zu erkundigen. Die Geſchichte,

Nimm es nicht
 
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