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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 66 - No. 76 (3. Juni - 28. Juni)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M. 71.

Sonntag, den 14. Juni

1868.

In einem Spielſaale in Calla.“)

(Von einem deutſchen Seemanne.)

Nach einer raſchen Fahrt auf einem der pracht-
vollen Dampfer der „Compagnie Generale Trans-
atlantique“ von Saint Nazaire langten wir wohl-
behalten in Aspinwall an, wo wir nach einem
Aufenthalte von wenigen Stunden den Dampfwagen
beſtiegen, der uns nach Panama bringen ſollte. Es
traf ſich ſehr glücklich, daß der Führer des Zuges
nüchtern war; in Folge dieſes Umſtandes langten
wir denn auch mit ganzen Gliedern in Panama an,
was bekanntlich nicht immer geſchieht. Vor einiger
Zeit vertrauten ſich die Paſſagiere des „Weſt-⸗India“⸗
Dampfers in Aspinwall einem Eiſenbahnzuge an,
deſſen Führer total berauſcht war und wie der
Teufel dahinfuhr. An einer gewiſſen Stelle, wo
eine ſehr primitive Brücke über einen faſt boden-
loſen Abgrund führte, paſſirte es, daß einige Ketten
riſſen; zugleich brach die Brücke ein und der ge-
ſammte Zug verſchwand im Abgrund. Der ge-
wiſſenhafte Locomotivführer bemerkte das ſchauer-
liche Unglück erſt bei ſeiner Ankunft in Panama,
wo er ſich umſchaute und ganz kaltblütig äußerte:
„Damn it, Ilost my train.“ (Verdammt, ich habe
meinen Zug verloren.) Damit war die Geſchichte
abgemacht und es kümmerte ſich Niemand mehr um
die verunglückten Paſſagiere. Die Eiſenbahngeſell-
ſchaft, welche jährlich 80 bis 90 Ct. Dividende
vertheilt, fühlte ſich nicht einmal verpflichtet, Nach-
forſchungen anzuſtellen oder den Schuldigen zur
Verantwortung zu ziehen. Die einzige Strafe,
welche er erhielt, war die, daß die Geſellſchaft ihn
mit erhöhtem Gehalte nach Valparaiſo ſchickte, wo
er ſeine lebensgefährliche Thätigkeit der Bahn nach
San Jago de Chile widmete.
glücksfälle, die ſich häufig genug ereignen, aber ſehr
ſelten ihren Weg in die Spalten amerikaniſcher oder
europäiſcher Zeitungen finden, blüht dieſe Bahn in
einer beiſpielloſen Weiſe, eben weil ſie keine Con-
currenz hat und weil ſich ihr alle Reiſenden, welche
von Neuyork nach Californien oder zurück wollen,
anvertrauen müſſen, falls ſie nicht den Weg um
Cap Horn einſchlagen wollen, der viel weiter, ge-
fährlicher und theurer iſt.

) Aus der „Wiener Ztg. 2

Trotz ſolcher Un-

Und doch beweiſen ſolche Vorfälle, wie der ſo
eben erzählte, einen großen Fortſchritt der Civili-
ſation auf dem Iſthmus, wenn man dagegen die
Geſchichten von den ſchauderhaften Verbrechen an-
hört, wie ſie noch vor zwanzig Jahren hier verübt
wurden. Es war nämlich zur Zeit der erſten Gold-
entdeckungen in Californien, als ſich auf dem Iſth-
mus, beſonders in Panama, das ſcheußlichſte Ge-
ſindel verſammelte, welches die Welt kannte. Es
waren Abenteurer aus aller Herren Ländern, aus
England, Frankreich, Mexico, Braſilien ꝛc.; natür-
lich ſtellte die mächtige Union im Norden das größte
Contingent. Jedes Schiff, welches von San Fran-
cisco hier einlief, brachte eine Verſtärkung, denn
während diejenigen, welche in Californien viel Gold
gefunden hatten, ihren Weg nach civiliſirten Gegen-
den fortſetzten, blieb der Bodenſatz, der mit getäuſch-
ten Hoffnungen aus dem Goldlande zurückkehrte,
meiſt in Panama zurück. ö ö
Es iſt ſelbſtredend, daß dieſer Abſchaum der
Menſchheit ſich nicht dazu bequemen mochte, auf
ehrliche Weiſe ſein Brod zu verdienen, und da eine
Speculation auf die Großmuth der Nebenmenſchen
in ganz Amerika gründlich fehlſchlägt, ſo blühte auf
dem Iſthmus bald ein Straßenräuberunweſen, wie
man es bisher noch nicht gekannt hatte. Kühnere
und verwegenere Naturen zogen ſich auf die der
Stadt Panama gegenüber liegenden Inſeln zurück,
wo ſie Geſinnungsgenoſſen fanden, die ihnen behilf-
lich waren, kleine Fahrzeuge auszurüſten, womit
dann ein ſchwunghafter Seeraub getrieben wurde.
Dieſes Geſchäft rentirte ſich ſehr gut und zog bald

die Aufmerkſamkeit der Regierung auf ſich. Auf

dem Lande häuften ſich Verbrechen auf Verbrechen,
ſo daß ſich die Bahnverwaltung genöthigt ſah, ihren
Betrieb zeitweilig einzuſtellen, weil die Räuberban-
den beinahe regelmäßig die Eiſenbahnzüge ausplün-
derten. Da erſchien eines ſchönen Tages bei dem
Haupidirector der Bahn in Panama, der zugleich

Bürgermeiſter und Chef der Sicherheitsbehörde der

Stadt war, ein Mann in einer mit Goldſtickereien
überladenen Uniform und ſtellte ſich dieſem Func-
tionär als Oberſt der U. S.⸗Armee vor. Der Oberſt
ſchlug dem Bahndirector ein Uebereinkommen vor,
gemäß welchem er ſich anheiſchig machte, das ganze
Geſindel in einer beſtimmten kurzen Friſt unſchäd-
lich zu machen, und der Herr Director verpflichtete
ſich im Namen der Bahn und der Stadt, dem Ober-
 
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