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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 92 - No. 104 (2. August - 30. August)
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Heidelberger gamilienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 103.

Freitag, den 28. Auguſt

1868.

Franz. Alzeyer

Eine Geſchichte aus den Befreiungskriegen von Paul Heyſe.

(Schluß.)
Eben weil ich das verhüten will, ſagte Lutz und
ſah ihn feſt an, darum bleib ich hier. Dich nicht
verſtehn, du naͤrriſcher Menſch? Glaubſt du, dazu
brauche man eine abſonderliche Weisheit und Hell-
ſeherei? Aber du willſt nicht verſtehn, und darum
muß ich jetzt deutſch mit dir reden: Einen dummen
Streich haſt du begehen wollen, und einen ſchlechten
Streich, dich aus der Welt zu ſchleichen, ohne Ab-
ſchied, wie man es nennt „auf franzöſiſche Manier“.
Ich bin aber kein Freund von den franzöſiſchen
Manieren und die Molly eben ſo wenig, und darum
ſag' ich dir's in grobem Deutſch, daß du dich ſchä-
men ſollſt. Du haſt nicht mitgethan und was dich
dran gehindert hat, iſt trübſelig genug, aber die
Moral davon iſt, daß du von heut an mitthun
mußt, iſt's nicht im Krieg, ſo iſt's im Frieden,
denn es ſieht in Deutſchland nicht darnach aus,
daß ein ehrlicher Junge die Hände in den Schooß
legen dürfte, und mit einem Raketenſchuß ſich unter
die Sterne befördern; und erſt recht nicht, wenn ein
Mädel auf der Welt iſt, dem dieſer Schuß gerade-
wegs mit durchs Herz ginge, von anderen guten
Kameraden, die's übel nehmen möchten, ganz zu
ſchweigen. Und darum bin ich jetzt gekommen, dich
abzuholen in's Freie hinaus, denn in dieſer gott-
loſen Manſarde iſt eine Stickluft, in der man die
nichtsnutzigſten Grillen ausbrütet, und die Luft
unter den alten Ulmen im Lyceumshof, denk' ich,
wird dir geſunder ſein. Hab' ich dich Run ver-
ſtanden, du großes Kind? ö
Bruder ſagte Fritz dumpf und ſchüttelte den
Kopf, es iſt dennoch unmöglich. Ich will dir glau-
ben, daß es euch leid um mich thut, und daß ſie
mir jetzt mehr zugethan iſt, als dir, weil du glück-
lich biſt und ich ein verlorner Menſch, deſſen ſich
ein Engel wie ſie iſt, wohl erbarmen mag. Aber
wenn ſie erſt Alles weiß, wie es gekommen, und
daß ich den Vater —
Kein Wort mehr! brauſte der Andere auf. Wir
verderben die ſchöne Zeit und das arme Weſen ver-
geht indeſſen vor Angſt und Ungeduld. Alles weiß
ſie, nicht ein Jota hab' ich ihr verſchwiegen, ſie

ja kein Cenſurtag.

weiß aber auch, daß du's hart abgebüßt haſt, und
daß es überhaupt nicht aus dir ſelber kam, ſondern
in einer finſtern Stunde über dich hereinbrach wie
ein Unglück. Und nun erwartet ſie, daß du den
Kopf wieder aufrichten wirſt und wieder anfangen
zu leben, für dich und für ſie, und ich habe ihr
vexſprochen, noch dieſen Abend dich zu ihr zu brin-
gen, damit ſie es aus deinem eigenen Mund hören
könne: was dahinter liege, ſei ab und vorbei, und
vor dir ſei's wieder helle, wie vor uns Anderen,
die dies Jahr durchgekämpft haben, jeder auf ſeine
Weiſe.
Er ſtürzte ihm an den Hals, denn das Wort
erſtickte ihm, und ſo hielten ſie ſich lange feſt an-
einandergedrückt und ſchämten ſich ihrer Thränen
nicht, bis ſie ſich wieder ermannt hatten und Arm
in Arm die Treppe hinabſteigen konnten, hinaus in
die wimmelnde Stadt, wo die Leute ſtill ſtanden
und den Fritz mit Staunen und Rührung betrach-
teten, wie einen unſchuldig Eingekerkerten, deſſen

Haft ein allgemeines Landesfeſt geſprengt hat. Er

ſelbſt ging neben ſeinem Freunde durch die Gaſſen,
als wäre ihm Alles fremd, Häuſer und Menſchen,
und ſeine Augen waren weit voraus und ſuchten
die wohlbekannte Pforte des alten Schulhauſes.
Als ſie endlich davor ſtanden, ſchien er ſeinen Füßen
nicht zu trauen, ob ſie ihn auch über die Schwelle
tragen würden. Der Lutz aber ſchob ihn hinein
und raunte: Faß dir ein Herz, großes Kind, es iſt
Ich warte hier unten, bis du
wiederkommſt. ö
Wohl eine Stunde hatte er zu warten, ſie moch-
ten ſich viel zu ſagen haben, und die Zeit wurde
ihm nicht lang, denn auch er hatte viel zu denken
und war zufrieden allein zu ſein, und unten auf
der dunklen Treppe ſitzend all die Jahre zurückzu-
leben und unter manches Frohe und Traurige einen
Strich zu machen. Ob ihm wirklich im Pulver-
dampf Alles zerſtoben war, was ihn ſo oft dieſe
Treppen hinauf begleitet hatte? — — Er hörte
jetzt Tritte über ſich und rief: Biſt du's, Fritz?
Und der Fritz antwortete: Wir ſind es! Und wie
nun die drei jungen Verbündeten, eine neue heilige
Allianz, in die illuminirte Stadt hinaus traten,
Molly und ihr Erwählter mit ſtillglänzenden Ge-
ſichtern und ſehr wenig geſprächig, der Lutz aber
im redſeligſten Uebermuth, hätte wohl Niemand
das Schickſal ihnen an der Stirn geleſen, das ſie
 
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