Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Heidelberger Familienblätter — 1868

DOI chapter:
No. 15 - No. 26 (2. Februar - 28. Februar)
DOI Page / Citation link: 
https://doi.org/10.11588/diglit.43665#0095

DWork-Logo
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M.22.

Mittwoch, den 19. Februar

1868.

Das Gebetbuch meiner Frau.

(Fortſetzung.)

Mein Vertheidiger ſtand nun auf und fragte
ihn, wie er wiſſen könne, daß ich die damals
von ihm geſehene Perſon ſei? — An der Stimme,
und weil zu der Zeit der Mond mir voll ins
Geſicht geſchienen hätte, habe er mich deutlich er-
kannt. Er ſei überzeugt, daß es der Angeklagte
geweſen ſei.
Der zweite Zeuge wurde hereingeführt; ein
blaſſer, rothhaariger Lump von fahler Geſichts-
farbe, mit ſehr kleinen, röthlichen Augen, weißen
Augenwimpern, einem großen, breiten, graden
Munde und eine von den unangenehmen Naſen,
die ausſehen, als ob ein ſtarker Hieb mit einem
ſcharfen Werkzeug ſie mitten durchgeſchniten hätte,
horizontal, gerade über die Naſenſpitze.
Er ſagte aus, er habe über dem überhangenden
Theile des Vorderkaſtells geſeſſen. Alle übrigen
von der Wache hätten auf dem Deck geſchlafen,
außer ihm und dem Wachthabenden.
er ſagte, den Angeklagten und den Verſtorbenen
auf das Vorderkaſtell ſteigen und er hörte, wie ſie
über die Rauferei bei Tiſche im Streit waren und
dann ging er näher und ſah ihnen zu, von dem
geblähten Segel aus auf dem Vorderkaſtell, zugleich
mit dem Wachthabenden. Der letztere Zeuge und
ſie ſahen wie der Angeklagte den Verſtorbenen auf
den Kopf ſchlug mit dem meſſingnen Stricknagel
und ihn dann über Bord warf. Als er fiel, hörte
er das Platſchen und war in dem Augenblick zu
ſehr überraſcht um Lärm zu ſchlagen und zu ſchreien,
und als er ſich gefaßt hatte, hielt er für's beſte,
nichts darüber zu ſagen! Smithſon ging ihn ja
nichts an.
„Hatten Sie die Abſicht, von dem Angeklagten
Geld zu erpreſſen, indem Sie ſein Geheimniß ihm
vorhielten?“
„Ja freilich. Smithſon ging mich nichts an.“
an keine Gerechtigkeitsrückſichten bewogen Sie,
die Sache anzugeben? ö
„Keine. Was kümmere ich mich um die Ge-
rechtigkeit? Wenn wir den Mund aufgethan hät-
ten, würde man uns die ganze übrige Reiſe hin-

etwas.

Er ſah, wie

durch aufgepaßt haben, und anſtatt unſern Paß

am Lande zu haben, hätten wir vor dieſem Gerichts-
hof uns herumſchleppen laſſen müſſen, eine oder
zwei Wochen lang für einen lumpigen Dollar den
Tag, oder dergleichen. Wenn die Gerechtigkeit mich
braucht, ſo muß ſie mich bezahlen.“ ö
„Und während 10 Jahren haben Sie gänzlich
über die Sache geſchwiegen?“
„Ja. Ich hatte den Angeklagten aus dem Ge-
ſichte verloren, und dachte nicht weiter daran, denn
ich fuhr nach dem Süden, und nach der Goldküſte,
und wir machten nicht ſo viel Umſtände, dort einem
das Garaus zu machen, als Sie hier zu thun
ſcheinen.“ ö
„Was bewog Sie jetzt aufzutreten ?“CT
„Ich ſah die Anzeige und ſagte zu mir: „Nu,
das ſieht nach was aus; 1000 Dollar iſt doch
Die Gerechtigkeit zeigt ſich anſtändig, und
das iſt ſicher.“
„Und wem gaben Sie die erſte Nachricht?“
„Herrn Sharper, und er verſprach, wenn der
Angeklagte gehängt würde, wie ich hoffe, daß er es
wird, ſollten ich und mein Kamerad den doppelten
Betrag erhalten.“ ö
„Ein unwillkürlicher Schrei: „O, die Schande!“
erhob ſich jetzt im ganzen Gerichtsſaale.
„Stille! Stille!“ riefen die Gerichtsdiener.
„Noch eine Frage, Herr Richter, und ich bin
fertig mit einem der niederträchtigſten Geſchöpfe,
die ich je zu befragen gehabt habe. — Sind Sie,
wohl eingedenk, daß Sie vereidigt ſind, bereit, an-
zugeben, daß der Angeklagte der Mann war, der
den Streich führte? Wie wiſſen Sie das?“
„Ich ſah ihn, ſage ich Ihnen, in dem hellſten
Mondſchein — es war Vollmond — ſo klar wie
bei Tage.“
„Sie können gehen.“
„Der wachthabende Beamte ſoll dafür Sorge
tragen, daß die Zeugen den Gerichtshof nicht ver-
laſſen, bis er geſchloſſen iſt,“ ſagte der Richter.
Des Anklägers Advokat reſumirte nun den Fall.
Diesmal wurde der hinkende, ſtockende, jüngere
Advokat durch den älteren erſetzt, der fließend ſelbſt-
vertrauend und lächelnd ſprach, wie ein gemachter
Mann. Er ging die Thatſachen einzeln durch, indem
er ſich ſehr genau auf jenen verfluchten Streit ein-
ließ; er legte mir keine Böswilligkeit bei, außer
der, welche von der Gereiztiheit, die der Streit

nachgelaſſen, herrührte, und ſchloß damit, daß er
 
Annotationen