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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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Heidelberger Familienblätter.

Belleriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 105.

Mittwoch, den 2. September

1868.

Doppelt gerettet.

Aus einem Briefe an die Redaction des Familienjournals.

(Schluß.)
Für uns begann nun eine Kette von Leiden;
wir mietheten eine kleine möblirte Wohnung, es
fehlte an Allem, was wir ſonſt gehabt. Meine
Gage war gering. Als ich auf Verbeſſerung drang,
ſagte mir der Director unverhehlt: ich hätte kein
Talent für die Bühne. Kein Talent für die Bühne!
und doch hatte ich um ihretwillen mein ſicheres
Brod aufgegeben! Ich knirſchte mit den Zähnen,
ich wüthete. Meine arme Frau, von ſchwerem
Wochenbett kaum erſtanden, litt unſäglich unter
meiner verzweifelten Stimmung.
Ich will darauf verzichten, ein Bild der nun
folgenden wenigen Monate zu geben. Wüſtem Le-
ben ergab ich mich, innere Zerrüttung packte mich
gräßlich an. Ich ſpielte, und wenn ich gewann,
ergötzte ich mich bei perlendem Champagner in der
Geſellſchaft eitler Theaterprinzeſſinnen. Mein Weib
trat immer mehr in den Hintergrund, ihr blaſſes,
vergrämtes Geſicht ward mir läſtig. Selbſt der
Anblick meiner Kinder war mir fatal, weil ich den
Vorwurf nicht ertragen konnte, nicht ertragen wollte,
der daraus ſprach. Ich vermied es, mich dieſem
Anblick zu oft auszuſetzen. ö ö
Das innere Zerwürfniß war jedoch ſtärker als
das äußere. Die ewigen kleinlichen Chikanen des
Schauſpielerlebens, die ſtete Aufregung mit der
darauffolgenden Abſpannung, der häufige Mangel
an Geld, die ſtumme Mahnung der Meinigen,
welche daheim darbten, verſetzten mich in einen
Zuſtand thörichten Trotzes und Zorns, der endlich
in völlige Zerknirſchung und Verzweiflung über-
ging. Ich glaubte an keine rettende Vorſehung.
Du biſt verdammt, unglücklich zu ſein, unterzuge-
hen! ſagte ich mir. Nach oben blickte ich nicht
mehr, ſondern mein Auge bohrte ſich in den Boden.
Alle Hoffnung erſchien mir eitel.
„Einen einzigen Verſuch machte ich, wieder eine
meiner früheren ähnliche Stellung zu finden, aber
meine Prätenſion richtete ſich nur auf eine mehr
hervorragende Stellung und als man den Schau-
ſpieler mit achſelzuckendem Bedauern abwies, da
unterließ ich es, weiter zu ſuchen.
Für mich, für meine ganze Familie nahte jetzt

letzten Mittel

ner Wohnung.

eine Kataſtrophe. Es iſt bekannt, daß in unſerer
Zeit Morde und Selbſtmorde ſich häufen, als deren
Urſache die Noth mit ihrem ſchrecklichen Gefolge
von Verzweiflung und innerm Zerfall gilt. In
dieſem Stadium befand ich mich. Es iſt möglich,
daß es Fälle giebt, in denen völlig unverſchuldetes
Elend zum Aeußerſten treibt; an mir aber ſah ich,
wie es oft mit der vermeintlichen Noth hergeht:
eigene Schuld, Hand in Hand mit Eitelkeit, die das
Schuldbewußtſein nicht aufkommen läßt, Unfähig-
keit auf angewöhnte Genüſſe und perſönliche Ei-
genheiten zu verzichten, abſoluter Mangel an Gott-
vertrauen, ja trotziges Sträuben gegen dieſes, das
ſind nur zu oft die Grundübel der fürchterlichen
Verbrechen, die mehr und mehr zu einer Krankheit

der Zeit geworden ſind.

Sogar die Mittheilungen über derlei Verbrechen
in den Tagesblättern wirken anſteckend. Ich las
eines Abends von einem berliner Kaufmann, der
ſich und ſeine ganze Familie ermordet hatte, um
der Noth zu entrinnen. Das packte mich dämo-
niſch an. „Thue daſſelbe und Alles iſt zu Ende!“
rief es in mir und daran reihte ſich nun eine ganze
Kette von tollen Flüchen, die jede andere Regung
in mir erſtickten.
Ich war entſchloſſen, daſſelbe zu thun. Meine
waren aufgezehrt, meine Familie
darbte — hinweg, hinweg aus der ſchnöden Welt,
hinaus in das grenzenloſe, ewige Nichts des Ver-
geſſens! ö
Ich raffte mich auf und ſchritt raſch nach mei-
Es war ſpat in der Nacht; leiſe,
wie ein Mörder ſchreitet, trat ich ein. Mein Weib
erwachte nicht — das erſchien mir als ein ermu-
thigendes Zeichen. Der Dämon des Mordes hatte
in meinem zerriſſenen Innern abſolute Herrſchaft.
Ich zog mein Raſirmeſſer hervor, ich ſchritt leiſe
zur Schlafkammer, deren Thür geöffnet war. Ei-
nige Momente und Alles iſt vorbei! Erſt ſie —
dann ich!
Der Mond ſchimmerte hell durch die blanken
Scheiben. Dort, auf dürftigem Bett lag mein blei-
ches, abgezehrtes Weib, das einſt prangte in holder
Schöne und an meiner Seite glücklich zu werden
gehofft hatte. Glücklich! Bitterſte Satyre auf mein,

auf unſer verfehltes Leben! ö

Ihr nackter Arm, weiß im Mondeslicht wie
ein Todtengebein, hielt unſer jüngſtes Kind, den
 
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