Heidelberger Familienblätter.
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M25.
Mittwoch, den 26. Februar
1868.
Die Gräfin Chorinskhy.
CFortſetzung.)
„Gute Nacht.“ — Und ohne weitere Zögerung
ſchritt ſie durch die Reſidenzſtraße nach der Lud-
wigsſtraße zu. Nun hatte ich auch ihre Sprache
gehört. Ihr Ausdruck war dezidirt, ihr Accent
theatraliſch. Ich folgte ihr in einiger Entfernung.
Dicht vor dem Bankgebäude trat ein Mann
mittleren Alters auf ſie zu. Sie wechſelten
Worte. Neugierde, Eiferſucht beſchleunigten meine
Schritte. ö
Die Unterredung ſchien lebendig, ja zornig zu
ſein. Die Gräfin wollte dem Zudringling offen-
bar ausweichen, doch er verfolgte ſie raſtlos. Ich
hatte ſie erreicht und ging, wie von ungefähr und
als merkt' ich ſie nicht, haſtig vorüber. ö
Da plötzlich tͤnten die Worte: „Mein Herr!
ich bitte um ihren Schutz,“ in mein Ohr.
ſah mich überraſcht um. Die
vor mir. ö
„Mein Herr! Ich bitte um Ihren Schutz,“ —
wiederholte ſie dringend.
Ich bot ihr den Arm, — wir gingen an der
Loggia vorüber der Theatinerkirche zu.
„Jener Menſch,“ — fuhr die Gräfin ſichtbar
beängſtigt weiter und deutete auf eine männliche
Geſtalt im Nebel vor uns — „jener Menſch ver-
folgt mich ſeit einiger Zeit ſo auffallend und un-
aufhörlich, daß ich fürchten muß, er ſei von meinen
Feinden geſendet.“ ö
„Haben Sie Feinde, reizende Dame?“ — flü-
ſterte ich. ö ö
Gräfin ſtand
lich verlegen, eine Aeußerung gethan zu haben,
welche nothwendig, wollte ſie nicht geheimnißvoll
unhöflich ihren Beſchützer verlaſſen, zu weiteren
Erörterungen führen mußte. ö
„Haben Sie Feinde?“ wiederholte ich drin-
„gender.
Ja, mein Herr! ich habe Feinde,“ ſagte ſie
ſchüchtern befangen. ö
Mur einige oder viele und welche?“
Sie ſchien ſich zu beſinnen, dann
ů ö ſah ſie mir
zentſchloſſen in's Auge und ſprach:
Ich
Ihr Arm zitterte in dem meinen; ſie war ſicht-
Frankomarke bekommen.“
„Mein Herr! ehe ich Ihnen geſtatten kann,
tiefer in mein Geheimniß zu dringen, bitte ich um
ihren Namen. Sie werden verzeihen! Es iſt kei-
neswegs Mißtrauen in Ihrem Charakter, ſondern
nur Vorſicht. Auch Sie verfolgen mich ſeit eini-
ger Zeit.“ ö ö ö
„Allerdings, ich folgte und folge Ihnen ſeit
einiger Zeit, allein ich verfolgte und verfolge Sie
nicht,“ — war meine gelaſſene Antwort.
„Warum aber folgen Sie mir?“ warf ſie mir
raſch entgegen. ö
„Weil Ihre ganze Erſcheinung in edler Einfach-
heit und offenbar ſtiller Zurückgezogenheit etwas ſo
Intereſſantes und Anziehendes für mich — den
Künſtler und Novelliſten beſitzt, daß mich ſeither
ein unwiderſtehlicher Drang, Ihr Geheimniß zu er-
gründen, ruhelos umhertreibt.“
„Alſo nur um Stoff zu einer Novelle zu be-
kommen, folgen Sie mir? — Soll das vielleicht
ſchmeichelhaft für mich ſein?“
„Doch nicht beleidigend?“
„Wenn aber mein ganzes Leben und Streben
mein ganzes Fühlen und Denken völlig unbedeu-
tend wäre? Wie dann?“ ö ö
„Meine Dame! Sie leiden, Sie ſind unglück-
lich, Sie ſind verfolgt, wie der heutige Abend be-
wieſen.“
„Woher wiſſen Sie, daß ich leide, daß ich un-
glücklich bin?“ ö ö
„Ihre Thränen vor dem Bilde des Gekreuzigten
am Allerſeelentage haben es mir geſagt. Erinnern
Sie ſich?“
„Ja, mein Herr! Ich habe Sie im Schatten
des Pfeilers geſehen.“ ö
„Faſſen Sie Vertrauen zu mir!“
„Mein Herr! Ich kenne Sie nicht.“ ö
Ich ſagte ihr ohne weitere Zögerung Name
und Stand. ö
Sie ſchwieg, beſann ſich und fragte: ö
„Waren Sie nicht früher in Augsburg bei . ..2“
Ich bejahte die Frage. Und wieder wurde ſie
ſtill und verſank in Nachdenken. Wir kamen an
einem offenen Krämerladen vorüber. Mir fiel der
Brief ein. ö *
„Meine Dame, hier können wir vielleicht eine
Es iſt doch ſchon zu ſpät fur mich, nochmals
Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.
M25.
Mittwoch, den 26. Februar
1868.
Die Gräfin Chorinskhy.
CFortſetzung.)
„Gute Nacht.“ — Und ohne weitere Zögerung
ſchritt ſie durch die Reſidenzſtraße nach der Lud-
wigsſtraße zu. Nun hatte ich auch ihre Sprache
gehört. Ihr Ausdruck war dezidirt, ihr Accent
theatraliſch. Ich folgte ihr in einiger Entfernung.
Dicht vor dem Bankgebäude trat ein Mann
mittleren Alters auf ſie zu. Sie wechſelten
Worte. Neugierde, Eiferſucht beſchleunigten meine
Schritte. ö
Die Unterredung ſchien lebendig, ja zornig zu
ſein. Die Gräfin wollte dem Zudringling offen-
bar ausweichen, doch er verfolgte ſie raſtlos. Ich
hatte ſie erreicht und ging, wie von ungefähr und
als merkt' ich ſie nicht, haſtig vorüber. ö
Da plötzlich tͤnten die Worte: „Mein Herr!
ich bitte um ihren Schutz,“ in mein Ohr.
ſah mich überraſcht um. Die
vor mir. ö
„Mein Herr! Ich bitte um Ihren Schutz,“ —
wiederholte ſie dringend.
Ich bot ihr den Arm, — wir gingen an der
Loggia vorüber der Theatinerkirche zu.
„Jener Menſch,“ — fuhr die Gräfin ſichtbar
beängſtigt weiter und deutete auf eine männliche
Geſtalt im Nebel vor uns — „jener Menſch ver-
folgt mich ſeit einiger Zeit ſo auffallend und un-
aufhörlich, daß ich fürchten muß, er ſei von meinen
Feinden geſendet.“ ö
„Haben Sie Feinde, reizende Dame?“ — flü-
ſterte ich. ö ö
Gräfin ſtand
lich verlegen, eine Aeußerung gethan zu haben,
welche nothwendig, wollte ſie nicht geheimnißvoll
unhöflich ihren Beſchützer verlaſſen, zu weiteren
Erörterungen führen mußte. ö
„Haben Sie Feinde?“ wiederholte ich drin-
„gender.
Ja, mein Herr! ich habe Feinde,“ ſagte ſie
ſchüchtern befangen. ö
Mur einige oder viele und welche?“
Sie ſchien ſich zu beſinnen, dann
ů ö ſah ſie mir
zentſchloſſen in's Auge und ſprach:
Ich
Ihr Arm zitterte in dem meinen; ſie war ſicht-
Frankomarke bekommen.“
„Mein Herr! ehe ich Ihnen geſtatten kann,
tiefer in mein Geheimniß zu dringen, bitte ich um
ihren Namen. Sie werden verzeihen! Es iſt kei-
neswegs Mißtrauen in Ihrem Charakter, ſondern
nur Vorſicht. Auch Sie verfolgen mich ſeit eini-
ger Zeit.“ ö ö ö
„Allerdings, ich folgte und folge Ihnen ſeit
einiger Zeit, allein ich verfolgte und verfolge Sie
nicht,“ — war meine gelaſſene Antwort.
„Warum aber folgen Sie mir?“ warf ſie mir
raſch entgegen. ö
„Weil Ihre ganze Erſcheinung in edler Einfach-
heit und offenbar ſtiller Zurückgezogenheit etwas ſo
Intereſſantes und Anziehendes für mich — den
Künſtler und Novelliſten beſitzt, daß mich ſeither
ein unwiderſtehlicher Drang, Ihr Geheimniß zu er-
gründen, ruhelos umhertreibt.“
„Alſo nur um Stoff zu einer Novelle zu be-
kommen, folgen Sie mir? — Soll das vielleicht
ſchmeichelhaft für mich ſein?“
„Doch nicht beleidigend?“
„Wenn aber mein ganzes Leben und Streben
mein ganzes Fühlen und Denken völlig unbedeu-
tend wäre? Wie dann?“ ö ö
„Meine Dame! Sie leiden, Sie ſind unglück-
lich, Sie ſind verfolgt, wie der heutige Abend be-
wieſen.“
„Woher wiſſen Sie, daß ich leide, daß ich un-
glücklich bin?“ ö ö
„Ihre Thränen vor dem Bilde des Gekreuzigten
am Allerſeelentage haben es mir geſagt. Erinnern
Sie ſich?“
„Ja, mein Herr! Ich habe Sie im Schatten
des Pfeilers geſehen.“ ö
„Faſſen Sie Vertrauen zu mir!“
„Mein Herr! Ich kenne Sie nicht.“ ö
Ich ſagte ihr ohne weitere Zögerung Name
und Stand. ö
Sie ſchwieg, beſann ſich und fragte: ö
„Waren Sie nicht früher in Augsburg bei . ..2“
Ich bejahte die Frage. Und wieder wurde ſie
ſtill und verſank in Nachdenken. Wir kamen an
einem offenen Krämerladen vorüber. Mir fiel der
Brief ein. ö *
„Meine Dame, hier können wir vielleicht eine
Es iſt doch ſchon zu ſpät fur mich, nochmals