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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 118 - No. 130 (2. October - 30. October)
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heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 120.

1868.

Zwei Abende in einem ungariſchen
Edelhofe.

Von Robert Schild.

ortſetzung.)
Ich miſchte mich unter die Gruppe der Zuſeher
und beobachtete aufmerkſam die Beiden. Der Ad-
vocat gewann jetzt fortwährend, ohne daß ſich ſeine
Laune mit ſeinem Spielglück gebeſſert zu haben
ſchien; der Gutsbeſitzer wurde immer munterer, je
mehr er verlor. Er verlor wie abſichtlich — etwa
um ſeinen Gegner für den ruinirten Wagen zu
entſchädigen? oder bewährte ſich der alte Spruch:
Unglück im Spiel — Glück in der Liebe —?
Der Regen hörte endlich auf und der Mond
trat aus dem zerriſſenen Gewölk hervor. Mitter-
nacht war vorüber, und ein Gaſt nach dem andern
rüſtete ſich zur Heimfahrt. Auch der Advocat hatte
die Karten weggelegt.
Wieder näherte ſich mir der junge Gutsbeſitzer
und ſprach: „Ich habe vorhin etwas unfreundlich
Sie verlaſſen. Vergeben Sie mir und — denken
Sie nichts Arges von der Frau des Advocaten.
Ich wußte, daß der Mann, nur um Geld zum
Spiele zu holen, nach Hauſe fahren wollte. Darum
verdarb ich ſeinen Wagen, ſchlich mich fort, begab
mich in ſein Haus, empfing von ſeiner Frau zwei
Rollen Goldſtücke und verſpielte hier — ſein Geld
an ihn. Seine Frau iſt meine Couſine.“
Bevor ich ihm noch meinen früheren Verdacht
abbitten konnte, war er verſchwunden.
Als mein Landsmann auf dem Heimwege mich
fragte, wie mir der Abend gefallen habe? — mußte
ich geſtehen: Manches ſei in dieſem Lande anders,
als bei uns; aber ich glaube, mich mit dieſem Un-
terſchiede bald zu befreunden. ö

II.

„Sechs Jahre waren ſeitdem verſtrichen und im
Hauſe des Herrn von Mikony eine große Verän-

derung vorgegangen — ſeine Wirthſchafterin hatte

einer jungen Frau Platz gemacht. ö
Wieder wurde ein Familienfeſt gefeiert, und
diesmal erſchien ich als geladener Gaſt.
Gleich beim Eintritt in das Haus merkte man
vas Walten eines weiblichen Weſens. Alles war

Mittwoch, den 7. October

ſorgfältiger geordnet, der Hof in eine zierliche Ve-
randa umgewandelt, die Treppe mit Teppichen be-
legt, mit Lampen beleuchtet, rechts und links mit-
Blumen in geſchmackvollen Vaſen geſchmückt.
dem mit prachtvollen Tapeten ausgelegten, neu ge-
täfelten Saale hatten die alten Tiſche und Stühle
modernen eleganten Möbeln weichen müſſen. Nur
die Waffen und die Ahnenbilder prangten noch un-
berührt in ihrer ehrwürdigen Alterthümlichkeit, dien-
ten jedoch nur als huldigende Umgebung der Büſte
des Grafen Stephan von Szechenyi, welche von
Alabaſter kunſtreich ausgeführt und mit Lorbeer
bekränzt, an dem oberen Ende des Saales auf einer
altarähnlichen Säule ſtand. ö
Von der Geſellſchaft aus dem Jahre 1854 traf
ich nur Wenige wieder: den Advocaten, den alten
und den jungen Gutsbeſitzer. Der Probſt war
indeſſen geſtorben, der Huſarenmajor aber hatte
ſich von allem Umgange zurückgezogen, ſeit man
von dem Steueramte, aus welchem er ſeine Penſion
bezog, den kaiſerlichen Adler weggeriſſen.
Dafür ſah ich einige neue Geſichter, auch etliche
Damen, und eine ſehr zahlreiche Dienerſchaft bei-
derlei Geſchlechtes. Alle Herren und Diener waren
vollſtändig in die ungariſche Nationaltracht geklei-
det, und Fahnen in den nationalen Farben ſchmück-
ten die Pforte des Hauſes und die Ecken des Saales.
Auch mein Landsmann fehlte. Er und Andere

hatten mir widerrathen, mich bei der im Lande

herrſchenden politiſchen Aufregung in dieſe Ver-

ſammlung zu miſchen. Ich würde manches Ver-

letzende ſehen und hören müſſen, meinten ſie. Ich
aber ging abſichtlich hin; ich wollte durch mein
Erſcheinen beweiſen, daß ich, ohne Sympathie für
Uebertreibungen und Verirrungen, doch für den
Aufſchwung einer Nation Achtung hege. Seit ſechs
Jahren hatte ich Gelegenheit gefunden, manchen
vollen Charakter unter den Eingeborenen kennen
zu lernen, und mir mehr als Einen durch Dienſte,

die ſich mit meiner Pflicht vertrugen, verbindlich zu

machen. Auch hatte ihr Betragen gegen mich bis
zur Stunde ſich nicht geändert — warum ſollte

ich ihnen ausweichen und den wackeren Herr von

Mikony durch Ablehnung ſeiner Einladung belei-
digen? Und ich hatte es nicht zu bereuen, daß
ich ſo handelte.— —
Die Dame vom Hauſe, keine jugendliche Schön-
heit, aber voll Anmuth, hieß mich mit ungeheuchel-

In ö
 
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