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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 105 - No. 117 (2. September - 30. September)
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Hei

delberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

WM113.

Sonntag, den 20. September

1868.

Die Roſe auf dem Kirchhof.

Weſtfäliſches Haidebild aus dem Anfange dieſes Jahrhunderts
von Joſef Seiler.

(Fortſetzung.
2

Lene hatte ſich gefügt, und die Mutter ſagt ihr
alle Tage, wie ein frommes, gehorſames Kind »ſie
ſei. Und von der Eltern Segen ſprach ſie dann,

wie der den Kindern Häuſer auferbaue; aber —

der Rechte, ſo recht ganz der Rechte war der Joſt
nicht, wurde es nicht! ö
Joſt war freundlich, liebevoll — in ſeiner Art.

Der Lene fehlte es an nichts, gewiß an nichts.

Sie durfte befehlen, herrſchen — wie ſie wollte.

Freiſchießen und Kirmeßball wurden von ihr eröff-

net. Ja, was noch mehr, Mutter Marthe ſaß oben
im erſten Kirchenſtuhle, nicht allzu weit von der
Bürgermeiſterin. Aber Lene ſaß daheim und zählte
und rechnete — daß ihr zwanzigſter Geburtstag
noch fern ſei. Und dann zeigte der gute Joſt doch

auch Launen, Launen, die an ihm der jungen,

ſchönen Frau von Tag zu Tag läſtiger — zuletzt
gar unerträglich wurden. Bei der Morgenpfeife,
beim Mittagsſchläfchen, über ſeinen Rechnungsbü-
chern wollte er nicht gern, bald durchaus nicht ge-
ſtört ſein. Ja, mit der Zeit erinnerte der Haus-
hälteriſche ſie wohl gar, obgleich ganz leiſe: viel-
leicht könne man hie und da den läſſigen Mägden
etwas genauer, als es bisher geſchehen, auf die
Finger achten; auch würde es viel helfen, wenn ſie
ſo zuweilen ſich in Küch' und Keller ein wenig
umthun wolle. Sie, die niemals einen Begriff vom
Haushalten gehabt, die immer nur, wie ſo viel tau-
ſend Andere, von der Hand in den Mund gelebt
hatte! Sie, die auf ein ſeliges Nichtsthun bei
ihrem alten reichen Manne gehofft hatte! Was
konnte er ihr denn anders bieten? Und nun auch
das nicht einmal! ö
Frau Marthe fand ihr ſchönes Kind manchmal,
oft in Thränen. Und da unterließ ſie denn nicht,

wie das Weiberart ſein ſoll, den Funken des häus-

lichen Unfriedens nach Kräften zu verderblicher
Lohe ſchüren zu helfen. Dafür hatte ſie ihr Herz-
blatt nicht hingegeben, daß es nun Dienſtmagd
ſpielen ſollte bei dem reichen Herrn Schwiegerſohn.
So etwas hätte ſie ſich von ihrem Seligen nicht

gefallen laſſen, und waren doch nur geringe Leute.
Um Lenchen aber — ſie brauchte ſich's nicht zu
rühmen — um Lenchen hatte wohl der Schulmei-
ſter gefreit, der Gelehrte, der jetzt die reiche Lore,
des Roßwirths einzige Tochter, heimgeführt. ö
Joſt ward immer verdrießlicher, Lene und Frau
Marthe immer trotziger, anſpruchsvoller. Joſt, um
des täglichen Haders überhoben zu ſein, ging zu-
letzt den Weibern aus dem Wege, that ſein Sach-
für ſich und ließ ſie machen. Aber damit war's
auch nicht gut. Da gab es dienſtfertige Zungen,
die dem Herrn überbrachten, was er hier nicht ge-
ſehen, dort nicht gehört hatte und was doch all'

geredet und gethan ſein ſollte ihm zum Verdruß.

Doch ging, vor den Leuten, noch Alles ſeinen
ordentlichen, ſcheinbar ehrſamen Gang.
Unter den Ackerknechten des Angermüllers war
Michel ein ſchmurcker, hochgewachſener Burſch, der
gleich Anfangs ſeine Augen auf die ſchöne Herrin
geworfen hatte und der nun, da er ihre unverkenn-
bare Mißlaune täglich wachſen ſah, ſeine Kareſſen
um ſo eifriger betrieb. Ich habe mir ſagen laſſen,
daß ein Weib, dem in puncto puncti — ihr wer-
det ſchon wiſſen, was das heißt, und wenn ihr's
nicht wiſſet, thut's eben auch nichts — alſo ein
Weib, dem da etwas quergegangen, ein ſolches ge-
täuſchtes Weib leicht zu gewinnen ſei. Ob Michel
das dazumal auch gehört hatte, weiß ich nicht. Die
Sache verlief aber, wie jene Regel beſagt.
Am Erntefeſt hatte derzeit der älteſte Groß-
knecht das Recht, mit der Hausfrau den ländlichen
Reigen zu eröffnen. Auf der Angermühle verwal-
tete Michel dieſes Amt. Und er ſorgte dafür, von
ſeiner Fugniß Gebrauch zu machen. Joſt hatte
ſich gleich Anfangs, da er natürlich kein Freund
vom Tanzen war, zurückgezogen. Seiner Frau
ließ er jedoch völlige Freiheit und erinnerte ſie nur,
„des Guten nicht allzuviel zu thun.“
Michel ließ es bei dem erſten Tänzlein nicht
bewenden. In wildem und immer wilderem Wir-
bel führt er mit der hochglühenden Lene den Rei-
gen. Dieſe, von Wahn und Sinnenluſt bethört,
glaubte, als Herrin brauche ſie Niemanden zu
ſcheuen, und gab ſich all' der Herzenswonne ohne
Bedenken hin. Aber aufmerkſam lauernde Augen
und Ohren waren überall nahe. Kein Blick, kein
Seufzer, kein Händedruck — nicht das leiſe Wört-
lein ging da verloren. Ob ausdrücklich von Joſt
 
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