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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 15 - No. 26 (2. Februar - 28. Februar)
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Heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiſche Veilage zur Heidelberger Zeitung.

M16.

Mittwoch, den 5. Februar

1868.

Poste restante.
Amerikaniſche Kriminalnovelle.
Von
John Nobody.

(Fortſetzung.)

Gegen Mittag beſuchten wir Leeſy, welche mich

noch immer, als den Urheber eines Theiles ihrer
Leiden, mit dem Ausdrucke des Mißbehagens, da-
gegen den Detektive wie einen Freund empfing.
Ihr Ausſehen machte mich betroffen; keine Spur
mehr von der früheren Blüthe und dem leiden-
ſchaftlichen Feuer der Augen. Sie glich einem
lebenden Skelet. Als Burton erwähnte, daß er

auf zwei bis drei Monate verreiſen müſſe, ſchrack

ſie zuſammen und ward noch bleicher als gewöhn-
lich. Anfangs konnte ich mir den Grund dieſes
Schreckens nicht erklären, doch Burton's Troſt:
daß ſie mit ihrem Kinde auch während ſeiner Ab-
weſenheit nicht verlaſſen ſein werde, ſagten mir,
daß es die Angſt war, ſie könne hülflos werden. —
„Tauſend Dank für Ihre Güte und Gottes Segen
begleite Sie auf Ihre Reiſe!“ erwiederte das Mäd-
chen. — „Ich weiß Ihren Segenswunſch gewiß zu
ſchätzen, Miß Sullivan, aber es gibt für Sie noch
eine andere Weiſe, mir für meine Reiſe dienlich zu
ſein.“ — „Nun, welche, Mr. Burton?“ fragte ſie
aufmerkſam. — „Sie ſollen mir Alles mittheilen,
was Sie über Norah's Vater wiſſen.“ — „Warum,
Sir?“ entgegnete ſie, erſchreckt das Kind in ihre
Arme ſchließend. „Hoffentlich iſt er nicht in der
Nähe!“ — „Und wenn er es wäre? Liegt Ihnen

nicht daran, Norah unter dem Schutze ihres Vaters

zu wiſſen, wenn Ihnen ſelbſt etwas zuſtoßen ſollte?“
— „Mr. Burton, darauf will ich Ihnen antwor-
ten. Ich weiß, daß ich bald ſterben muß, daß der

Schnee des nächſten Winters mein Grab decken.

wird; aber ehe ich meine kleine, liebe Norah den
Händen ihres Vaters überliefern möchte, wollte ich
ſie lieber im Waiſenhauſe ſehen, ja lieber wollte

ich ſie obdachlos hinausſtellen auf die Straße und
dem zufälligen Mitleid überlaſſen.“ — „Aber warum
nicht ihrem. Vater 2“ — „Weil er ein grundſchlech-
ter Menſch war — oder iſt, wenn er noch leben

ſollte.“ — „Freilich ſoll er ioch leben, und zwar

Fabwehrende Bewegung.

in Kalifornien, und da ich nach San Franzisko
gehe und von da aus vor meiner Rückreiſe die
Goldminen beſuchen werde, ſo könnte ich im In-
tereſſe Norah's vielleicht ihren Vater ausfindig
machen; er wird inzwiſchen Geld zurückgelegt haben.“
— Leeſy ſchüttelte heftig den Kopf und machte eine
„Und wenn dieß auch der
Fall wäre — Geld von ihm bringt keinen Segen.
Mit dieſem Manne geht der Fluch.“ — „Wie hieß
er denn?“ fragte Burton wie beiläufig, ich merkte
indeß wohl, daß er auf dieſe Perſönlichkeit ein
großes Gewicht legte. — Leeſy blickte ihn beſorgt
an und zögerte mit der Antwort. — „Ich verſpreche
Ihnen auf meine Ehre, daß der Mann weder
Ihnen noch Ihrem Kinde Uebels zufügen ſoll, noch
daß ich die Abſicht habe, das, was Sie mir mit-
theilen, zu Ihrem Nachtheil zu benützen; aber
wiſſen muß ich Alles, und ich verlange, daß Sie

offen darüber ſprechen, Leeſy. Alſo, wie hieß der
Vater dieſes Kindes?“ — „George Thorley,“ ant-

wortete Leeſy tonlos. Ich ſprang von meinem
Seſſel auf und wiederholte mechaniſch den Namen.
— „Kannten Sie ihn?“ fragte das Mädchen ge-

ſpannt. — „Ja, ich erinnere mich ſeiner; er hatte
in Blankville vor einigen Jahren einen Apotheker-
laden?“ — „Das iſt er, Sir.“ — „Und kam bei

einer Gelegenheit in den Geruch, durch Medizinal-
pfuſcherei den Tod eines oder mehrerer Menſchen
veranlaßt zu haben, weßhalb er verſchwand?“ —
„Derſelbe,“ entgegnete Leeſy ſeufzend. „Wenigſtens

habe ich ſpäter von dieſem Gerücht erfahren.“ —

„Aber wie kam dieſer Menſch in Beziehung zu
Ihrer Familie?“ fragte Burton ungeduldig. —
„Er näherte ſich mir,“ erwiederte das Mädchen
mit gewaltſamer Faſſung, „als ich mich noch bei
meiner Tante in Blankville aufhielt, nachdem ich
ein einziges Mal in ſeinen Laden gekommen war,
um für' die Tante ein Mittel gegen Zahnweh zu
holen. Gleich dieß erſte ⸗ Mal ſagte er mir Schmei-
cheleien, dann kam er in die Wohnung meiner
Tante, ſprach von dem tiefen Eindrucke, den ich
auf ihn gemacht habe, und legte eine Verbindung
mit mir ſo nahe, daß meine Tante verlockt ward
und mich beſtürmte, mir die Gelegenheit, eine Lady
zu werden, nicht entgehen zu laſſen. Ich aber
hatte einen unbeſiegbaren Widerwillen gegen ihn,
ich fand, daß er jähzornig, eigennützig und gewalt-
thätig war. Er folgte mir auf Tritt und Schritt,
 
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