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Heidelberger Familienblätter — 1868

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No. 66 - No. 76 (3. Juni - 28. Juni)
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heidelberger Familienblätter.

Belletriſtiche Beilage zur Heidelberger Zeitung.

M 77.

Sonntag, den 28. Juni

1868.

Eſtella.
Novelleite nach dem Engliſchen von A. K.
(Fortſetzung.)

Ehe ich jedoch Zeit hatte, etwas hierauf zu ant-
worten, hatte die Thür ſich wieder geſchloſſen und
Couſin Geoffrey war fort. ö
Ich nahm die Roſe in die Hand. Ich glaube
nicht, daß ich jemals wieder eine ſolche Roſe geſehen,
und ihr Wohlgeruch iſt mir gleichſam jetzt noch
gegenwärtig. Ich fühlte, wie mir, während ich ſie
in meinem Haar befeſtigte, die Finger vor Freude
bei dem Gedanken zitterten, daß ich doch nicht von
Allen vergeſſen war. ‚
Als ich hinunter kam, ſagte meine Tante, wir
hätten uns ſchon etwas verſpätet und Couſin Geof-

frey ſei deshalb immer vorangefahren. Wir war-
teten eine Weile auf Eſtella und dieſe ließ endlich

ſagen, wir möchten nur immer in den Wagen ſtei-
gen, denn ſie würde ſogleich kommen. ö
Wie ſchön war Eſtella an dieſem Abend! Als
ſie herunterkam, hatte ſie ihren Fächer vergeſſen.
Sie blieb deshalb ſtehen, um darauf zu warten
und verſuchte unter der Lampe in der Hausflur
ihren Handſchuh zuzuknoͤpfen, ſo daß ich ſie mit
Muße betrachten konnte. Ich neigte mich, während
ich dies that, der Anſicht zu, daß ein roſaſeidenes

Kleid mit weißen Spitzen das prachtvollſte Coſtüm

ſei, beſonders im Gegenſatz zu Eſtellas üppigem,
ſchwarzen Haar. ö
Als wir auf dem Balle anlangten, der von eini-

gen, zu Allington in Garniſon ſtehenden Officieren-

gegeben ward, fühlte ich mich Anfangs durch den
Lichterglanz und die Muſik förmlich geblendet und
betäubt und ich hielt mich, während wir die große
Treppe hinaufgingen, auf welcher zu beiden Seiten
eine Ehrenwache poſtirt war, dicht meiner Tante
zur Seite.
Der Eintritt in den Ballſaal, ſelbſt war eben-
falls nicht geeignet, mir meine Faſſung zurückzu-
geben. Es kam mir Alles vor, wie eine Scene in
dem Märchenland, wovon ich geleſen, und ich glaubte
beinahe, ich ſei die Bezauberte,
eines Genins umherwandle.
Es dauerte nicht lange, ſo ward ich aus dieſer
Art von Verzückung durch Couſin Geoffrey aufge-
rüttelt, welcher mich aufforderte, mit ihm zu tanzen.

die in dem Palaſt

Ich zögerte einen Augenblick, denn ich konnte
mich nicht einer gewiſſen unbehaglichen Ueberzeu-
gung erwehren, daß Eſtella es nicht gern ſehen
würde. ö
Couſin Geoffrey ſchien meine Gedanken zu ver-
ſtehen, denn er zeigte auf Eſtella, die ſich am ent-
gegengeſetzten Ende des Saales befand und ſich auf
den Arm eines ſchnurrbärtigen Mannes von ſehr
vornehmem Ausſehen, in goldbetreßter Uniform,
ſtützte. ö ö
Ich legte daher meine Hand in Couſin Geof-
freys Arm und er führte mich in die Mitte des
Saales, legte ſeinen Arm um mich und ſchien dann
nach dem Klange der herrlichſten Muſik, die ich je-
mals gehört, mit mir mehr dahin zu ſchweben als
zu tanzen. ö ö
Als wir einmal ſtehen blieben, ſagte er:
„Du tanzeſt wirklich recht gut, kleine Mabel,
und ſiehſt auch ſehr hübſch aus.“ ö
Ich wollte mich bei ihm für ſeine Blumen be-
danken, er lachte aber blos und tanzte mit mir
weiter fort. ö
Ich fühlte, wie mir vor Freude die Wangen
glühten. Ich war an Schmeichelworte nicht gewöhnt
und hatte, ſeitdem ich das Kloſter verlaſſen, keine
zu hören bekommen, während überdies das Lob der
frommen Schweſtern in der Regel nur meinen Lec-
tionen, meinen Arbeiten und meiner Aufführung im

Allgemeinen gegolten hatte.

Als der Tanz vorüber war, führte Couſin Geof-
frey mich an das Buffet und ließ mir eine Schaale
Eis reichen. Dann kehrte ich zu meiner Tante
zurück und nahm wieder an ihrer Seite Platz. Ich'
erwartete nicht, noch mehr zu tanzen. Ich fand es
von Couſin Geoffrey ſehr freundlich, daß er mit
mir überhaupt getanzt, während doch ſo viele an-
dere, ſchoͤne, reichgeſchmückte Damen da waren, und
war daher geradezu überraſcht, als er ſchon für den
nächſten Walzer mir einen Officier zuführte, wel-
cher, wie er ſagte, den Wunſch ausgeſprochen, mir
vorgeſtellt zu werden. Natürlich wußte ich, daß
dem Officier in Wirklichkeit es höchſt gleichgiltig
war, ob er mir vorgeſtellt würde oder nicht, aber
dennoch freute ich mich, daß ich nicht ſitzen zu blei-
ben brauchte, obſchon der Tanz mit meinem zwei-
ten Cavalier mir nicht ſo gefiel, wie mit Couſin
Geoffrey. —
Es wurden mir hierauf noch verſchiedene ande re
 
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